Mann fährt mit einem Lastenrad, in dem er ein Schlagzeug transportiert.
Kaufbeihilfen sollte es für Lastenräder und E-Bikes geben, nicht für Diesel-Pkw, sagt Rainer Grießhammer. (Foto: Donk-EE)

Klimareporter°: Herr Grießhammer, was bedeutet die Coronakrise für den Klimaschutz?

Rainer Grießhammer: Corona hat die Welt verändert. Die Politik hat gezeigt, dass sie schnelle, harte und einschneidende Maßnahmen treffen kann. Die Bürger haben die Maßnahmen mitgetragen und eine erstaunliche Solidarität bewiesen.

Und wir alle haben gemerkt, was uns wirklich wichtig ist. Familie und Freunde, emotionale Nähe und Gemeinschaft, Gesundheit, Radeln, Spazierengehen. Und dass wir dauerndes Unterwegssein, ineffiziente Geschäftsreisen und Frustshoppen nicht brauchen.

Mit Schutzmasken, Abstandhalten und Impfschutz können wir das Corona-Virus bekämpfen, aber nicht die Klimaerhitzung. Und die geht leider ungehindert weiter.

2019 war in Europa das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen im Jahr 1880. Und die Landwirte und Waldbesitzer warnen schon vor der nächsten Dürrekatastrophe.

Aber die Wirtschaftsexperten befürchten, dass die Coronakrise die Industriestaaten so stark treffen könnte wie die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre. Müssen da nicht alle Register gezogen werden, damit die Schornsteine wieder rauchen?

Tatsächlich schlittern wir in eine dreifache Krise. Corona, Klimaerhitzung und nun auch noch eine massive Wirtschaftskrise.

Natürlich muss die Wirtschaft wieder angekurbelt werden. Aber dafür müssen nicht die fossilen Schornsteine rauchen, sondern unsere Köpfe. Wir brauchen keine Uraltkonzepte, sondern zukunftssichere und systemrelevante, systemsichernde Innovationen und Investitionen, die dauerhaft Arbeitsplätze schaffen, die unsere Gesundheit und das Klima schützen.

Wirklich systemrelevant sind erneuerbare Energien, energieeffiziente Gebäude, eine gesunde fleischarme Ernährung, sichere Radwege und ausreichend Elektroladestationen.

Wir können es uns als Volkswirtschaft nicht mehr leisten, mit Hunderten Milliarden Euro gerade die Branchen, Produkte und Dienstleistungen hochzupäppeln, die sowieso und zu Recht auf dem absteigenden Ast sind. Wir dürfen die Hilfsgelder nicht für SUV, Dieselautos, Kreuzfahrtschiffe und Ferienflieger verschwenden.

Der CDU-Wirtschaftsrat hat dagegen gefordert, die Klimaschutz-Vorgaben wegen des Konjunktureinbruchs auf den Prüfstand zu stellen. Es drohe eine "De-Industrialisierung" Deutschlands wegen zu ambitionierter CO2-Ziele. Ist da nichts dran?

Nein – an solchen Ideen ist wirklich gar nichts dran. Noch vor wenigen Monaten waren sich die meisten Experten mit weiten Teilen der Wirtschaft einig, dass das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung deutlich zu schwach ist und die Klimaziele damit nicht erreicht werden.

Porträtaufnahme von Rainer Grießhammer.
Foto: Patrick Seeger/​DBU

Rainer Grießhammer

Der promovierte Chemiker und langjährige Geschäfts­führer des Öko-Instituts in Freiburg warnte bereits früh vor dem Klimawandel und forderte in viel gelesenen Büchern eine engagierte Klimapolitik und nachhaltigen Konsum. Unlängst erhielt er das Bundes­verdienst­kreuz. Sein neues Buch heißt "Klima retten: Jetzt Politik und Leben ändern".

Selbst knallharte Kapitalisten wie McKinsey oder Blackrock haben viel mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit gefordert.

Investitionen in Klimaschutz kosten Geld. Geld, das jetzt nicht da ist ...

Es ist genug da. Die Bundesregierung will zur Krisenbewältigung 750 Milliarden Euro ausgeben. Natürlich soll ein Teil davon in die Vermeidung von Konkursen und in Liquiditätshilfen gehen, aber der große Teil muss eben in systemrelevante Bereiche wie erneuerbare Energien oder anspruchsvolle Gebäudesanierung fließen.

Darüber hinaus gibt es viele Lösungen für die Dreifach-Krise, die praktisch nichts kosten und der Gesundheit und dem Klimaschutz dienen. Zum Beispiel Videokonferenzen in Unternehmen statt teurer, stressiger, zeit- und kostspieliger Geschäftsreisen.

Oder Tempolimits innerorts, auf Landstraßen und Autobahnen: 30, 80, 120 Stundenkilometer. Dadurch werden jährlich Tausende von Unfalltoten vermieden, Hunderttausende Verletzte und Zehntausende von Schwerverletzten.

