Drainage-Rohr gegen Bodenversalzung.
Das Klima wird sich massiv ändern, sodass Landwirtschaft viel schlechter planbar wird. (Foto: Antonio Jordán/​imaggeo.egu.eu)

"Carbon Farming" ist in der Agrarpolitik und in der landwirtschaftlichen Praxis gerade sehr angesagt. Ziel ist dabei, durch landwirtschaftliche Maßnahmen CO2 aus der Atmosphäre langfristig im Boden zu binden und so den Klimawandel zu verlangsamen.

Ob und in welchem Umfang dies möglich ist, wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es politisch sinnvoll ist, auf Carbon Farming zu setzen.

Mit der "Vier-Promille-Initiative" der französischen Regierung, die bei den UN-Klimaverhandlungen 2015 in Paris vorgestellt wurde, hat Carbon Farming die weltpolitische Bühne betreten. Diese Initiative will 0,4 Prozent CO2-Speicherung pro Jahr in landwirtschaftlichen Böden erreichen.

Es folgte die Gründung zahlreicher Start-ups, die diese landwirtschaftliche Kohlenstoffspeicherung eindeutig messbar machen und die daraus errechneten CO2‑Äquivalente als Emissionszertifikate an Unternehmen gewinnbringend weiterverkaufen wollen. Am Ende sollen sich die Bäuer:innen über einen Zusatzverdienst freuen können und endlich für ihre harte, schlecht bezahlte Arbeit am Ökosystem entlohnt werden.

Man könnte meinen, alle würden nur gewinnen: Klima, Bäuer:innen, Unternehmen, Böden, Regenwürmer. Ein kritischer Blick auf das Ganze erscheint angezeigt.

Humusaufbau ist keine einmalige Sache

Zunächst ist es sinnvoll, die Möglichkeiten der CO2-Speicherung in Böden einmal kurz und grob vereinfacht darzustellen. Wissenschaftlich ist man sich im Großen und Ganzen einig, dass die extrem stabilen Dauerhumus-Verbindungen im Boden durch die Bewirtschaftungsform kaum vermehrt werden können – außer vielleicht durch Biokohle, was ein Kapitel für sich ist.

Humusaufbau in der praktischen Landwirtschaft bedeutet deshalb immer "nur", den Auf- und Abbau von Nährhumus auf ein höheres Fließgleichgewicht zu heben. Je höher der Überschuss an Kohlenstoff, Stickstoff und anderen Elementen, die zur Bildung von Nährhumus notwendig sind, desto höher das neue dynamische Gleichgewicht.

Nährhumus allerdings ist deutlich instabiler. Er kann zwar relativ schnell auf-, aber dadurch auch schnell wieder abgebaut werden. Das heißt im Klartext: Selbst wenn mit den beworbenen "regenerativen" Methoden Nährhumus aufgebaut werden kann, so müssen diese Maßnahmen quasi "für immer" beibehalten werden, damit der Kohlenstoff gebunden bleibt.

Nehmen wir den intensiven Zwischenfrucht- oder Begrünungsanbau als Beispiel und nehmen wir weiterhin an, dass dabei wirklich Nährhumus aufgebaut wird (was wissenschaftlich gar nicht so klar belegt ist). Um das entsprechend höhere Fließgleichgewicht an Nährhumus zu halten, muss jedes Jahr eine bestimmte Menge an Biomasse erzeugt und im Boden als Humus festgelegt werden.

Was geschieht bei einer Dürre?

Ändert sich das Klima nun insofern, dass der Gesamtniederschlag in einer Region sich halbiert oder ungünstig verteilt ist, kann es passieren, dass die Erzeugung entsprechender Begrünungen nicht mehr möglich ist: Das Wasser wird komplett für die Erzeugung von Lebensmitteln benötigt. Der Begrünungsanbau wird dann zwangsläufig eingestellt und die entsprechenden CO2-Mengen werden relativ schnell wieder in die Atmosphäre abgegeben.

Da wir als Gesellschaft aber noch Kohle, Öl und Gas verbrennen und diese Emissionen durch den Anbau von Begrünungen ausgeglichen werden sollten, fliegt uns die ganze Klimapolitik um die Ohren und das Klimachaos verschärft sich. Oder – wenn der Begrünungsanbau aus Klimaschutzgründen beibehalten wird – es fehlt anschließend das Wasser für die Lebensmittelerzeugung und wir bekommen eine Ernährungskrise.

Ähnliches lässt sich für die Speicherung von Kohlenstoff in oberirdischer Biomasse wie Holz sagen. So liegt beispielsweise das CO2-Bindungspotenzial von Agroforst-Systemen auf der Hand: Mehr Bäume in der Landschaft speichern mehr Kohlenstoff in ihrer holzigen Biomasse (und ihren Wurzeln).

