Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.
Klimareporter°: Herr Meyer, wenn die Solarenergie hierzulande wieder Erfolg haben soll, muss Deutschland seine Prosumer fair bezahlen. Doch was die Bundesnetzagentur bisher vorschlägt, ist das genaue Gegenteil, kritisieren Claudia Kemfert und Eicke Weber in einem Gastbeitrag für Klimareporter°. Wie sehen Sie das?
Tim Meyer: Ich sehe das genauso. Prosumer, die ihren Strombedarf zum Teil durch Eigenerzeugung decken, müssen und werden eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen. Übrigens nicht nur, um den Solarausbau anzukurbeln, sondern auch, um ein anderes Energiewende-Versprechen zu erfüllen: die Teilhabe an der Energieversorgung.
Daher muss die Eigenverbrauchsbelastung über die EEG-Umlage abgeschafft und durch maßvolle Netznutzungsbeiträge ersetzt werden. Und wenn Überschüsse ins Netz eingespeist werden, müssen diese natürlich vergütet werden – bei Neuanlagen mit der entsprechenden EEG-Förderung und bei Altanlagen nah am Marktwert.
Eine solche Kombination von Eigenverbrauch und Überschusseinspeisung stünde Prosumern sogar nach den Modellen der Bundesnetzagentur offen, in der sogenannten "Markt-Option". Das Problem ist aber: Die Umsetzung wird hier unnötig verkompliziert und verteuert, sodass diese Option volkswirtschaftlich unsinnig und für Prosumer absolut unwirtschaftlich ist. Die geforderte Vermarktung der Überschussmengen auf Viertelstunden-Basis ist für wenige tausend Kilowattstunden pro Jahr und Anlage absurd.
Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger als ein angepasstes Standardlastprofil für Prosumer und deren Überschusseinspeisung. Also das gleiche Verfahren, nach dem Stromkunden ohne Eigenerzeugung seit Jahrzehnten einfach und kostengünstig bilanziert und abgerechnet werden. Die Modelle der Bundesnetzagentur wirken daher tatsächlich wie Verhinderungsregulierung – trotz wohlklingender Einladung an Prosumer.
Es geht aber nicht nur um die Prosumer. Wenn wir wirklich breite Bevölkerungsschichten bei der Energiewende mitnehmen wollen, dürfen wir den Blick nicht nur auf Energiewende-Profis oder Menschen verengen, die sich selbst als aktive Teilnehmer des Energiemarktes verstehen. Die sind als Pioniere zwar ungemein wichtig, die meisten Menschen wollen sich aber doch gar nicht mit Stromverkauf an Nachbarn oder aktiver Eigenverbrauchsoptimierung beschäftigen oder haben gar nicht die Möglichkeiten.
Einerseits brauchen wir deshalb unbedingt Verbesserungen beim Mieterstrom und Rahmenbedingungen für gemeinschaftliche Erneuerbaren-Versorgung, damit auch die vielen Haushalte ohne verfügbare Dachflächen von solchen Modellen profitieren können.
Andererseits benötigen wir rechtzeitig eine Diskussion darüber, welche Macht und welche Daten zukünftig große Prosumer-Plattformen erhalten, wie viel Autonomie und Eigenverantwortung für Prosumer am Ende tatsächlich bleibt, wie beispielsweise Wechselmöglichkeiten und damit Wettbewerb gesichert werden und wie hier reguliert werden muss.
Das Recht an den eigenen Daten und die echte Wahlfreiheit des Plattformanbieters muss auch für Prosumer gelten.
Trotz gegenteiliger Selbstverpflichtungen sinken die Subventionen für fossile Energieträger in Deutschland nicht, zeigt eine neue Analyse. Wie ließen sich diese Fehlanreize abbauen?
Die Analyse ist neu, die Erkenntnisse nicht. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft und andere weisen schon seit Jahren auf klimaschädliche Subventionen hin und zeigen diese detailliert auf. Es fehlt also nicht an Informationen, sondern am politischen Willen.
Dass sich steuerliche Regelungen bei entsprechendem Ehrgeiz auch sehr schnell anpassen lassen, hat die Bundesregierung in ihrem Corona-Maßnahmenpaket ja eindrücklich unter Beweis gestellt. Die Mehrwertsteuersenkung war vorher von Experten kaum diskutiert worden. Von der Idee bis zum Beschluss ging das in wenigen Stunden mit einer Umsetzungsfrist im Bereich von Tagen.
Das war vielleicht doch ein bisschen zu schnell, die Ad-hoc-Umstellung hat die Energiewirtschaft und viele andere Sektoren massiven Aufwand gekostet. Aber: Es geht, wenn man nur will.
Die Abschaffung von Subventionen für fossile Energieträger sollte daher ein Klacks sein. Entsprechender Expertenrat und gesellschaftliche Unterstützung sind ausreichend vorhanden. Es bleibt zu hoffen, dass eine neue Bundesregierung engagierter ist und nicht noch mehr Zeit verplempert.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Erneuerbare Energien haben im ersten Halbjahr 50 Prozent des Strombedarfs gedeckt – ein tolle Wegmarke! Dass diese Marke schon jetzt geknackt wurde, hat mich überrascht. Zugegebenermaßen resultiert sie auch aus einem sehr besonderen Jahr 2020 mit einem Zusammentreffen aus guten Solar- und Winderträgen und coronabedingt geringem Stromverbrauch. Aber sie zeigt: Es geht. Und es geht auch weiter schnell voran, wenn wir nur wollen.
Dazu passt dann leider auch eine zweite Zahl, denn es wurden auch die Ausbauzahlen bei der Windenergie veröffentlicht. Die lagen mit knapp 600 Megawatt weiterhin deutlich unter dem Notwendigen und auch unter den ohnehin schon zu geringen Zielen der Bundesregierung.
Die Zahlen zusammengenommen erzählen eine durchaus zutreffende Geschichte: Wir haben bei der Energiewende in Deutschland schon einiges erreicht – aber leider auch das Tempo rausgenommen. Gerade bei der Windenergie, die inzwischen der wichtigste Energieträger im deutschen Strommix ist, muss der Ausbau dringend wieder in Gang gebracht werden. Und bei der Solarenergie muss das Potenzial endlich konsequent erschlossen werden.
Es kann nicht sein, dass die EEG-Ausschreibungen bei der Photovoltaik ständig überzeichnet sind. Das heißt, dass baureife Projekte keinen Zuschlag bekommen und dann nicht verwirklicht werden, obwohl uns beim Klimaschutz die Zeit davonrennt.
Die in einigen Bundesländern diskutierten Solar-Pflichten können ein guter Hebel werden, um das zu ändern. Künftig werden wir dann hoffentlich nur noch von immer neuen Erneuerbaren-Rekordmarken überrascht und nicht mehr von gleichzeitigen Warnmeldungen.
Fragen: Verena Kern