Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, im April will die Ampel-Regierung endlich das Solarpaket beschließen. Einen Resilienzbonus für inländische Solarhersteller soll es aber nicht geben, wird gemeldet. Inzwischen schließt Meyer Burger seine Solarmodulfabrik in Freiberg endgültig. Ist der erneute Niedergang der einheimischen Solarindustrie noch zu verhindern?

Claudia Kemfert: Ich fürchte, nein, und halte es für einen schweren Fehler. Ich hätte es für absolut sinnvoll erachtet, einen Resilienzbonus einzuführen, um die heimische Solarindustrie zu stärken und bei der Solarproduktion mehr Resilienz aufzubauen.

Deutschland sollte nicht zu abhängig werden von anderen Lieferanten, insbesondere aus China, und sich weniger angreifbar machen im Bereich der gesamten volkswirtschaftlichen Resilienz.

Es ist wirklich kein Wunder, dass sich führende Solarunternehmen von Deutschland abwenden. Die Konkurrenz aus dem Ausland ist sehr stark. Die USA locken mit attraktiven Subventionen. China kommt mit Dumpingpreisen auf den Markt, ebenfalls aufgrund sehr hoher Subventionen. Es ist ein sehr unfairer Wettbewerb.

Und wenn der Resilienzbonus schon nicht kommt, wäre es absolut sinnvoll, die Leuchtturmprojekte zu unterstützen, die letztes Jahr ausgeschrieben wurden, um Wertschöpfungsketten im Bereich der Solarindustrie aufzubauen und so Resilienz und Diversifikation zu ermöglichen.

Gerade die Produktion von Solarmodulen mit Wirkungsgraden über 24 Prozent ist absolut innovativ und hat hohe Zukunftspotenziale. Dass auch die Leuchtturmprojekte nicht kommen, ist katastrophal.

Der Wettbewerb um den internationalen Solarmarkt ist in vollem Gange, vor allem die USA locken mit interessanten Angeboten, mit denen Europa oft nicht mithalten kann. Daher ist es sinnvoll, in Europa die Produktion zu stärken und auszubauen – und durch den Resilienzbonus und durch Leuchtturmprojekte die Solarindustrie zu festigen.

Wirtschaftsexperten vom Westfälischen Energieinstitut fordern mehr Investitionen in die Energiewende und dafür auch höhere Staatsschulden. Sie beziffern die nötigen Investitionen auf 90 Milliarden Euro pro Jahr. Die notwendige Erhaltung und Transformation der Infrastruktur durch Wirtschaftswachstum finanzieren zu wollen, sei Wunschdenken, sagen die Experten. Sind Sie auch dafür, die Schuldenbremse für Klimaschutz und Energiewende aufzuheben?

Absolut. Seit Langem schiebt Deutschland einen Investitionsstau vor sich her. Die Industrie muss modernisiert werden, Investitionen in zentrale Infrastrukturen wie Netze, in Digitalisierung und eine Modernisierung existierender Infrastrukturen sind elementar, um die Energiewende- und Klimaziele zu erreichen.

Man sieht aktuell, dass die Einhaltung der Schuldenbremse die Finanzierung zentraler Energiewende-Projekte, Infrastrukturen und der Digitalisierung bremst und stoppt. Das ist fatal.

Deutschland schafft sich eigene Probleme durch eine künstlich herbeigeführte Schuldenbremse, die in Zeiten multipler Krisen absolut schädlich ist. Der Berg an Investitionsstaus wird so immer größer, samt der Probleme, die wir vermeiden könnten.

Die Investitionen wären volkswirtschaftlich absolut vorteilhaft. Nicht nur, dass die dringend notwendige Modernisierung von Infrastrukturen wie Straßen, Schienen, Netzen, Digitalisierung endlich vorangehen würde, sondern vor allen Dingen investieren wir in Zukunftsmärkte und Zukunftstechnologien. Das wiederum schafft zukunftsweisende Jobs.

Die deutsche Volkswirtschaft verliert sonst den Anschluss im Wettbewerb der grünen Märkte. Besonders die USA investieren massiv in den Ausbau erneuerbarer Energien, in Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Energieeffizienz und smarte Mobilität. China ebenso.

