Mit Zahlen, großen zumal, soll sich der ehemalige Vermögensverwalter Friedrich Merz auskennen. Hier kommen ein paar, die er sich merken sollte.
Letztes Jahr gingen die CO2-Emissionen in Deutschland im Vergleich zu 2023 von 674 auf 649 Millionen Tonnen zurück. Dieses Minus von 25 Millionen beruht vor allem auf einem "starken Rückgang" fossiler Energie-Emissionen, erklärte das Umweltbundesamt (UBA) am Freitag bei der Vorlage der Treibhausgas-Projektion 2025.
Konkret steuerten die erneuerbaren Energien zum 25-Millionen-Minus mehr als 17 Millionen bei, so das UBA. Daher müssten auch der weitere Ausbau der Erneuerbaren sowie ein schnelles Auslaufen der Kohleverstromung "unbeirrt" weiterverfolgt werden, fordert das UBA. Bei der Kohle geht die Behörde weiter von einem marktwirtschaftlichen Ende Anfang der 2030er Jahre aus und nicht mit dem maximal erlaubten Weiterlaufen bis 2038.
Auch den von CDU, CSU und SPD jetzt geplanten Neubau von 20.000 Megawatt Erdgaskraftwerken berücksichtigen die Prognosen nicht. Den Ausbau-Plan hält der scheidende Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck für einen "verwunderlichen" Satz im Sondierungspapier.
Zuletzt habe man der EU-Kommission, sagte Habeck, in der von ihm vorgelegten Kraftwerksstrategie den Bau von zehn Erdgaskraftwerken mit zusammen 5.000 Megawatt geradezu "abgetrotzt". Diese Verhandlungen seien wirklich hart gewesen, erinnerte sich der grüne Minister bei der UBA-Präsentation. Er könne sich nicht vorstellen, wie eine nächste Regierung hier mehr herausschlagen könne.
Klar sei auch, so Habeck weiter: Diese Gaskraftwerke könnten nicht permanent laufen und würden als Reserve über die Netzentgelte von Verbrauchern mitbezahlt. "Baut man also viele Kraftwerke, die alle nicht laufen, zahlt man sehr viel Geld für Kraftwerke, die nicht laufen", kommentierte Habeck.
UBA-Präsident beklagt Verunsicherung beim Heizungsgesetz
Die Kraftwerkspläne sind nicht nur finanziell abenteuerlich, sondern könnten Deutschland auch des CO2-Puffers berauben, den die Energiewende der deutschen Klimabilanz bisher beschert. Und schmilzt diese Reserve nur um ein Weniges ab, wird Deutschland sein Klimaziel für 2030 deutlich verfehlen. Das machen die am Freitag vorgelegten Daten ebenso klar.
Denn schon jetzt ist das Erreichen des Klimaziels – 65 Prozent weniger Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 – auf Kante genäht. Mit der aktuellen Prognose nähert sich das Umweltbundesamt wieder der Einschätzung des Expertenrats für Klimafragen an. Das unabhängige Gremium hatte in seinem Prüfbericht letztes Jahr bilanziert, das 65-Prozent-Ziel würde "knapp" nicht erreicht.

Das UBA und Klimaminister Habeck hatten letztes Jahr allerdings Grafiken präsentiert, laut denen das Klimaziel 2030 sogar unterboten würde. Auch am Freitag hielt Habeck Grafiken hoch, die zeigen sollten, das Klimaziel werde erreicht.
Dagegen übte sich der Chef des Umweltbundesamts am Freitag in Zurückhaltung. Dirk Messner sprach nur davon, Deutschland werde 2030 "in etwa" in der Nähe der 65 Prozent landen können. In einer Mitteilung gibt die Behörde an, bis 2030 werde voraussichtlich eine Emissions-Reduktion um 63 Prozent erzielt.
Messner übte sich zudem in bisher nicht gekannter Kritik an der gescheiterten Ampel-Regierung, so am Umgang mit dem Heizungsgesetz. Seine eigene Familie mit ihren Häuschen sei 2023 und 2024 "komplett" verunsichert worden, ob Wärmepumpen überhaupt gingen oder zu teuer wären. "Wenn eine Regierung sieben Geschichten zur Wärmepumpe erzählt, kann man nicht erwarten, dass Sicherheit für Investitionen entsteht", beklagte der UBA-Chef.
