Etwas "Ungewöhnliches" und "Gutes" habe er zu verkünden, warb Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck Mitte März bei Medien um Verständnis für die frühe Tageszeit. Denn zu acht Uhr hatte sein Ministerium die Presse geladen, damit Habeck selbst die "Treibhausgas-Projektion 2024" des Umweltbundesamtes (UBA) vorstellen konnte. UBA-Chef Dirk Messner konnte oder wollte dabei nur online assistieren.
Auf dass kein Berichterstatter womöglich das "Gute" übersehe, griff Habeck bald zu einer seiner beliebten Grafiken. In drei Säulen machte er auch den Klimaunkundigsten klar: Die Ampel und insbesondere ihr grüner Klimaminister haben es vollbracht.
Die riesige Lücke bei der CO2-Reduktion – mehrere hundert Millionen Tonnen groß und von der Groko hinterlassen – habe die Ampel nicht nur geschlossen, nein, sie werde das Klimaziel für 2030 sogar übererfüllen, sagten die drei breiten Säulen.
Die genauen Zahlen müsse man nicht kennen, erläuterte Habeck, die Grafik haltend und wissend, dass vielen Medienleuten seit jeher eingebläut wird: Die Story ist wichtig – und bloß keine Zahlen! Also sagte der Minister nur: Deutschland sei klimapolitisch auf Kurs und der Kurs müsse nun gehalten werden.
Tatsächlich war die Botschaft ungewöhnlich. Denn schon Anfang des Jahres hatte vor allem die Klimabilanz des Thinktanks Agora Energiewende gezeigt: Der starke Rückgang der CO2-Emissionen 2023 hat weniger mit ambitioniertem Klimaschutz der Ampel zu tun, sondern mit unerwartet niedrigen Gaspreisen und schlechter Konjunktur.
Tatsächlich stellte sich dann bei Habecks Präsentation selbst heraus: In der lückenschließenden Projektion waren zum Beispiel weder die Milliarden-Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds berücksichtigt worden noch das Desaster beim Heizungsgesetz und die Wiederkehr der Gasheizung.
Entsprechende Nachfragen bügelte Habeck damals mehr oder weniger ab oder reichte sie an UBA-Chef Messner weiter, der die Folgen der Klimafonds-Kürzungen auch nicht kannte oder kennen wollte. Keineswegs sollte die "gute" Botschaft verwässert werden. Und so stand sie dann auch in vielen Berichten.
Deutschland wird auch 2050 nicht klimaneutral
Tatsächlich hat sich nun der Expertenrat für Klimafragen die "genauen Zahlen" angeschaut – und rückt die Verhältnisse wieder ins Lot: Angesichts der Daten könne nicht davon ausgegangen werden, dass Deutschland sein Klimaziel 2030 erreicht, so das unabhängige Gremium in dem heute erschienenen Sondergutachten. Und noch weniger gut: Deutschland wird 2045 nicht klimaneutral sein und 2050 auch nicht.
Tatsächlich, so stellt sich nun heraus, wurde in Habecks Projektion getrickst. So würde es der auf seine Glaubwürdigkeit achtende Klimarat zwar niemals sagen. Sein Gutachten aber lässt keinen anderen Schluss zu: In der von Habeck und Messner gezeigten Projektion wurde die große, vor allem auf Einmaleffekten beruhende CO2-Einsparung des Jahres 2023 – immerhin 76 Millionen Tonnen – als eine Art Puffer über die Folgejahre verteilt. Im Ergebnis wird für diese Jahre mehr Klimaschutz vorgespiegelt, als wirklich stattfand.
Tatsächlich, auch das macht der Expertenrat klar, operierte die Ampel bei der Projektion mit viel zu günstigen Annahmen beim Emissionshandel oder rechnete mit unbeschränkten Investitionsmöglichkeiten privater Haushalte.
Tatsächlich tritt, weil die Ampel den Klimaschutz in Sektoren wie Verkehr und Gebäude auf die Zeit nach 2030 verschiebt, danach der klimapolitische GAU ein. Habecks Lückenschluss 2030 ist also eine schöngerechnete Momentaufnahme auf Kosten der Zukunft.
Tatsächlich klappt es bei der Ampel mit dem Klimaziel für 2030 am Ende auch nur, weil der Bereich Landnutzungsänderungen (LULUCF) völlig ausgeklammert wird. Dieser Sektor wird, das steht schon so gut wie fest, bis 2030 nicht – wie im Klimaschutzgesetz festgelegt – zur CO2-Senke werden, sondern als CO2-Quelle die Klimabilanz verschlechtern.
Tatsächlich ist die Lage bei der Landnutzung so schlecht, dass hier auch eine völlige Kehrtwende bis 2030 nicht viel bringen würde. Denn es dauert viele Jahre, bis neue Wälder oder wiedervernässte Moore wirklich zusätzliche CO2-Mengen binden.
Die Glaubwürdigkeit der Klimawissenschaft
Angesichts all der negativen Fakten versuchten Habeck und seine PR-Abteilung wider besseres Wissen die "gute" Botschaft an die Leute zu bringen. Das war kein Fauxpas. Damit hat der Wirtschafts- und Klimaminister die Glaubwürdigkeit all derer untergraben, die sich wissenschaftlich für echten Klimaschutz einsetzen.
Wer soll Gutachten über zu wenig Klimaschutz oder zu hohen CO2-Ausstoß noch ernst nehmen, wenn sich der zuständige Minister Daten so zurechtlegen lässt, dass seine gewollte Erfolgsstory herauskommt? Wer wird Fachleuten noch glauben, wenn sie in Gummistiefeln durch überschwemmte Gebiete wandern und mehr Klimaanpassung fordern?
Schlimm ist auch, dass Habeck mit der Erfüllungsgeschichte die Glaubwürdigkeit des renommierten Umweltbundesamtes in Zweifel gezogen hat. Bei jeder künftigen Klimabilanz des UBA wird man sich jetzt fragen: Wie viel davon ist Wissenschaft und wie viel Politik?
Fürs UBA ist eigentlich Umweltministerin Steffi Lemke zuständig, ebenfalls eine Grüne. Lemke und UBA-Chef Messner müssen sich fragen lassen, ob sie weiter untätig zusehen wollen, wie der klimapolitische Ruf des UBA immer mehr beschädigt wird.
Vor einigen Wochen hat das neue Klimaschutzgesetz dem UBA zum Erstellen künftiger Klimaprojektionen ein Konsortium an die Seite gestellt, dessen einziger Sinn nur darin bestehen kann, die UBA-Daten richtig zu interpretieren. Dafür hat Habeck schon mal die Blaupause geliefert.
Der Klimarat jedenfalls hat mit seinem Gutachten der Klimawissenschaft ihre Glaubwürdigkeit zurückgegeben. Sein Fazit: Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland das Klimaziel 2030 verfehlt, ist größer als die Wahrscheinlichkeit, dass das Ziel erreicht wird. Deswegen müssen ziemlich schnell weitere Maßnahmen her, um die CO2-Last stärker zu mindern – vor 2030 und nach 2030.
Und jetzt ist die Politik wieder am Zuge, das bitte wieder mit Glaubwürdigkeit.