Deutschland droht abgehängt zu werden. Das kann doch keiner wollen. Daher ist es so unverständlich, warum wir uns weiterhin mit einer Schuldenbremse selbst kasteien und uns die Chancen nehmen, die wir hätten, wenn wir sie aufheben würden.

Es ist wirklich nicht zu verstehen, warum wir uns das antun. Die Schuldenbremse ist ein Knebel für die Energiewende. Es ist Zeit, endlich die Schuldenbremse im Grundgesetz abzuschaffen. Die Einrichtung eines Sondervermögens für die Finanzierung der Energiewende- und Klimaschutzziele ist überfällig.

Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollten vollständig über ein Klimageld zurückgegeben werden – und das möglichst schnell. Das fordert ein öko-soziales Bündnis, unterstützt auch aus der Wirtschaftswissenschaft. Initiatoren und Unterstützer versprechen sich auch mehr Akzeptanz für den Klimaschutz. Lässt sich diese Zustimmung wirklich so einfach erkaufen?

Erkaufen ist das falsche Wort. Höhere CO2-Preise belasten vor allem Niedrigeinkommensbezieher überproportional. Sobald der CO2-Preis stärker steigt, werden für sie die Belastungen immer höher, sodass auch die soziale Akzeptanz von Klimaschutz in Gefahr gerät.

Dem kann das Klimageld entgegenwirken. Es führt zu mehr sozialer Akzeptanz. Klimaschutz darf nicht zu einer sozialen Spaltung führen.

Unsere wissenschaftliche Studie, die wir 2019 als eine der ersten Untersuchungen vorlegten, zeigte sehr deutlich: Von einem höheren CO2-Preis werden vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen stärker finanziell belastet, und durch Einführung eines Pro-Kopf-Klimageldes können sie stärker entlastet werden.

Die Studie stellte klar, dass Menschen mit geringem Einkommen besonders vom Klimageld profitieren. Nach unserer Studie folgten zig weitere Studien, die dies ebenso belegen.

Nicht zu vergessen ist dabei, dass es viele Privilegien durch fossile Subventionen gibt, von denen hohe Einkommensbezieher profitieren, Bezieher von Niedrigeinkommen aber nicht. Dem muss entgegengewirkt werden, indem fossile Subventionen herunter- und finanzielle Vorteile für weniger Privilegierte hochgefahren werden.

Daher halte ich es für ebenso absolut sinnvoll, das Klimageld möglichst schnell einzuführen und das Geld, das über eine CO2-Bepreisung eingenommen wird, vollständig an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Klimageld-Einführung ein zentrales Projekt der Bundesregierung war.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überraschend ist: Wir beginnen erst jetzt, über den Rückbau von Erdgasnetzen, insbesondere in der dezentralen Wärmenetzebene, zu diskutieren und nachzudenken.

Noch immer wird der Eindruck vermittelt, als könne das Erdgasnetz für grünen Wasserstoff genutzt werden. Viele Kommunen sind sich der Problemlage nicht ausreichend bewusst.

Auch ein Beitrag des Recherchedienstes Correctiv legte in dieser Woche dar, wie irreführend der Eindruck einiger Stadtwerke ist, sie könnten das dezentrale Erdgas-Wärmenetz für grünen Wasserstoff weiternutzen.

Grüner Wasserstoff muss aufwendig mit großen Mengen von Ökostrom hergestellt werden. Sein Einsatz ist ineffizient und teuer. Ich bezeichne grünen Wasserstoff gern als Champagner unter den Energieträgern.

Wasserstoff für die Wärmeerzeugung zu nutzen ist wie Duschen mit Champagner. So zitieren mich auch einige Umweltverbände unter Federführung des Umweltinstituts München. Sie weisen nochmals darauf hin, wie irreführend es sein kann, von grünem Wasserstoff in den Wärmenetzen auszugehen.

Unsere jetzt veröffentliche Studie zur Untersuchung der dezentralen Wärmenetze zeigt deutlich, dass Wasserstoff in Wärmenetzen so gut wie keine Rolle spielen wird. Stattdessen ist aufgrund des Rückgangs beim fossilen Erdgas eher ein Rückbau der dezentralen Erdgasnetze anzuraten.

Dafür bedarf es ausreichender Regulierung samt kommunaler Wärmeplanung. Wir müssen dringend die Regulierung anpassen und damit vor allem bei den dezentralen Wärmeplanungen beginnen.

Fragen: Jörg Staude