In Deutschland werden Lebensmittel klimafreundlicher erzeugt als anderswo, lautet eine Erzählung. (Bild: Welko Todorow/​Shutterstock)

Die Zeiten ändern sich, auch aus Sicht der deutschen Landwirte. Zu ihren bisherigen Lobbyargumenten – mit ihren Exporten würden sie die Welternährung sichern oder sich mit Monokulturen und Pestiziden für Biodiversität einsetzen – gesellte sich ein neues hinzu: der Klimaschutz.

Er kenne viele junge Landwirtinnen und Landwirte, die nur darauf warteten, ihre Ställe klimakonform umzubauen, ließ ein Gastautor aus der Branche das neue Framing beispielsweise jüngst im Spiegel verlauten.

Tatsache ist allerdings: Die Bauern, ob jung oder alt, müssen gar nicht mehr klimakonform werden, damit die Landwirtschaft ihr gesetzliches Klimaziel für 2030 erfüllt. Für Letzteres hat die Agrarlobby längst gesorgt.

Das untermauert die jüngste Schätzung der Agraremissionen durch Agora Energiewende. Laut der Anfang Januar präsentierten vorläufigen Jahresbilanz emittierte die Landwirtschaft 2023 knapp 61 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente und damit eine Million Tonnen weniger als im Vorjahr.

Die Verringerung resultiere vornehmlich aus Rückgängen bei der Zahl der Nutztiere und der Stickstoffdüngung, hat der Thinktank ermittelt. Dass die Zahl der Schweine und Rinder abnahm, liege an der weiter gesunkenen inländischen Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln, geringeren Exporten sowie unklaren Perspektiven für viele Tierhalter, heißt es in der Analyse weiter.

Verkehrte Emissionswelt dank "heißer Luft "

Interessanter als das ist aber der Abstand der Agraremissionen zum CO2-Limit laut Klimaschutzgesetz: 2022 hätte die Landwirtschaft statt der real ausgestoßenen 62 Millionen Tonnen sogar rund 68 Millionen Tonnen CO2 emittieren dürfen.

2023 lag das gesetzliche Sektorziel bei 67 Millionen Tonnen und die – von Agora Energiewende vorläufig berechnete – reale CO2-Menge bei knapp 61 Millionen Tonnen.

Hier kommt Trick eins ins Spiel: Dass der Abstand bei jeweils rund sechs Millionen Tonnen liegt, ist kein Zufall. Die Unterschreitung des Sektorziels 2023 gehe vor allem auf eine geänderte Emissionsberechnung zurück, erläutert der Thinktank.

Die Änderung ist bekannt: Der Weltklimarat IPCC hatte die Klimawirkung von Lachgas aus der Düngung vor einigen Jahren neu bewertet. Sie wird nunmehr fast 40 Prozent niedriger angesetzt. In Deutschland werden dadurch jährlich rund 6,1 Millionen Tonnen CO2 weniger ausgestoßen als bislang berechnet, schreiben die Agora-Experten und unterstreichen damit Angaben des Umweltbundesamtes aus den Vorjahren.

Die Behörde sowie auch der Expertenrat für Klimafragen hatten bereits letztes Jahr verlangt, der Landwirtschaft die "heiße Luft" vom Sektorziel abzuziehen. Das passierte aber nicht und wird nach bisherigem Kenntnisstand auch nicht im neuen Klimaschutzgesetz berücksichtigt, das noch im Bundestag schmort.

Moor-Klimaschutz nicht so wichtig

Damit nicht genug, verzerrt auch noch ein spezieller Mechanismus im Klimagesetz das CO2-Budget der Landwirte zusätzlich. Danach wird einem Sektor, der sein Emissionsbudget in einem Jahr unterschreitet, die Einsparung gutgeschrieben, gleichmäßig verteilt auf die Folgejahre bis 2030.

Für die Landwirte rechnet sich das, grob gesagt, so: 2022 und 2023 haben sie zusammen ungefähr zwölf Millionen Tonnen "eingespart". Damit können sie schon jetzt in jedem kommenden Jahr zwei Millionen Tonnen mehr emittieren, als ursprünglich 2021 im Klimagesetz festgelegt wurde.

Entsprechend weist die von Agora Energiewende aktualisierte Bugdetberechnung für 2030 jetzt ein Klimalimit von 58 Millionen Tonnen für die Landwirtschaft aus. Bei Inkrafttreten des Klimagesetzes 2021 stand da noch die Zahl von 56 Millionen.

Und ändert sich nichts, wird die "heiße Luft" weiter ihr statistisches Werk tun. Dann werden die Landwirte 2030 rechnerisch sogar mehr emittieren dürfen als die 61 Millionen Tonnen im Jahr 2023. So gesehen ist die deutsche Landwirtschaft schon heute klimakonform – so makaber es klingt.

Vor echtem Druck beim Klimaschutz bewahrt auch ein zweiter Trick die Bauern. Denn die Emissionen, die bei der landwirtschaftlichen Nutzung trockengelegter Moore entstehen, werden nicht dem Agrarsektor zugerechnet, sondern den Landnutzungsänderungen, abgekürzt LULUCF.

