Nun ist es heraus, die Sphinx hat gesprochen. Genauer: zwei Sphinxen. Am 16. September der Bundesvorstand der CDU, am 20. September das Klimakabinett. Was es mit dem geplanten "Bepreisungsinstrument" auf sich hat, wird am besten deutlich, wenn man beide Fassungen und damit auch die Entwicklung betrachtet.
Was im Beschluss des höchsten CDU-Gremiums noch den irreführenden Titel "Nationaler Emissionshandel Gebäude und Verkehr" trug, ist in den Eckpunkten vom 20. September zum "nationalen Emissionshandelssystem (nEHS)" mutiert, welches "ab 2021 eine CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Wärme (Non-ETS-Sektor) einführen" soll.
Faktisch soll allein die Emission von CO2, also die Nutzung fossiler Brennstoffe, zusätzlich bepreist werden. Im Gesetzentwurf, der das später umsetzt, wird formuliert sein: Wer Gas, Heizöl und Treibstoffe fossiler Herkunft in Verkehr bringt, hat dafür pro Einheit x Zertifikate zu erwerben und stillzulegen.
Die Zahl x wird nicht mengenproportional sein, sondern proportional zur Menge an fossilem CO2, welches bei der Verbrennung freigesetzt wird. Bepreist werden Gas und flüssige Energieträger, egal wo diese eingesetzt werden – in sämtlichen Kleinquellen also, mit Ausnahme der Großanlagen, die dem Emissionshandel der EU unterliegen.
Es geht somit um einen Aufschlag auf die Mineralölsteuer. Der ist, so wurde nun entschieden, in den ersten fünf Jahren fixiert, steigt aber jedes Jahr an. Ab 2026 sollen die Zertifikate per Auktion vergeben werden.
Die Fixpreise-Periode wird dann beendet, die Preise sollen sich "frei" am Markt bilden – aber vorsichtshalber doch nicht ganz frei, sondern nur in einem Korridor bis höchstens 60 Euro pro Tonne (entsprechend etwa 18 Cent pro Liter Kraftstoff).
Jochen Luhmann
studierte Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie und promovierte in Gebäudeenergieökonomie. Er war zehn Jahre als Chefökonom eines Ingenieurunternehmens und 20 Jahre am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Er ist Vorstandsmitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und Herausgeber der Zeitschrift Gaia.
Mit dem Fixpreis wäre "fixes" Handeln möglich, eine explizite Mineralölsteuerlösung wäre in einem halben Jahr umsetzbar – ein voll ausgearbeitetes Handelssystem hingegen bräuchte sehr viel mehr Vorlaufzeit.
Und Zeit ist hier, bei der Emissionsminderung im Bereich der Kleinquellen, im wörtlichen Sinne "Geld" – alles, was übrig bleibt, hat der Bundeshaushalt zu tragen. Ob der sich jahrelange Verzögerung leisten kann, sollte in der Finanzplanung durchgerechnet werden.
Es ist zu erwarten, dass die Haushälter des Bundestages die luftigen Pläne noch eine Schraube mehr in Richtung Realismus drehen werden – eine explizite Mineralölsteuerlösung für die ersten fünf Jahre wäre handwerklich das Instrument der Wahl.
Die finanzverfassungsrechtliche Einstufung des neuen Bepreisungsinstruments als "Steuer" oder "Abgabe" mag die Parteipolitik und die Feuilletons beschäftigen – den Konsumenten ist es herzlich egal, was der Name einer staatlich veranlassten Abschöpfung ist, welche die Spritpreise steigen lässt.
Noch etwas, zu dem sich die Koalitionäre bedeckt halten: Wer Wertangaben, sprich Verbrauchssteuersätze, in einer Geldwirtschaft mit Inflation als letztem Mittel lediglich nominal festschreibt, hat die Lektion der "Verbrauchsteuern" in der Geschichte Deutschlands, deren Lenkungswirkung verkommen ist, nicht realisiert.
Auf diese Weise bestimmte Steuersätze werden mit der nächsten Inflationswelle gleich wieder marginalisiert, das ganze schöne Gebäude wird in Trümmern liegen. Dass eine CO2-Mehrwertsteuer ein modernes Instrument wäre, mit Grenzausgleich, sei nur am Rande erwähnt.
Mit dem Klimapaket sollen zwar Innovationen gefördert werden – aber nur technisch. Steuertechnisch verbleibt man im 19. Jahrhundert.
Der Pferdefuß
Aus den kryptischen Äußerungen der CDU-Sphinx war es nur undeutlich zu entnehmen, das Klimakabinett hat nun den Schleier weggezogen: Es werden lediglich die beiden Endenergieträger Öl und Gas CO2-bepreist. Das aber überall, auch in den restlichen drei Sektoren, die es neben "Gebäude und Verkehr" noch gibt.
Damit wird auch der Energieeinsatz in der Landwirtschaft und in kleineren Verbrennungsanlagen der Industrie zusätzlich bepreist – was ja auch vernünftig ist. Doch alles, was es neben CO2 noch an Treibhausgasemissionen gibt, und das betrifft insbesondere den Sektor Landwirtschaft, wird außen vor gelassen.
Damit das nicht auffällt, war "CO2" aus dem Namen dieses Bepreisungsinstruments ausgeschlossen worden – und fehlt nun auch in dem Namen, welchen das Klimakabinett dieser ihrer schweren Geburt gegeben hat.
