Klimareporter°: Herr Messner, wir wollen über 50 Jahre Umweltbundesamt sprechen. Das Jubiläum ist am heutigen Montag. Als die Behörde von der Regierung Willy Brandt gegründet wurde, hatte sich die ökologische Lage in der Bundesrepublik extrem zugespitzt. Sind die Probleme von damals abgehakt?
Dirk Messner: Das UBA wurde gegründet, um die Auswirkungen der raschen Industrialisierung und der Wirtschaftswunderjahre auf die Umwelt besser in den Griff zu kriegen. Dass hier etwas getan werden musste, lag auf der Hand. Die Lage war dramatisch, für jeden spürbar. Denken Sie nur an Brandts Slogan "Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden".
Es ging darum, die Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu verringern: die Schadstoffe aus der Luft herauszukriegen, die Industrieabwässer zu minimieren, die in die Flüsse geleitet wurden, die Belastung durch Pflanzenschutzmittel zu senken, die die Böden und Nahrungsmittel belasteten.
Geht es der Umwelt heute nun besser als damals? Und uns Menschen?
Wir haben große Fortschritte gemacht, auch dank der Analysen und Konzepte, die im UBA entwickelt wurden. Die Luft ist viel sauberer als damals, unser Trinkwasser hat einen guten Standard, die Böden sind weniger belastet.
In anderen Feldern aber gibt es noch riesige Herausforderungen. Die großen systemischen Fragen haben wir noch längst nicht gelöst. Wie schaffen wir es, wirtschaftliche Entwicklung, Wohlstand und Lebensqualität so zu organisieren, dass sie die Grenzen der Ökosysteme nicht sprengen? Stichworte: Klima, Artenvielfalt, Ressourcen.
Bedenken Sie: Das heute dominierende Thema, die Treibhausgas-Emissionen, hat bei der Gründung des UBA noch gar keine Rolle gespielt. Viele globale Ökosysteme stehen inzwischen an Kipppunkten, die in den 1970er Jahren noch gar nicht verstanden wurden.
Anfangs sah es so aus, als könne bessere Filtertechnik die Probleme lösen. Rauchgas-Entschwefelung in Kohlekraftwerken, Katalysatoren in den Autos, mehr Klärwerke, um die Flüsse sauber zu machen ...

Diese End-of-pipe-Technologien waren zunächst sinnvoll, aber sie sind langfristig nicht die Lösung. Ein Beispiel: Unsere "Kreislaufwirtschaft" ist im Wesentlichen ein Abfallmanagementsystem – wir gehen umweltschonender mit Abfällen um, aber die Ressourcenverbräuche sinken nicht, und nur knapp 15 Prozent der eingesetzten Materialien kommen aus Recyclingprozessen.
Heute geht es darum, diese Verbräuche und die CO2-Emissionen radikal zu senken sowie die Ökosysteme zu stabilisieren und die Verschmutzung der Ökosysteme, etwa durch Ewigkeitschemikalien, wirksam zu begrenzen. Diese vier Hauptprobleme müssen wir zusammen angehen.
Da ist noch viel zu tun. Lösungen erfordern den Umbau aller gesellschaftlichen Felder, wie das Wohnen, die Stadtsysteme, die Mobilität, die Industrie, die Landwirtschaft.
Der Widerstand war schon bei den vergleichsweise einfachen End-of-pipe-Lösungen groß, etwa in den 1980er Jahren gegen die Schwefelfilter und den Katalysator. Die Industrie mauerte. Wie soll das nun bei dem viel größeren Umbau funktionieren?
In wirtschaftlichen Systemen gibt es immer bestimmte Pfadabhängigkeiten, etwa in der Energie- oder der Autoindustrie. Kommt man da mit Umweltanforderungen, lautet die erste Reaktion oft: Das ist zu teuer, das schwächt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das war und ist kurzsichtig. Ambitionierte Umweltziele haben dazu geführt, dass deutsche Unternehmen in vielen Bereichen Weltmarktführer bei Umwelttechnologien sind.
Heute müssen wir achtgeben, dass uns andere Länder in zentralen Klima- und Umweltschutz-Technologien nicht den Rang ablaufen, etwa bei den E‑Autos. Da ist uns China weit voraus. Hier nicht vorne dabei zu sein, wird zum Wohlstandsrisiko.