Verzögerter E-Auto-Hochlauf riskiert EU-Strafzahlungen
Dass die regierungsoffizielle CO2-Bilanz deutlich weniger rosig ausfällt, hat mehrere Gründe. Galt zuletzt der Verkehr allein als der große Problembereich, gesellen sich inzwischen die Gebäude hinzu und auch die sogenannten Landnutzungsänderungen. Bei Letzteren geht es darum, wie stark natürliche Senken wie Wälder, Grünland und Feuchtgebiete Klimagase aufnehmen und so die CO2-Bilanz entlasten.
Beim Verkehr warnt das UBA scharf wie nie zuvor vor der drohenden Verletzung der deutschen Klimapflichten bei der EU-Klimaschutzverordnung, der sogenannten Effort Sharing Regulation. Dort können – im Unterschied zum deutschen Klimaschutzgesetz – andere Branchen wie Energie nicht die Mehremissionen von Verkehr und Gebäuden ausgleichen.

Auf EU-Ebene droht Deutschland sein verfügbares Klimabudget für Verkehr und Gebäude bis 2030 um mehr als 220 Millionen Tonnen CO2 zu überziehen, besagt die UBA-Bilanz. Drei Viertel davon steuert der Verkehr bei. Ohne schnelle Nachsteuerung drohten hier sprunghaft ansteigende CO2-Preise sowie hohe Strafzahlungen an andere EU-Staaten, stellt das UBA klar.
Zum Nachsteuern müsse der Markthochlauf von Elektroautos wieder deutlich mehr Fahrt aufnehmen, forderte Dirk Messner am Freitag. Er unterstützt staatlich geförderte Leasingmodelle für kleine und effiziente E‑Autos mit geringen monatlichen Raten, sogenanntes Social Leasing. "Am vereinbarten Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner-Pkw bis 2035 sollte unbedingt festgehalten werden – das ist sowohl für den Klimaschutz als auch für die Planungssicherheit der Unternehmen wichtig", betonte der UBA-Chef weiter.
Die chronischen Überziehungen bei Verkehr und Gebäuden gefährden für das Umweltbundesamt auch die für 2045 beschlossene deutsche Klimaneutralität. Das Problem beschreiben die Fachleute so: Schleppt Deutschland einen zu großen Rucksack an Emissionen in die Zeit nach 2030, bleibt zu dessen Abbau bis 2045 zu wenig Zeit.
Wälder emittieren künftig CO2, statt es zu speichern
Zudem steigen nach 2030 die Kosten für die CO2-Reduktion deutlich an, weil vergleichsweise preiswerte Klimamaßnahmen sich erschöpfen. Künftig geht es um die Erzeugung von grünem Wasserstoff, den kostspieligen Umbau der Netze oder die Reduzierung der Massentierhaltung. Das UBA sagt entsprechend voraus, aus heutiger Sicht werde Deutschland sein Klimaziel für 2040 von 88 Prozent CO2-Reduktion verfehlen und nur 80 Prozent erreichen.
Erstmals wiesen Klimaminister und Umweltbundesamt am Freitag auf die dramatischen Veränderungen bei den Emissionen aus der Landnutzung hin. Laut UBA-Chef Messner wird nicht nur das Ziel verfehlt, dass natürliche Senken 30 Millionen Tonnen CO2 nach 2030 aufnehmen, sondern vor allem Wälder würden künftig sogar zu einer CO2-Quelle.
Aus der gesamten Landnutzung könnten dann bis zu 30 Millionen Tonnen CO2 emittiert werden – in Richtung 2040 tue sich damit eine Lücke von 60 Millionen Tonnen in der Klimabilanz auf, rechnete Messner zusammen.
Angesichts dieser Entwicklung verlangte er eine "konzentrierte Strategie" für den natürlichen Klimaschutz. Dazu brauche es unter anderem die stärkere Förderung von Waldumbau, Waldmehrung, den Aufbau von einer Art Holzspeicher mit mehr langlebigen Holzprodukten sowie den Humusaufbau im Boden.
Habeck nutzte die Gelegenheit auch für eine persönliche Bilanz. Die letzten Jahre seien als Wendepunkt in der deutschen Klimapolitik zu sehen, sagte der scheidende Minister. Deutschland sei jetzt auf Klimakurs und man habe der nächsten Regierung sogar einen Puffer bei den Emissionen hinterlassen. "Die alte Groko war ein Weltmeister im Ziele-Hinausposaunen, aber Amateurliga bei der Umsetzung", sagte Habeck rückblickend.
In welche Liga sich die neue, kleinere Groko einordnen wird, ist noch offen. Bis dato zeigt Friedrich Merz wie auch andere wenig Neigung, sich mit den Klimazahlen zu befassen.
Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Habecks halbe Großtat