Der strategische Sinn dieser vernebelnden Benennung ist im Beschluss der CDU erfrischend offenherzig angegeben: "Im Zuge der Etablierung des 'Nationalen Emissionshandels Gebäude und Verkehr' sind weitergehende Emissionsvorgaben für diese Einzelsektoren nicht mehr erforderlich."
Auf eine Deckelung des Gesamtbudgets der Kleinquellen wird verzichtet. Die Botschaft ist: Eine Budgetbegrenzung nach Sektoren, eine genaue Abrechnung dann gemäß politischen Ressorts, wollen wir nicht.
Dass das nicht erforderlich sei, ist unerfindlich. Die CDU will sich dem Zwang zum Budgetprinzip entwinden. Weshalb? Die Antwort: Es wäre klientelpolitisch desaströs.
Mit Budgetprinzip würde das Prinzip der kommunizierenden Röhren gelten. Soll einem Sektor wie der Landwirtschaft, in der Nicht-CO2-Treibhausgase wie Methan und Lachgas dominieren, Rabatt gewährt werden, dann muss der Umfang an Emissionen, der über das "Nationale Emissionshandelssystem" abgedeckt wird, so angehoben werden, dass er die zusätzliche Minderung erbringt, die den Restsektoren erlassen wird.
Das Abwerfen des Zwangs zum Budget, zur Haushaltswahrheit, macht es objektiv schwerer feststellbar, dass die Gesamtambition nicht stimmt.
Nun ist die Verfehlung der angemessenen Ambition mit dem Eckpunktepapier des Klimakabinetts so groß, dass sie vor aller Augen ist. Was ist die Konsequenz, welche die vorliegenden Papiere nicht ausweisen?
Der Haushalt des Bundes soll geradestehen, wenn sich später zeigt, dass die Sektoren in Summe nicht ausgekommen sind mit dem Gesamtbudget. Da ist eine verdeckte Subventionierung angelegt.
Vom Bauernfänger-Beschluss, dass "Emissionsvorgaben für Einzelsektoren nicht mehr erforderlich" seien, werden sich Finanzminister und Haushälter des Bundestages hoffentlich nicht über den Tisch ziehen lassen.
Dass ein Gesamtbudget einhaltbar sei ohne Vorgabe und Detail-Management, einfach so, ist eine lebensfremde Unterstellung. Zu Recht weist der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem offenen Brief darauf hin, dass hier der entscheidende Punkt des Beschlusses am 20. September liege, nicht in hundert Einzelmaßnahmen.
Die Gesamtambition muss stimmen. Darauf ist die öffentliche Aufmerksamkeit zu fokussieren.
Finanzverfassungsrechtliche Prüfung
Zu klären ist, wie das "nationale Emissionshandelssystem" in die Finanzverfassung des Grundgesetzes passt. Haben die Koalitionäre am 20. September etwas Illegales beschlossen und folgt ihnen der Gesetzgeber, so ist viel Zeit vergeudet. Die Rückführung von Emissionen ist dann mal wieder aufgeschoben worden.
Das Öko-Institut hat in einer Pro-bono-Studie auf die Schnelle die zusätzliche CO2-Abgabe via Emissionshandel an den Kriterien der deutschen Finanzverfassung geprüft. Als Experte hinzugezogen wurde Stefan Klinski, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Covering Climate Now
Klimareporter° beteiligt sich wie rund 250 andere Zeitungen und (Online-) Magazine weltweit an der Initiative "Covering Climate Now". Die teilnehmenden Medien verpflichten sich, vor allem in der Woche vor dem New Yorker UN-Klimagipfel am 23. September über die Klimakrise zu berichten. Wir freuen uns über die Bewegung in der Medienlandschaft. Klimaschutz braucht guten und kritischen Journalismus.
Das Ergebnis: Es ist problematisch. Ob eine Form gefunden werden kann, die ohne Verfassungsänderung Bestand vor der etablierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat, ist offen.
Zuvor schon hatte der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages auf die Problematik einer geeigneten Einfügung in das deutsche Finanzverfassungsrecht hingewiesen, welches durch Rechtsprechung, also Richterrecht, stark in seinem ursprünglich gegebenen Gestaltungsraum beschränkt worden ist.
Die Initiative des Öko-Instituts ist beispielhaft. Man hatte erkannt, dass das Modell einer zusätzlichen Bepreisung von CO2, auf das die politische Diskussion sich zubewegte, in seiner rechtlichen Zulässigkeit noch ungeprüft war – also schloss man aus eigenen Mitteln diese Lücke zumindest teilweise.
Das pessimistisch getönte Ergebnis, welches abgeleitet wurde, bezieht sich auf eine Abgaben-Variante, die einen Festpreis für Zertifikate unterstellt – wie im Konzept des Klimakabinetts für die erste Hälfte des nächsten Jahrzehnts vorgesehen.
Wenn es zu der Variante mit Handel kommt, also mit knappheitsbedingt fluktuierenden Preisen, so sieht die finanzverfassungsrechtliche Perspektive besser aus.
Man muss aber ohnehin auf die Einbeziehung der EU-rechtlichen Randbedingungen abstellen – die "heimliche" Spekulation darauf, dass die im CDU-Konzept von der Zusatz-Bepreisung ausgenommenen, also privilegierten, wirtschaftlichen Tätigkeiten darauf hoffen dürfen, dass sie später vom Bundeshaushalt "ausgekauft" werden, ist ein "angelegter" Beihilfetatbestand.
Da wird die EU davor sein, dass ein solches Durchmogeln durchgeht. Hoffentlich.