Auch diese Rechnung geht allerdings nur auf, wenn die CO2-Bindungsleistung der Bäume dauerhaft auf dem angestrebten Niveau gehalten wird. Das heißt, dass Bäume konsequent nachgepflanzt werden müssen – oder das Holz alter Bäume nach der Fällung im erforderlichen Umfang als Bau- oder Möbelmaterial dauerhaft in Häusern oder Wohnzimmern "festgelegt" wird.

Führt die Klimakrise aber nun im schlimmsten Fall dazu, dass Nachpflanzungen aufgrund von Wassermangel nicht mehr gelingen und wegen Brennstoffknappheit im Winter wieder mehr Holz verheizt werden muss, fliegt uns auch diese Rechnung komplett um die Ohren. Vor allem dann, wenn damit die Fortsetzung der CO2-Emissionen an anderer Stelle kompensiert werden sollte.

Zweifelhafter Zertifikatehandel

Zudem muss die grundlegende Frage erlaubt sein, warum Landwirtschaft eigentlich die Welt retten soll. Nichts gegen Anbausysteme, die die Bodenfruchtbarkeit steigern. Das ist auch mein Herzensanliegen.

Aber warum sollen diese Ansätze in kapitalistischer Logik zu Geld gemacht werden und im Rahmen des vielfach kritisierten CO2-Zertifikatehandels dafür herhalten, dass die Verantwortlichen für die Klimakrise weiter "business as usual" veranstalten dürfen?

Porträtaufnahme von Jan-Hendrik Cropp mit Bodenproben in beiden Händen.
Foto: privat

Jan-Hendrik Cropp

ist Agrar­wissenschaftler. Der lang­jährige Betriebs­leiter im öko­logischen Landbau ist Autor des "Praxis­handbuchs Boden­fruchtbarkeit". Seit 2012 ist er als Referent und freier Berater auf diesem Gebiet tätig.

Carbon Farming lenkt den Blick von der Tatsache weg, dass unser Lebensstil sich radikal wandeln muss, wenn das Klimachaos einigermaßen erträglich bleiben soll.

Salopp gesagt: Wer die Autoindustrie nicht schrumpfen will, dem kommen Carbon-Farming-Zertifikate gerade recht.

Auf der materiellen Ebene ist Carbon Farming eine weitere In-Wert-Setzung von Natur, in diesem Fall des Kohlenstoffs im Boden beziehungsweise des Bodens selbst.

Und rein praktisch bedeutet es eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten von Bäuer:innen, die in Zeiten des zunehmenden Klimachaos wahrscheinlich alle Register in Sachen Bewirtschaftungsformen ziehen müssen, um die Menschheit noch halbwegs ernähren zu können.

Resilienz ist das wichtigste Ziel

Sollten wir also den Kopf in den Sand stecken? Ganz im Gegenteil. Allerdings sollte die Motivation zur Änderung unserer Bodenbewirtschaftung eine andere sein. Denn eines ist klar: Uns stehen unvorhersehbare und chaotische Zeiten bevor.

Das Klima wird sich massiv ändern, Extremwetter wird sich häufen, Dürren und Überflutungen könnten sich die Klinke in die Hand geben. Um damit klarzukommen, brauchen wir humusreiche Böden und widerstandsfähige Anbausysteme, die vielfach mehr Bäume enthalten sollten, als es heute der Fall ist.

Hohe Humusgehalte, eine optimale Bodengare, Mulchauflagen, Begrünungen und Zwischenfrüchte, Untersaaten und Gemenge, eine angepasste Bodenbearbeitung sowie Bäume und Hecken, die die Verdunstung fördern, den Wind bremsen und Schatten spenden: All das brauchen wir, wenn komplett ausgetrocknete Böden möglichst viel Wasser aus dem Unwetter speichern sollen, das der Dürre folgt.

Und wir sollten mit alldem besser gestern als heute anfangen. So gute Bedingungen wie heute werden wir morgen nicht mehr haben. Noch können wir mit ausreichendem Niederschlag rechnen und wir haben noch zahlreiche Möglichkeiten, die Bodenfruchtbarkeit zu steigern.

Wir können uns heute allerdings noch kaum vorstellen, zu welchen Bewirtschaftungsmethoden wir greifen müssen, um unsere Gesellschaft in Zukunft zu ernähren und zu versorgen. Nutzen wir die letzten "ruhigen" Jahrzehnte, um den Boden für diese Zeiten vorzubereiten.

Es geht um Anpassung an ein sich wandelndes Klima und um die Stärkung der Resilienz unserer landwirtschaftlichen Betriebe gegenüber krisenhaften Wetterveränderungen. Darüber sollten wir sprechen. Und wenn wir damit gewissermaßen als Nebeneffekt noch ein bisschen CO2 speichern und so die Klimakrise verlangsamen, dann nehmen wir das natürlich gerne mit.

Dass diese Maßnahmen politisch und ökonomisch belohnt werden, dafür sollte man kämpfen. Zu einem Spielball kapitalistischer Klimapolitik sollten sich Bäuer:innen aber nicht degradieren lassen.

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