Die Intensivstationen und das Gesundheitssystem würden doppelt entlastet. Es gäbe weniger Verletzte und auch weniger Herz-Kreislauf- und Lungen-Kranke, weil die Luft besser wäre.

Der CO2-Preis soll Anfang 2021 kommen. Sprit und Heizenergie werden dann teurer. Muss wenigstens das nicht verschoben werden, bis die Krise überwunden ist?

Die steigende CO2-Bepreisung war ja geplant, um den Übergang in CO2-arme Wirtschaftsweisen und Produkte zu fördern. Im Übrigen ist der beschlossene Eingangssatz mit 25 Euro pro Tonne CO2 ja viel zu gering und wird schon durch normale Ölpreisschwankungen kompensiert.

Jetzt ist der Ölpreis auf einem historischen Tief, Sprit und Heizenergie sind bereits deutlich billiger geworden. Wenn das so bleibt, wird der langsam steigende CO2-Preis erst in einigen Jahren wirken – also viel zu spät.

Die CO2-Bepreisung müsste jetzt also eher erhöht werden, und die Einnahmen über Pro-Kopf-Prämien an die Bürger zurückverteilt werden – wie in der Schweiz.

Auch für die Energiebranche werden Entlastungen gefordert. Verschiebung oder Aussetzung des Kohleausstiegs, Einfrieren der EEG-Abgabe, Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken. Ist das auch alles unsinnig?

Interessierte Kreise nutzen die Krisen leider für Verteilungskämpfe und wollen notwendige Veränderungen aufhalten. Aber wir haben schlicht keine Zeit mehr, um die CO2-Emissionsminderungen in die Zukunft zu verschieben.

Und ausgerechnet zum Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe längere Laufzeiten für unsichere Atomkraftwerke zu fordern, ist schon dreist.

Die Autobranche ist mit am stärksten gebeutelt. Wie könnte man ihr helfen?

Zuerst einmal sollen die Konzerne eigenes Geld einsetzen. Sie haben jahrelang hohe Gewinne eingefahren, haben hohe Rücklagen, planen weiterhin hohe Dividenden-Auszahlungen und zahlen weiterhin viel zu hohe Vorstandsbezüge und Boni, obwohl sie den Einstieg in die Elektromobilität verschlafen haben.

Prämien zum Kauf von Dieselautos sind völlig unmöglich. Denkbar sind allenfalls Darlehen für die notwendigen Produktionsumstellungen in Richtung Elektromobilität und für die Batterieentwicklung.

Wer in Diesel investiert, lässt sich von Tesla überholen. Ansonsten erinnere ich an meine alte Forderung: Kaufbeihilfe für Elektrobikes und Lastenräder.

Die Coronakrise hat uns die Anfälligkeit der globalisierten Wirtschaft besonders deutlich vor Augen geführt. Was sind hier die Lehren?

Rollback oder Öko-Neustart?

Kohleausstieg verschieben, CO2-Preis überprüfen, Pkw-Emissionsziele strecken: Aus Wirtschaft und Politik mehren sich die Forderungen, Klimaschutz-Regeln beim Ankurbeln der Wirtschaft auszusetzen oder zu streichen. Der Corona-Neustart muss aber genutzt werden, um Klima- und Umweltschutz den überfälligen Push zu geben. Wie, das beleuchtet Klimareporter° in einer Interview-Serie mit prominenten Fachleuten.

Da müssen viele Lieferketten geändert werden. Zentrale systemrelevante Produkte wie Schutzanzüge und -masken, Arzneien und Impfstoffe müssen hier produziert werden. Das Gleiche gilt für viele Vorprodukte aus dem industriellen Bereich.

Bei Öl und Gas werden wir immer wieder – wie jetzt – mit gefährlichen politischen Manövern und Spekulationen an den Finanzmärkten konfrontiert. Wir müssen uns von der Abhängigkeit von importierten Energieträgern so weit wie möglich lösen.

Heißt beispielsweise: die heimische Windkraft schnell und massiv ausbauen. All das schafft übrigens auch Arbeitsplätze.

Die Fridays-for-Future-Bewegung versucht gegen den Absturz des Klima-Themas gegenzusteuern – etwa mit einem globalen Online-Demo-Tag. Hat das überhaupt eine Chance?

Die Jugendlichen waren mit Fridays for Future ja deswegen so erfolgreich, weil sie sich auf eine bereits starke Klimaschutzbewegung stützen konnten und weil nach dem Dürresommer 2018 allen klar war, dass Klimaerhitzung und Extremereignisse jetzt auch in Deutschland zuschlagen.

In der Coronakrise haben die Jungen die Alten unterstützt, in der Klimakrise müssen die Alten die Jungen unterstützen.

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