Das sind jedes Jahr um die 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, um die sich das Umweltministerium mit seinem Programm zum natürlichen Klimaschutz kümmern soll. Das wiederum wird im Zuge der Haushaltskrise spürbar zusammengestrichen. Klimaschutz durch Moore ist also nicht so wichtig wie fossile Subventionen für Agrardiesel, mit dessen Hilfe trockengelegte Moore klimaschädigend bewirtschaftet werden.

Bloß nicht die Tierbestände reduzieren

Und es kommt ein weiterer Trick hinzu. Als das Klimaschutzgesetz 2019 entwickelt wurde, konnte die Agrarlobby nicht ahnen, dass neu bewertete Lachgas-Emissionen ihr ein bequemes Klimapolster verschaffen würden.

Aber rechnen konnte die Agrarwirtschaft schon immer. Sie schaute sich damals die Treibhausgasbilanz ihres Sektors an – und was ist da festzustellen?

Den größten Anteil mit mehr als 60 Prozent an den Emissionen hat Methan (CH4). Das Klimagas stammt aus der tierischen Verdauung, aus dem Düngereinsatz und aus der Lagerung von Gärresten in Biogasanlagen. Den zweitgrößten Anteil mit einem Drittel der Emissionen hat das erwähnte Lachgas, das vor allem durch Düngung entsteht.

Methan und Lachgas stellen also über 90 Prozent der Emissionslast. Und wie kann man die wirklich deutlich und anhaltend senken? Eigentlich nur durch weniger Tiere, weniger Dünger und weniger Biogas-Lecks.

So etwas passt natürlich wenig zur Geschäftsidee eines exportorientierten Agrarsektors. Der Abbau der Tierhaltung sei nicht die Form der Reduktion von Treibhausgasen, wie sie sich der Bauernverband vorstelle, erklären denn auch Branchenvertreter ein ums andere Mal.

Während der Erarbeitung des Klimaschutzgesetzes stand die Agrarlobby also vor der Frage: Wie lassen sich Treibhausgase einsparen, ohne in die Intensiv-Landwirtschaft eingreifen zu müssen?

Das wurde erreicht, indem man sich eines dritten Tricks bediente. Dieser betrifft die Brennstoffe, die in landwirtschaftlichen Fahrzeugen wie Traktoren oder Mähdreschern oder zum Heizen von Ställen oder Gewächshäusern eingesetzt werden.

Agrosprit-Förderung soll bleiben

Für den Weltklimarat fallen solche CO2-Emissionen aus Mobilitäts- und Heizenergie unter die sogenannten energiebedingten Emissionen.

Eine praktische Folge davon ist zum Beispiel: Werden Benzin- oder Dieselautos durch elektrisch betriebene ersetzt, wird die CO2-Einsparung der Energiewirtschaft zugute geschrieben. Denn sie hat den dafür nötigen Ökostrom bereitgestellt, ist im klimarechtlichen Jargon also der Verursacher der CO2-Einsparung.

Nicht so in der deutschen CO2-Bilanzierung: Verbrennt ein Traktor Diesel, ist das keine energiebedingte, sondern eine agrarbedingte Emission. Durch diese Sonderregelung erhielt der Agrarsektor im Klimagesetz bis zu sieben Millionen Tonnen an Emissionen zusätzlich zugeteilt.

Diese Mehremissionen haben aus der Sicht der Landwirte einen unschätzbaren Vorteil: Sie lassen sich reduzieren, ohne dass irgendwelche Tierbestände und Düngermengen angefasst werden müssen – einfach, indem statt fossilem Agrardiesel pflanzenbasierte Alternativen wie Bioethanol, Biodiesel oder Biomethan genutzt werden. Der jetzt ins Spiel gebrachte E‑Traktor ist weit weg und diese Treibstoffe stellen viele Agrarbetriebe auch noch selbst her.

Da war es nur logisch, dass das Landwirtschaftsministerium jetzt auf die Idee kam, die Proteste der Bauern gegen Subventionskürzungen mit Überlegungen zur Förderung von Biokraftstoffen zu kontern. Das wäre ja dann eine Klimaschutz-Subvention, gegen die niemand etwas haben könnte – auch wenn die Bauern sie gar nicht bräuchten, um ihre Klimaziele zu erfüllen, und sich auch nichts an den grundlegenden Klimaproblemen der Agrarwirtschaft ändern würde. Aber wer weiß das schon.

 

Nur die Deutsche Umwelthilfe (DUH) findet den Vorschlag absurd. Diesel aus Raps und Co sei eine Verschwendung kostbarer Nahrungsmittel und Flächen, die man sich angesichts von globalen Ernährungskrisen und Flächenknappheit schon lange nicht mehr leisten könne, kommentierte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Das gelte gerade in der aktuellen Subventionsdebatte. "Eine klimaschädliche Subvention durch eine andere zu ersetzen, wäre ein Fehler mit gravierenden Nebenwirkungen."

Dass sich die Zeiten in diesem Punkt ändern, ist allerdings nicht zu erwarten.

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