Statue der Justitia mit Waage und verbundenen Augen.
Die Gerichte handeln korrekt – die Politik kann und muss die Gesetze ändern. (Bild: Edward Lich/​AJEL/​Pixabay)

Am Ende zeigte sich Lisa Badum zerknirscht. An dem einen oder anderen Punkt werde man im Bundestag nachsteuern müssen, resümierte die Grünen-Abgeordnete Anfang November nach der Anhörung im Klima- und Energieausschuss zum neuen Klimaschutzgesetz.

Tatsächlich aber hatten die meisten Sachverständigen den Gesetzentwurf der Ampel, der das Klimagesetz "flexibilisieren" soll, in der Luft zerrissen.

Gleich das erste Statement legte den wohl größten Irrtum offen. Über 90 Prozent der CO2-Emissionen der deutschen Energiewirtschaft seien dem europäischen Emissionshandel zugeordnet, hob Kerstin Andreae an, Chefin des Energie- und Wasserwirtschaftsverbandes BDEW.

Dagegen unterlägen die Emissionen aus Verkehr und Gebäuden dem "Effort Sharing", der europäischen Lastenteilung. Selbst wenn die Energiewirtschaft ausbleibende CO2-Einsparungen anderer Sektoren übernähme – die Ampel hat hier vor allem die "Sorgenkinder" Verkehr und Gebäude im Blick –, entstünde dennoch eine finanzielle Herausforderung für den Bundeshaushalt, denn in der Emissionsbilanz dürfen die Sektoren nicht miteinander verrechnet werden, stellte die BDEW-Chefin klar.

Zum Verständnis ein kurzer Exkurs. 2005 startete der europäische Emissionshandel. Dort müssen die Energiebranche, die energieintensive Industrie und mittlerweile auch der Luftverkehr die Rechte für ihre CO2-Emissionen erwerben.

Lange Zeit dümpelte dort der CO2-Preis vor sich hin. Erst 2018 begann er zu steigen und liegt jetzt bei 80 Euro je Tonne. Der Emissionshandel erfasst aber nur rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen in der EU. Damit allein rettet man das Klima nicht.

Emissionshandel und Lastenteilung – zwei Paar Schuhe

Für die anderen 60 Prozent – die Emissionen aus Verkehr, Gebäuden, Landwirtschaft und kleiner Industrie – einigten sich die EU-Länder 2018 auf die sogenannte Lastenteilung. Seit 2021 und noch bis 2030 gilt die "Effort Sharing Regulation".

Darin verpflichteten sich die EU-Länder, jeweils abhängig von Wirtschaftskraft und Wohlstand ihre Emissionen in den Nicht-Emissionshandels-Bereichen zu senken, Deutschland um 38 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2005.

Dabei gelten strenge jährliche Budgets und Berichtspflichten – und eine Verrechnungs-Mauer zum Emissionshandel, in dem sich die Energiewirtschaft tummelt. Diese Mauer will die Ampel-Koalition für die nationale Ebene mit dem neuen Klimaschutzgesetz einreißen und die Emissionen der Sektoren miteinander verrechnen dürfen.

Das mag die deutsche Klimabilanz aufhübschen, hilft aber nicht, die Pflichten aus der europäischen Lastenteilung zu erfüllen. Und hält ein EU-Land diese Vorgaben nicht ein, muss es Emissionsrechte bei anderen Ländern kaufen oder Strafen zahlen. Auf Deutschland können dann Kosten von neun bis 30 Milliarden Euro zukommen, gaben die Sachverständigen in der Anhörung zu verstehen.

Das EU-Recht sei eben keine "Hängematte", erklärte die Rechtsanwältin Roda Verheyen in der Anhörung. Die Lasten der CO2-Reduktion könnten nicht in die Zukunft verschoben werden. Genau das aber werde mit dem neuen Klimaschutzgesetz der Ampel passieren, sagte sie.

