Klimareporter°: Frau Peter, wegen Ihres Telefonverzeichnisses und Ihrer Kontakte gelten Sie jetzt als die bestvernetzte Energielobbyistin in Berlin. Wie fühlt sich das an?
Simone Peter: Gut fühlt sich an, dass wir nun eine Regierung haben, die Klimaschutz und Energiewende zu einem ihrer Schwerpunkte erklärt hat. Das sind ja auch seit Jahrzehnten meine.
Die Eröffnungsbilanz von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck und die daraus abgeleiteten Maßnahmen, um die Energiewende zu beschleunigen, entsprechen in vielen Aspekten unseren Forderungen. Da fühlen wir uns als Verband gut aufgehoben.
Die Eröffnungsbilanz von Habeck werten Sie als Beginn einer neuen Ära. Beginnt jetzt nicht erst einmal eine Reparatur von anderthalb Jahrzehnten Regierungszeit?
Ja. Diese Reparatur ist aber notwendig, weil Klima- und Energiepolitik die preisgünstigen Erneuerbaren zuvor bremste, anstatt sie zu beflügeln.
In der Regierung weht jetzt ein ganz anderer Wind. Bis Ostern soll in einem ersten Gesetzespaket eine EEG-Novelle – also nicht nur eine Reparatur – im Kabinett beschlossen und bis Sommer verabschiedet werden.
Viele Weichen werden jetzt richtig gestellt. Es geht um mehr Strom für die Sektorenkopplung, um mehr E-Mobilität und um eine Wärme-Offensive inklusive eines Wärmepumpen-Rollouts. Das hat schon einen weitergehenden Effekt als den einer Reparatur.
Sind die Schubladen der neuen Regierung leer oder liegt da was drin?
In den Schubladen liegt etwas. Das hat die Eröffnungsbilanz auch deutlich gemacht. Was für die ersten Gesetzesvorhaben jetzt angekündigt ist, wurde ja schon länger von Energiewissenschaftlern und Instituten erarbeitet. Und auch die erste Verbändeanhörung mit der Erneuerbaren-Branche fand schon in dieser Woche statt.
Mit Experten wie Patrick Graichen, Oliver Krischer und Robert Habeck als Minister selbst ist das Wirtschafts- und Klimaministerium samt des neu motivierten Teams gut aufgestellt.
Ich kenne das selbst. Ich hatte bis 2009 viele Jahre für Energieverbände gearbeitet, wurde dann Ministerin – und wusste gleich, was ich zu machen habe.
Der BEE legte jetzt eine Studie für einen klimaneutralen Strommarkt vor. Deren Vorstellungen gehen deutlich über die Ziele der Ampel-Koalition hinaus. So hält Ihr Verband den Neubau zehntausender Megawatt Gaskraftwerke bis 2030 für unnötig. Sie wollen das deutsche Stromsystem vor allem mit Biogas, Speichern und viel Flexibilität stabil und sicher halten. Ist das realistisch?
Die Studie zeigt klar, dass die Energiewende kostengünstiger ist, wenn wir die heimischen Erneuerbaren stärker nutzen, somit den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen und weniger importiertes fossiles Erdgas oder später importierten Wasserstoff einsetzen. Das ist betriebs- und volkswirtschaftlich besser, es sichert auch unsere Versorgung auf nachhaltige Weise und ist klimafreundlicher.
Simone Peter
leitet seit 2018 den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), die Dachorganisation der Ökoenergie-Verbände. Die promovierte Biologin wurde ab 1999 als energiepolitische Expertin bei den Grünen im Saarland und im Bundesverband bekannt. Bei Eurosolar war sie unter anderem Chefredakteurin der Zeitschrift Solarzeitalter. Sie baute die Agentur für erneuerbare Energien mit auf und leitete die Branchenorganisation bis 2006. In der ersten "Jamaika-Koalition" 2009 im Saarland wurde sie Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr. Bis 2018 war sie fünf Jahre Bundesvorsitzende der Grünen.
Heute verhindert der regulatorische Rahmen im Strommarkt aber den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Dafür fehlt es an der ökonomischen Grundlage. Daher sind Veränderungen des heutigen Strommarkts notwendig.
In Deutschland sind über 9.500 Biogasanlagen in Betrieb. Diese können bei flexiblem Betrieb die fluktuierenden Quellen Sonne und Wind hervorragend ausgleichen und nebenbei Kommunen direkt mit Wärme beliefern oder grünes Gas herstellen und dieses ins Gasnetz einspeisen.
Das ist ein Riesenpotenzial und liefert – ergänzt durch Speicher, Wasserkraft, Geothermie und Kraft-Wärme-Kopplung – nicht nur ausreichend gesicherte Leistung, sondern stabilisiert auch die Marktwerte der erneuerbaren Energien.
Zudem können wir in Deutschland selbst bis zu 100.000 Megawatt Elektrolyse-Leistung mit einer hohen regionalen Wertschöpfung betriebswirtschaftlich rentabel aufbauen. Ein Import von grünem Wasserstoff wäre dann nicht mehr zwingend notwendig.
Der nächste Schritt in der Energiewende soll nun sein: Die Erneuerbaren begnügen sich nicht mehr damit, Strom zu erzeugen, sie übernehmen die Verantwortung fürs gesamte Energiesystem. Das fordern Experten, das will auch Ihr Verband. Im Moment bestimmen aber noch die alten Player und die fossilen Energien die Spielregeln am Markt – wie an der Strompreiskrise zu sehen ist. Wie kann das geändert werden?
Wir stehen energiepolitisch an einem Scheideweg. Gehen wir den Weg der Erneuerbaren, die im Falle von Wind und Sonne ohne Brennstoffkosten auskommen, oder verlängern wir künstlich das Leben des fossilen Systems auf Basis von importiertem Erdgas? Letzteres wird eindeutig teurer und schafft weniger regionale Wertschöpfung.
