Windkraft
Windpark bei Hamburg. (Foto: Jens Meier/BWE)

Wer begründen will, warum die Windkraft in Deutschland mehr Beschäftigung schafft als die ganze Braunkohlebranche, hat es von den Zahlen her nicht schwer. Die von der Prognos AG am heutigen Freitag in Berlin vorgelegte Studie im Auftrag des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zählte für 2018 rund 64.000 Beschäftigte, die allein in den Kernbereichen für die Windkraft an Land tätig sind. Michael Böhmer von Prognos nennt das eine "eher konservative" Berechnung des Arbeitsplatzeffekts.

Damit hat er ohne Zweifel recht. Denn Prognos berücksichtigt quasi nur die direkt Beschäftigten. Die Braunkohle-Branche zum Beispiel schätzt die eigene Beschäftigtenzahl meist noch großzügig auf bundesweit 20.000, rechnet dann aber 40.000 Leute hinzu, die durch die Investitionen und Aufträge der Kohle Lohn und Brot hätten – und dann noch einmal mehrere tausend sogenannte induzierte Arbeitsplätze, die von den Konsumausgaben der Kohlearbeiter leben würden.

So weit treibt es Prognos bei der Windkraft an Land nicht. Die "induzierte Beschäftigung" sei zu unspezifisch, als dass man sie berücksichtigen könnte, erläutert Böhmer heute in Berlin. Nimmt man wenigstens die indirekte Beschäftigung hinzu, kommt zum Beispiel eine Studie der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung für das Jahr 2015 auf über 120.000 Beschäftigte im Bereich der Land-Windenergie.

Die Hochzeit der Beschäftigung ist aber im Grunde schon passé. Erst Ende September verkündete Vestas, der weltgrößte Windkraftanlagenhersteller, in seinem Lausitzer Werk in Lauchhammer 500 Jobs und damit dort fast jeden zweiten Arbeitsplatz zu streichen. Schon Ende April hatte der älteste deutsche Hersteller von Windkraft-Turbinen Senvion Insolvenz anmelden müssen. 1.800 Arbeitsplätze drohen zu verschwinden.

Jeder dritte Wind-Job droht wegzufallen

"Gesamtwirtschaftlich gesehen ist die Branche nicht Nichts", stapelt der Prognos-Experte tief. Der wirkliche Tiefschlag für die Windanlagen-Hersteller droht aber erst noch zu kommen. Bleibt es auch in den kommenden Jahren beim aktuellen Ausbauniveau der Windkraft an Land von etwa 1.000 Megawatt jährlich, dann werden laut Prognos bis 2030 knapp 30 Prozent der heutigen Beschäftigung verschwinden – jedenfalls aus Deutschland.

Derzeit exportierten die Hersteller 60 Prozent ihrer Anlagen ins Ausland – und wenn dieser Anteil weiter steigt, werden sich die Unternehmen überlegen, ob sie noch hierzulande produzieren wollen, warnte Böhmer. Schließlich seien die Produkte auch sehr "transportintensiv". 

Selbst wenn der Ausbau später wieder anziehen sollte, kämen dann die Hersteller nicht wieder, warnt die Branche selbst – dann würden die Anlagen importiert, so wie das heute bei der Photovoltaik der Fall ist. Trete das Szenario auch beim Wind ein, würden Deutschland "weltweit gigantische Exportchancen" entgehen, appelliert der VDMA.

Diese Entwicklung ließe sich beim 1.000-Megawatt-Szenario, das Prognos sinnigerweise "Gegenwind" getauft hat, kaum verhindern. Dann ginge die installierte Windleistung an Land sogar von heute 52.000 Megawatt auf 46.000 Megawatt zurück.

Bleibt es wenigstens beim Ausbaupfad des EEG 2017 mit jährlich 2.900 Megawatt Zuwachs, würde die Bundesregierung bis 2030 ihr Ziel von 65 Prozent erneuerbarem Strom ebenso verfehlen wie das Klimaziel, aber die Beschäftigung würde in etwa gleich bleiben.

Einen klimapolitisch wirklich entscheidenden Zuwachs bei den Wind-Jobs, der auch den Kohleausstieg kompensiert, gibt es laut Prognos nur, wenn jährlich um die 4.700 Megawatt an Land hinzukommen und 2030 rund 73.000 Megawatt erreicht werden. Dann legt auch die Beschäftigung um zehn Prozent zu.

Windbranche sieht Politik in der Bringpflicht

Um das Szenario "Gegenwind" nicht wahr werden zu lassen, adressieren die Hersteller ihre Forderungen vor allem an die Politik. Das Aufgabenpapier, das Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich für Wind an Land vorlegte, sei jetzt in einer "konzertierten Aktion" von Bund und Ländern umzusetzen, fordert Matthias Zelinger vom VDMA. Spätestens im kommenden Jahr müsse es ein deutliches Signal an die Branche zu einer Trendwende geben – ansonsten drohe ein Exodus der Investitionen.  

Aus Zelingers Sicht muss vor allem die Genehmigung von Windanlagen "rechtssicher" werden, zudem seien mehr Flächen bereitzustellen. Dass die generelle Abstandsregelung mit 1.000 Metern zu Wohnbauten sowie die spezielle 10-H-Regel für Bayern wieder gekippt werden könnten – darin setzen die Hersteller aber offenbar wenig Hoffnung.

Mehr Chancen rechnen sie sich dadurch aus, beim Artenschutz den Klimaschutz als Ausnahmetatbestand gesetzlich geregelt zu bekommen. Hier gebe es zu viel "Interpretationsspielraum" bei der Genehmigung. Auch eine kürzere Abstandsregelung bei Funkfeuern hält die Branche für erreichbar.

Grüne fordern "moderne Industriepolitik"

Die Bundesregierung fährt eine weitere Zukunftsbranche gegen die Wand – das ist für die Grünen die Essenz der Prognos-Studie zur Jobentwicklung in der Windindustrie. "Das Beispiel Windenergie macht deutlich, wie sehr diese Regierung die ökologische Transformation der Wirtschaft behindert", sagte die energiepolitische Fraktionssprecherin Julia Verlinden. Wirtschaftsminister Altmaier müsse "auf eine moderne Wirtschafts- und Industriepolitik umschwenken, die auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz basiert". Das gehe nicht ohne eine starke eigene Windindustrie.

Was die Windbranche selbst beitragen kann, dazu kamen vom VDMA heute in Berlin eher weniger konkrete Ideen. Eigentlich sei die Akzeptanz für Windkraft in der Bevölkerung gut, nur der "praktische Widerstand" vor Ort sei hoch, hieß es.

Man könne sich eine finanzielle Beteiligung der Kommunen mit einem "Festbetrag" pro installiertem Megawatt vorstellen. Das Papier des Wirtschaftsministers schlägt hier vor, dass die Kommunen für Windeignungsflächen eine höhere Grundsteuer verlangen können.

Auch wolle man, so der VDMA, des Nachts Windkraftanlagen dann aus dem Wind nehmen oder abschalten, wenn diese doch zu viel Lärm machten, und man kümmere sich auch um die bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung.

Für letztere sorgt, wie zu hören ist, schon das Bundeswirtschaftsministerium selbst. Bis Ende des Jahres könnte eine Verordnung vorliegen, die auch bestehende Windkraftanlagen zu einer Befeuerung verpflichtet, die nur dann leuchtet, wenn sich ein Flugzeug nähert.