Als vor zwei Jahren der erste Tanker mit verflüssigtem Erdgas aus den USA in einen europäischen Hafen einlief, sprachen viele vom Beginn einer neuen Ära. Präsident Trumps Ankündigung, die Welt mit Rohstoffen aus seinem Land zu versorgen, schien aufzugehen. Weil die USA einen Gas-Überschuss haben, könnten sie bald zum weltgrößten Gasexporteur aufsteigen, hieß es.
Möglich wurde der Exporttraum durch die Fracking-Technologie, bei der unter hohen Druck Wasser und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst werden. Das so geförderte Schiefergas gibt es in Nordamerika in großer Menge, was in den vergangenen Jahren für einen Erdgasboom sorgte.
In Form von LNG (liquefied natural gas, Flüssigerdgas) ist heute auch der Export per Schiff möglich. Dazu wird das Gas auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt, sodass es flüssig wird und nur noch ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens hat. Die zehn bis 25 Prozent Energieverlust beim Kühlen sind dabei einkalkuliert.
Die Export-Lust in Übersee wird durch die Politik in Europa zusätzlich befeuert. Denn LNG ist auch hier auf Wachstumskurs. Erdgas sei ein "innovativer, kostengünstiger und klimaschonender Energieträger", wirbt die deutsche Lobbyinitiative "Zukunft Erdgas".
Weil es auf den ersten Blick klimafreundlicher ist, sollen Kraftwerke, Schiffe und Lastwagen schrittweise auf Erdgas umgestellt werden. Beispiel Verkehr: Erdgasfahrzeuge verursachen bis zu 25 Prozent weniger CO2 als Benziner. Feinstaub- und Stickoxid-Emissionen werden fast vollständig vermieden.
Gegenüber der Kohle liegt der "Klimavorteil" laut Erdgasbranche auch bei Betrachtung der Vorketten-Emissionen bei über 40 Prozent. Diese Zahlen sind der Grund, warum die EU Erdgas als "Brückentechnologie" fördert. Mit Milliardenhilfen aus Brüssel entstehen nicht nur Pipelines, sondern auch zahlreiche Hafenanlagen für den Import von LNG.
Darauf stellt sich nun auch die deutsche Wirtschaft ein. So schloss das Energieunternehmen Uniper Abnahmeverträge für Erdgas mit dem kanadischen Gaskonzern Pieridae Energy. Die Kanadier bauen auf der Halbinsel Nova Scotia ebenfalls an einem LNG-Terminal. Von dem kanadischen Hafen soll ein Teil der Gasexporte nach Europa kommen, bestätigte Uniper.
Umweltstudien zeichnen ein anderes Bild
Was den Zahlen nach sinnvoll erscheint, ist für viele Umweltschützer eine Katastrophe. "Die Nutzung von LNG als Energieträger ist extrem teuer und klimaschädlich", wettert Regine Richter, Energie-Campaignerin bei der Umweltorganisation Urgewald.
"Die zusätzliche Energie, die benötigt wird, um das Gas zu verflüssigen, zu exportieren und wieder in den Ursprungszustand zu versetzen", sagt Richter, "verschlechtert die Klimabilanz von LNG erheblich."
Tatsächlich gibt es bisher nur wenige Studien, wie gut oder schlecht LNG wirklich fürs Klima ist und wie viele Treibhausgase bei Förderung und Transport anfallen. So kommt es darauf an, wo und wie das Erdgas gefördert, über welche Strecke es mit dem Schiff transportiert und wie es dann weiterverarbeitet wird.
Größtes Klimaproblem sind laut Experten die Methanlecks in Leitungen und an Bohrstellen. Methan, Hauptbestandteil von Erdgas, ist ein starkes Klimagas und laut Weltklimarat IPCC für etwa ein Viertel der menschengemachten Erderwärmung verantwortlich.
Der Lobbyverband "Zukunft Erdgas" zitiert aus einer Studie des europäischen Verbandes für Erdgasfahrzeuge NGVA, wonach die Vorketten-Emissionen von verflüssigtem Erdgas um fast zwei Drittel höher sind als bei Pipelinegas. Die meisten Emissionen fallen demnach bei der Förderung an, der Transport spielt eine geringere Rolle, variiert aber je nach Herkunftsort.
Urgewald verweist wiederum auf eine Studie des Umweltnetzwerks Friends oft the Earth, nach der die Emissionen von LNG und auch von längeren Pipelines mindestens doppelt so hoch sind wie bei regional verbrauchtem Erdgas.
Nicht einkalkuliert sind in beiden Berechnungen die möglichen Methanverluste beim Gas-Fracking. Forscher vermuten, dass bisherige Schätzungen über den Umfang dieser Leckagen in dramatischer Weise zu niedrig angesetzt sind.
"Jede neue Erdgas-Infrastruktur sprengt das CO2-Budget"
Laut der US-Umweltorganisation Environmental Defense Fund melden etwa nur drei Prozent der Gasunternehmen überhaupt Daten über Methanlecks an ihren Förderstätten. Auch "Zukunft Erdgas" muss passen: Für amerikanisches Schiefergas habe man keine Zahlen, weil Exporte aus Übersee bisher einen geringen Anteil hatten.
Der Erdgasverband glaubt zudem an eine "kontinuierliche Reduzierung der Vorkettenemissionen von Erdgas". Die Emissionen beim Pipelinetransport seien innerhalb von drei Jahren durch Modernisierungen um rund zehn Prozent gesunken, sagt der Verband.
Doch Umweltorganisationen wie Urgewald oder der BUND kritisieren nicht nur den Import von LNG. Sie lehnen auch neue Pipelines ab – egal wie modern sie sind.
Nehme man den Klimaschutz ernst, habe der fossile Brennstoff Gas nur eine Zukunft von gerade mal 32 Jahren, rechnen die Umweltschützer vor. Denn bis 2050 müssen laut Pariser Klimaabkommen alle Staaten aus Kohle, Öl und Gas aussteigen, damit die Klimafolgen einigermaßen beherrschbar bleiben.
"Der Bau neuer Infrastruktur zieht die Erschließung neuer Gasfelder nach sich", warnt Regine Richter von Urgewald. "Im noch verbleibenden CO2-Budget ist dafür kein Platz mehr, wenn wir es mit dem Paris-Vertrag ernst meinen."
Die Gaskonzerne sollten endlich auf "grüne" Alternativen zum Erdgas setzen, mahnen Wissenschaftler und die Umweltbranche. Während fossiles Gas absehbar immer teurer werde, werde sich mit Ökostrom erzeugtes synthetisches Gas schneller als gedacht verbilligen. Für die Gasindustrie gebe es hier große Chancen, aber sie habe nicht mehr viel Zeit, sich darauf einzustellen.