Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, das Kabinett hat sein Gesetz zum nationalen Emissionshandel als Teil des umstrittenen Klimapakets beschlossen. Wie schätzen Sie die klimapolitische Lage im Land ein?

Tim Meyer: Die Regierungsparteien feiern sich für ihr mutloses Klimapäckchen. Dabei werden die beschlossenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, um die Klimakatastrophe wirksam zu bremsen.

Doch ihr Hauptziel in Sachen Klimaschutz scheint die große Koalition erst einmal erreicht zu haben: dass die öffentliche Diskussion und der politische Druck etwas abflauen. Allerdings um einen hohen Preis.

Denn während das Klimapäckchen bei einigen seine Wirkung als Beruhigungspille tut und bei anderen laute Empörung in stille Resignation wandelt, schürt es bei vielen die weitere Polarisierung. Das ist nicht nur klimapolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch gefährlich.

Dabei bräuchten wir genau das Gegenteil: den möglichst breiten und geschlossenen Willen, die Modernisierung unserer Infrastruktur und Lebensweise als riesige Chance für Deutschland gemeinsam anzupacken.

Immerhin gibt es dabei auch eine Vielzahl an kleineren Lichtblicken. Mehr und mehr Akteure auf kommunaler Ebene und in einigen Bundesländern, in Verbänden und Unternehmen haben das Warten auf den großen Wurf aus Berlin satt und schreiten einfach selbst voran. Mit lokaler Gesetzgebung wie Solarpflichten im Neubau, Förderprogrammen für innovative Energielösungen und klar an Klimaschutz orientierten Ausschreibungen und Projekten.

Es ist also wieder einmal an der Zeit, die Energiewende "von unten" voranzutreiben.

Die Bundesregierung hat eine Entscheidung der Europäischen Investitionsbank zum Divestment aus fossilen Projekten blockiert, um Ausnahmen für Gasprojekte durchzusetzen. Für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nächstes Jahr hat das Wirtschaftsministerium bereits einen Fokus auf Gas angekündigt – vor allem mit Blick auf synthetische Varianten. Ist das sinnvoll?

Das massive Ausbremsen der erneuerbaren Energien in Deutschland, das Stück- und Flickwerk bei der Wärme- und Verkehrswende, das schlappe Klimapaket, der Gasdialog 2030 des Wirtschaftsministeriums oder die Unterstützung für Erdgasprojekte und Flüssigerdgas – alle diese Punkte zeigen, dass die deutsche Bundesregierung klima- und energiepolitisch längst eine Gasstrategie verfolgt und nicht mehr eine Strategie pro erneuerbare Energien.

Vermutlich glaubt man, mit dem Ersatz von Kohle durch Erdgas globale Emissionsverpflichtungen einfacher und schneller erfüllen zu können. Ein Brennstoffwechsel kann zwar kurzfristig einen Beitrag leisten. Eine Energiestrategie mit dem Schwerpunkt bei fossilem Gas halte ich aber für einen klaren Fehler.

Wir müssen unsere CO2-Emissionen bis 2050 auf null reduzieren und dabei einen so anspruchsvollen Reduktionspfad verfolgen, dass viel zu wenig Zeit für einen spürbaren Ausbau von Gas als Brückentechnologie bliebe. Von den geopolitischen Konsequenzen einmal abgesehen.

Die Milliardeninvestitionen in den Ausbau von Infrastruktur zur Anlieferung von russischem Gas und amerikanischem Flüssigerdgas sind daher nicht nur schlecht angelegtes Geld. Sie werden auch neue Beharrungskräfte erzeugen, wenn es schon sehr bald daran geht, auch die Nutzung von Erdgas herunterzufahren.

Außerdem sind Leckagen aus den fossilen Erdgassystemen viel zu wenig untersucht, das dabei austretende Methan hat eine noch viel stärkere Treibhausgaswirkung als Kohlendioxid. Erdgas ist deshalb genauso wenig wie Kohle ein zukunftsfähiger Energieträger.

Investitionen in die Erforschung, Kostensenkung und Infrastrukturausbau für Synthesegase aus erneuerbarem Strom hingegen halte ich für sehr sinnvoll.

Die Klimabewegung "Extinction Rebellion" hat in den letzten Wochen in mehreren Ländern protestiert, vor allem mit Straßenblockaden. Zivilen Ungehorsam praktizieren auch andere Teile der Klimabewegung wie die Tagebaubesetzer von Ende Gelände oder die Schulpflichtigen bei Fridays for Future. In Medien und Gesellschaft ist immer wieder die Frage, ob es legitim ist, wegen mangelndem Klimaschutz Gesetze zu brechen. Ist es das?

Das viel zu zögerliche politische Handeln beim Klimaschutz beschwört eine Klimakrise gigantischen Ausmaßes herauf. Wenn Menschen nun mit zivilem Ungehorsam darauf aufmerksam machen, überrascht mich das nicht – auch wenn das nicht mein persönlicher Weg wäre.

Klar ist: Erst der Verstoß gegen geltendes Recht macht diese Aktionen überhaupt zu zivilem Ungehorsam. Dazu gehört auch die Tatsache, dass die rechtlichen Folgen zum Beispiel nach Sitzblockaden von den Aktivisten in Kauf genommen und akzeptiert werden.

Die große Verantwortung der Menschen, die sich für diesen Weg entscheiden, liegt darin, angemessene und kreative Formen zu finden, sodass ihre Botschaft hörbar und sichtbar wird, ohne dass Sympathien für die Sache verspielt oder eine breite Polarisierung in der Gesellschaft angeheizt werden. Die überwiegende Mehrzahl der Aktionen, von denen ich bisher gehört habe, scheint das gut hinzubekommen.

In der medialen Debatte über zivilen Ungehorsam im Zusammenhang mit Klimaschutz finde ich einen Punkt sehr interessant. Spricht man heute über Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, ist man sich schnell über die große Wirkung und historischen Verdienste dieser Persönlichkeiten und der von ihnen angeführten Bewegungen einig.

Bei beiden war der zivile Ungehorsam ein entscheidendes Element, um auf schreiende Missstände aufmerksam zu machen und am Ende massive Verbesserungen zu erreichen. Im Rückblick scheinen also viele zivilen Ungehorsam als legitim zu empfinden, die ihn in ihrer eigenen Zeit und im Zusammenhang mit Klimaprotesten kritisch sehen. Da fragt man sich: Warum?

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dass es laut Energiestaatssekretär Andreas Feicht nun doch kurzfristig beim Thema Smart-Meter-Rollout vorangehen soll. Das Thema ist so lange überfällig, dass verbindliche Aussagen dann doch wieder überraschen.

Die Nachricht ist vordergründig eine gute für die Energiewende, weil es bei der Digitalisierung unserer Energiesysteme vorangehen muss. Allerdings ist dieses wichtige Element der Energiepolitik falsch angepackt.

Die Systeme der ersten Generation, die derzeit zertifiziert werden und so den verpflichtenden Einbau auslösen, sind jetzt schon veraltet und stellen für viele innovative Angebote wie Mieterstrom und kostengünstige Mehrspartenmessungen ein Hemmnis dar und keinen Mehrwert.

Außerdem werden die erheblichen Zusatzkosten für kleine Einspeiseanlagen ab sieben Kilowatt den gerade wieder etwas in Fahrt kommenden Photovoltaikmarkt belasten. Wir brauchen weniger Technokratie!

Fragen: Susanne Schwarz

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