Wie die Bundestagsabgeordneten hier nachsteuern können, ist unklar. Kommen sie dem Europarecht nach, ist die Verrechnungs-Idee tot. Dann wird es mindestens für den Verkehrsminister hierzulande unmöglich, sein Klimaziel zu erfüllen. Dazu fehlen je nach Rechnung schon jetzt bis zu 270 Millionen Tonnen CO2-Einsparung im gesamten Zeitraum bis 2030. Das sind fast zwei CO2-Jahresbudgets des Verkehrs.

Umweltorganisationen wollen Sofortprogramme einklagen

Nicht nur im Bundestag steht der Klimaschutz vor einer Zerreißprobe. Heute verhandelt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg über eine Klimaklage des Umweltverbandes BUND und der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Bei der Klage geht es im Kern um die Pflicht der Bundesministerien, bei Überziehung des jährlichen CO2-Budgets innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm zur Korrektur vorzulegen. Das schreibt der Paragraf 8 des noch geltenden Klimaschutzgesetzes vor.

Mit der Klage wollen BUND und DUH die Regierung zwingen, für die Bereiche Gebäude und Verkehr endlich wirksame Maßnahmen zu beschließen. Bevor es aber darum geht, wird das Gericht erst einmal feststellen, ob die beiden Organisationen überhaupt klageberechtigt sind.

Dabei stellt sich auch die Frage, ob das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) die rechtlichen Kräfteverhältnisse beim Klimaschutz ändert.

Die Verfassungsrichter hatten die Verschiebung von 60 Milliarden Euro Kreditermächtigungen aus dem Energie-Krisenfonds in den Klimafonds für nichtig erklärt. Die Regierung habe den Zusammenhang zwischen der außergewöhnlichen Notsituation beim Klima und der Überschreitung der Kreditobergrenzen nicht ausreichend begründet, befanden die Richter.

Für die nächste Zeit sind an Klimaschutz-relevanten Ausgaben aus dem KTF unter anderem geplant: rund 19 Milliarden Euro für Sanierung und Neubau von Gebäuden, knapp 13 Milliarden zur Förderung der erneuerbaren Energien und vier Milliarden für die Bahn-Infrastruktur. Allein mit der Stärkung des Schienenverkehrs will die Ampel bis 2030 etwa sechs Millionen Tonnen CO2 einsparen.

"Der Ampel fehlt es an politischem Willen zum Klimaschutz"

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe vertritt, sieht mit dem KTF-Urteil des Verfassungsgerichts die Position der klagenden Organisationen gestärkt. Wenn Klimaschutz-Maßnahmen nun wegen fehlender Finanzierung wegfallen müssten, drohe das die ohnehin bestehende "Emissionslücke" zu den 2030er Klimazielen weiter zu vergrößern, erklärt Klinger auf Nachfrage.

Aus Sicht des Juristen war es politisch fahrlässig von der Ampel-Regierung, immer mehr Klimafinanzierung in den KTF abzuschieben, obwohl die Klage vor dem Verfassungsgericht anhängig war. "Dass der Klimaschutz jetzt noch mehr Probleme bekommt, liegt nicht am Gericht", betont Klinger.

"Vielmehr fehlt es in der Regierung seit Jahren am politischen Willen zu einem ausreichenden Klimaschutz." So hätten etwa klimaschädliche Subventionen schon lange abgebaut und die frei werdenden Mittel zur Finanzierung genutzt werden können.

Offenbar steht nicht nur das Klimaschutzgesetz, sondern die gesamte Klimapolitik der Ampel derzeit vor einer Zerreißprobe – und das kurz vor dem Weltklimagipfel.

Roda Verheyen sieht die rechtlichen Folgen der gestrichenen 60 Milliarden gelassen. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die Verwaltungsgerichte gingen davon aus, dass der Staat in der Lage ist, verfassungsrechtlich zu Gewährleistendes auch finanziell zu erfüllen, sagt die Anwältin.

"Und das ist er ja auch. Der jetzige Streit um die Finanzierung ist ein rein politischer, nicht zuletzt deswegen, weil die sogenannte Schuldenbremse ohne Weiteres durch eine Grundgesetzänderung reformiert werden könnte", gibt Verheyen einen Finanztipp.

Anzeige