An den Fraunhofer-Energiecharts im Dezember war abzulesen, dass der hohe Strompreis von einigen hundert Euro je Megawattstunde an den Tagen mit viel Sonneneinstrahlung oder viel Wind sogleich sank – und das sogar erheblich, um 100 bis 200 Euro je Megawattstunde.
Bauen wir die fluktuierenden Erneuerbaren – Wind und Photovoltaik – also massiv aus und schaffen gleichzeitig Flexibilität durch Speicher, Kraft-Wärme-Kopplung und Bioenergie und bringen wir die Sektorenkopplung voran, dann schaffen wir ein kostengünstigeres, dezentrales und smart vernetztes Stromsystem.
Das muss national wie europäisch organisiert werden. Dagegen ist die Entscheidung der EU vorgestrig, Erdgas und Atomkraft als nachhaltige Investitionen in der Taxonomie zuzulassen.
Ich bin überzeugt, wenn wir mit einer Energiewende 2.0 im Industrieland Deutschland zeigen, dass es mit fluktuierenden und flexiblen Erneuerbaren günstiger geht, wird das eine breite Wirkung entfalten. Denn bereits die Energiewende 1.0 war ein Erfolgs- und Exportschlager.
Dazu müssen aber doch auch die Spielregeln am Strommarkt geändert werden. Dass das teuerste fossile Kraftwerk den Preis bestimmt, davon haben die Erneuerbaren nicht viel. Sie bekommen ihr Geld in der Hauptsache über die EEG-Förderung und haben ohnehin einen Einspeisevorrang. Erneuerbare wirken derzeit nur dann preissenkend, wenn sie fossile Kraftwerke, bildlich gesprochen, aus dem Markt hinausschieben. Muss hier nicht ein anderer Mechanismus her?
Direkt in die Preisbildung am Markt einzugreifen, ist unsere Absicht nicht. Unsere Studie macht aber Vorschläge, wie extreme Strompreise, die sowohl für die Volkswirtschaft als auch für die erneuerbaren Energien schwierig sind, verhindert werden können.
Damit können zum einen die Zeiten negativer Strompreise vermieden werden, in denen erneuerbare Energien keine Marktprämie erhalten und ihnen damit die betriebswirtschaftliche Grundlage entzogen wird.
Zu anderen kann dann mittels Bioenergie, Kraft-Wärme-Kopplung und Speichern ausreichend steuerbare Leistung für die Versorgungssicherheit bereitgestellt werden. So werden teurere fossile Kraftwerke aus dem Markt gedrängt und der Anstieg des Strompreises wird begrenzt.
Zudem wollen wir die Sektorenkopplung anreizen, indem in Norddeutschland mit viel erneuerbarer Stromerzeugung Wasserstoff-Elektrolyseure aufgebaut werden oder Power-to-Heat-Anlagen dort, wo Wärmebedarf besteht.
Mit der Studie können wir auch zeigen, dass so gut wie keine neuen wasserstoffgefeuerten Gaskraftwerke gebraucht werden, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu garantieren.
Verantwortung fürs ganze Energiesystem zu übernehmen, schließt auch soziale Aspekte ein. Wann wird der BEE zum Beispiel eine Beobachtungsstelle für Energiepreise einrichten?
Der Börsenpreis-senkende Effekt von Wind- und Solarstrom mit Kosten von derzeit maximal sechs Cent die Kilowattstunde muss endlich auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen.
Deswegen muss die Systematik, so wie in unserer Studie vorgeschlagen, verändert werden. Hier werden wir uns bei der angekündigten Plattform "Klimaneutrales Stromsystem" beim Wirtschaftsminister einbringen.
Inzwischen hat der BEE den Widerstand dagegen aufgegeben, dass die EEG-Umlage nicht mehr von den Stromkunden, sondern aus dem Bundeshaushalt gezahlt wird.
Ja. Wir haben aber weiter Sorge, dass der Ausbau der Erneuerbaren von den Entscheidungen der Haushälter und der EU-Kommission abhängig gemacht wird. Das halten wir nach wie vor für ein Problem.
Klar ist aber auch, dass niedrige Strompreise die Sektorenkopplung stimulieren, denn die EEG-Kosten fallen dann ja beim Endkundenstrompreis weg.
Leider wird die niedrige EEG-Umlage gegenwärtig von den hohen Börsenstrompreisen überkompensiert, denn der Preis richtet sich nach den teuren fossilen Kraftwerken.
Am Horizont erscheint schon die Forderung, das EEG ganz abzuschaffen. Fachleute halten die garantierte Einspeisevergütung langfristig nur noch für private Solar-Haushalte für notwendig. Diese können – im Unterschied zu großen Investoren – die Risiken des Strommarktes nicht abschätzen und tragen.
Unsere Studie zeigt, dass mit wachsender Sektorenkopplung und der Schaffung ausreichender Flexibilitätsoptionen im Energiesystem die Erneuerbaren ab 2040 marktfähig sind. Bis dahin braucht es also noch ein Förderregime, und das möglichst haushaltsunabhängig.
Die aktuelle Förderdauer von 20 Jahren sollte aber in eine Förderung überführt werden, bei der eine bestimmte Menge an erneuerbarem Strom gefördert wird. Das ermöglicht es den Erzeugern, selbst auf die Entwicklung der Strompreise zu reagieren. Das würde den wirtschaftlichen Betrieb der Erneuerbaren-Anlagen sichern und die Strompreise stabilisieren.
Es folgt Teil 2: "Wir sehen Bioenergie nicht als Übergangsenergie"