Sind die Konzepte für die vielen "Wenden" – Energiewende, Industriewende, Mobilitätswende, Agrarwende – denn ausgereift? Es gibt ja viele Widerstände, nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Bürgerschaft. Stichworte Windkraftausbau, Heizungsgesetz, Verbrennerverbot.

Dirk Messner
ist seit 2020 Präsident des Umweltbundesamtes. Vorher war der Politikwissenschaftler und Nachhaltigkeitsforscher Vize-Rektor der Universität der Vereinten Nationen und Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU). Von 2003 bis 2018 leitete er das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Bonn.
Die Konzepte sind im Prinzip ausgereift – wir haben Antworten auf die zentralen Klima- und Umweltherausforderungen. Bei der Energiewende kommt Deutschland ja auch entsprechend voran. Da hat die Ampel-Bundesregierung, die ansonsten viel kritisiert wird, viele Bremsen gelockert. Beim natürlichen Klimaschutz, dem Meeresschutz und der Klimaanpassung passiert viel.
Etwas langsamer läuft es in der Industrie, und bei Mobilität und Landwirtschaft gibt es derzeit sogar eher Gegenwind. Im Verkehrssektor sind wir noch nicht weit Richtung Klimaneutralität gekommen, und im Agrarsektor werden Umweltstandards sogar eher abgebaut. Da hat sich die politische Stimmung gedreht.
Wie konnte das geschehen, wenn die Konzepte so gut sind?
Als es jetzt um die Umsetzung der Maßnahmen ging, ob beim Heizungsgesetz oder bei den Agrarreformen aus dem Green Deal der EU, taten sich Fragestellungen auf, wo nachgearbeitet werden muss.
Vor allem die soziale Dimension der Klimapolitik ist noch unterbelichtet. Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass die rund 30 Prozent einkommensschwächeren Haushalte etwa bei der Heizungswende nicht überfordert werden.
Und dann müssen wir unsere öffentlichen Institutionen radikal modernisieren, damit sie die anstehenden Aufgaben in der kurzen Zeit bis zum Klimaneutralitätsziel 2045 schaffen können, vor allem durch Digitalisierung. Die künstliche Intelligenz, richtig angewandt, kann hier großen Fortschritt bringen. Zu all diesen Fragen arbeiten wir auch am UBA.
Wo liegen denn die größten Widerstände beim Umbau? In der Politik, in der Wirtschaft? Oder sind es wir, die Bürgerinnen und Bürger?
Alle zeigen gerne mit dem Finger auf die anderen. Die Wirtschaft sagt: Die Chinesen als größte Klimaeinheizer müssen vorangehen. Die Bürgerinnen und Bürger sagen, die Politik soll mal machen, und die Wirtschaft muss sich ändern. Und die Politik sagt, wenn wir umsetzen, was ihr aus der Wissenschaft fordert, werden wir vielleicht nicht wiedergewählt.
So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen wieder einen breiten gesellschaftlichen Konsens für den Umbau, wie wir ihn vor ein paar Jahren schon einmal hatten.
2020/21 war Fridays for Future auf den Straßen, das Bundesverfassungsgericht verpflichtete die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz-Anstrengungen, der Industrieverband BDI legte ein Konzept für Klimaneutralität 2045 und entsprechende neue Geschäftsmodelle vor, und die konservative EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen präsentierte ihren Green Deal.
Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Gaza-Konflikt und Flüchtlingsdebatten haben die Aufmerksamkeit für die Klima- und Erdsystem-Krisen verringert. Trotzdem muss es uns gelingen, zu dem Konsens zurückzufinden. Das ist möglich, wenn die soziale Frage gelöst und die Wenden als positive Visionen dargestellt werden.
Das Umweltbundesamt
wurde am 22. Juli 1974 in Berlin von der damaligen sozialliberalen Bundesregierung gegründet, es unterstand damals dem Innenministerium, heute zählt es zum Bereich des Umweltressorts. Seit 2005 befindet sich der Hauptsitz im anhaltischen Dessau, weitere Standorte liegen in Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus betreibt das UBA ein Luft-Messnetz mit sieben Messstellen von Zingst bis zur Zugspitze.
Aufgabe der zentralen Umweltbehörde ist es, dafür zu sorgen, dass es in Deutschland eine Umwelt gibt, in der Menschen so weit wie möglich vor schädlichen Umwelteinwirkungen wie Schadstoffen in Luft oder Wasser geschützt leben können. Die Themenpalette ist breit – von der Abfallvermeidung über den Klimaschutz bis zur Zulassung von Pestiziden.
Wie bewerten Sie unter diesem Blickwinkel die Politik der Ampel-Bundesregierung? Ist es die "Fortschrittskoalition", die sie sein wollte?
Als ich den Ampel-Koalitionsvertrag erstmals las, war ich angetan davon. Vieles von dem, was wir vor zehn Jahren in der Wissenschaft gefordert haben, findet sich dort. Heute, drei Jahre später, sieht man bei der Umsetzung: Es gibt Licht, aber auch Schatten.
Aber jedwede Regierung muss Antworten auf die Destabilisierung unserer Ökosysteme finden, da ist sich die Wissenschaft einig. Nur so können Wohlstand, Sicherheit und Freiheit verteidigt werden.
Konkret: Um die "Wenden" voranzubringen, braucht es hohe Milliarden-Investitionen. Wird der jetzt vorgelegte Ampel-Haushalt für 2025 dem gerecht?
Leider nein. Wir brauchen eine mittelfristige Finanzierungsperspektive wie in der Sicherheitspolitik, für die die Ampel ein 100-Milliarden-Sondervermögen aufgelegt hat. Ich folge hier dem Rat der vielen Ökonomen, die sagen: Wir müssen die Schuldenbremse so modernisieren, dass wir die Zukunftsinvestitionen leisten können, weil sonst die zukünftigen Klima- und Umweltschäden unbezahlbar werden.
Wie viel müsste investiert werden?
Ich habe große Sympathien für das unlängst vom Industrieverband BDI vorgelegte Konzept, das darauf abzielt, die wichtigen Herausforderungen Klima, Infrastruktur-Sanierung, Digitalisierung und Bildung zusammen anzugehen. Dafür braucht man 400 bis 500 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre. Das fördert sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Klimaneutralität.
Sind solche Summen denn finanzierbar?
Durchaus. Deutschland ist unter den vergleichbaren Industrieländern das am wenigsten verschuldete Land. Wir können das finanzieren, zumal das Steueraufkommen durch die angereizten Investitionen ansteigen würde.
Eine weitere Geldquelle wäre ein Abbau der umwelt- und klimaschädlichen Subventionen, die sich nach unseren Berechnungen auf rund 65 Milliarden Euro jährlich belaufen. Davon könnte man im Laufe einer Legislaturperiode etwa die Hälfte sozial verträglich abschmelzen.
Mit solchen Forderungen stoßen Sie bei der Bundesregierung auf taube Ohren, zumindest bei der FDP, die in der Ampel über die Finanzen bestimmt. Macht es Spaß, als UBA-Chef der Rufer in der Wüste zu sein?
Manchmal ärgere ich mich, wenn wir nicht durchdringen, das können Sie sich vorstellen. Andererseits braucht man Frustrationstoleranz und Zuversicht, wenn man solch tiefgreifende Veränderungen anregen will.
Einen Rahmen dafür gibt es, durch den europäischen Green Deal. Es ist das weltweit ambitionierteste Projekt des grünen Wirtschaftens. Ohne das UBA und vergleichbare Institutionen gäbe es diese Neuorientierung nicht. Ich hoffe, der Deal wird nun in der zweiten Amtszeit von der Leyens verteidigt und positiv weiterentwickelt.
Haben Sie Hoffnung, dass die Ampel sich, gerade was die Finanzierung angeht, noch bewegt? Oder warten Sie auf eine neue Bundesregierung?
Das Umweltbundesamt sucht sich eine neue Bundesregierung ja nicht aus, Gott sei Dank. Das machen immer noch die Wählerinnen und Wähler.
Aufgabe des UBA ist es, jede Bundesregierung darin zu unterstützen, ihre Umwelt- und Klimaziele zu erreichen, und vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Umwelt- und Klimaforschung zu überprüfen, ob die Ziele und Maßnahmen ausreichen, unsere Umweltsysteme zu stabilisieren. Es ist daher klar, dass wir mit jeder Regierung, mit der wir arbeiten, ein gewisses Spannungsverhältnis haben, weil wir Berater und Kritiker zugleich sind. Diese Konstruktion stärkt die Lernfähigkeit unserer Demokratie.
Stolz sind wir, dass der Wissenschaftsrat uns kürzlich sehr gute Leistungen in der Forschung und der wissenschaftlichen Unterstützung der Bundesregierung oder auch der EU-Kommission bescheinigt hat.