Klimareporter°: Frau Peter, wir sprachen über den besten Weg in der Energiewende. Das Konzept Ihres Verbandes, als "Übergangsenergie" die Bioenergie anstelle von Erdgas zu etablieren, leidet nach wie vor unter der "Tank oder Teller"-Debatte: Der massenhafte Anbau von Energiepflanzen entzieht Agrarflächen der menschlichen Ernährung. Auch die Artenvielfalt wird beeinträchtigt.
Simone Peter: Wir sehen die Bioenergie nicht als "Übergangsenergie", denn sie liefert wichtige steuerbare Leistung. Aber wenn wir artenreiche Flächen wollen, dürfen wir die Landwirte damit nicht alleine lassen. Sie müssen von ihrer Arbeit leben können.
Auch mit den Naturschutzverbänden sind wir hierzu im Austausch. Wir sind gespannt auf das Aktionsprogramm "Natürlicher Klimaschutz", das bis Ostern vom Bundesumweltministerium vorgelegt wird. Auch mehr Rest- und Abfallstoffe in Vergärungsanlagen zu nutzen, ist ein Thema. Da schlummern noch große Potenziale.
Wir brauchen "grüne Moleküle" für die Energiewende. Das kann grüner Wasserstoff, aber auch die heimische Bioenergie sein.
Seit Jahren warte ich darauf, dass die Bioenergie-Branche sich freiwillig verpflichtet, einen Flächenanteil für "bunte Biomasse" zu reservieren, wie es im Branchensprech heißt. Warum wird da immer noch auf die Politik gewartet?
Es gibt schon Initiativen für mehr Blühpflanzen auf den Flächen. Ich habe mir das im letzten Sommer in Baden-Württemberg angeschaut.
Nur – das muss wirtschaftlich umsetzbar sein. Fossile Strukturen haben uns schon Milliarden Steuergelder gekostet, dann sollte uns Biodiversität bei der Bioenergie auch etwas wert sein. Letztlich fehlen derzeit doch nur ein paar Cent an den Erlösen.
Die Ampel-Parteien haben sich im Koalitionsvertrag allerdings auf Erdgas als die "Backup"-Technik im Stromsystem festgelegt und nicht auf Bioenergie. Steht uns da ein energiepolitischer Lobbykampf ins Haus?
Den sehe ich nicht. Kurz- und mittelfristig könnten wir bereits mit dem bestehenden Biogaspark die Strompreise senken, indem wir ihn flexibel dann einsetzen, wenn Wind und Sonne nicht scheinen. Dazu kommen dezentrale Speicher, Geothermie und Wasserkraft sowie die Kraft-Wärme-Kopplung. Zunehmend dezentrale Erzeugung braucht ein dezentrales Backup.
Der Koalitionsvertrag strebt zudem an, bis 2030 einen Anteil von 50 Prozent klimaneutraler Wärme zu erreichen. Das ist ein erheblicher Schritt. Dazu brauchen wir alles – Wärmepumpen, Solarthermie, Geothermie und natürlich die Wärmeauskopplung aus den Biogasanlagen.
Darüber hinaus will die EU bis 2035 auf klimaneutrale Gase umswitchen. Dann sind Biogas und grüner Wasserstoff gefragt, der in heimischen Elektrolyseuren erzeugt wird. Neue große Erdgaskraftwerke brauchen wir dann nicht.
Auch bei den Netzen stoßen zwei konträre Konzepte aufeinander: Die konventionelle Gasbranche möchte künftig gern Wasserstoff, der zum Beispiel aus Australien oder aus Russland kommt, durch ihr bestehendes Netz leiten und so ihre Marktstellung behalten.
Die Erneuerbaren-Branche sagt dagegen: Lasst uns den Ökostrom dorthin leiten, wo wir den Wasserstoff brauchen, und diesen dann vor Ort erzeugen. Ein großes Wasserstoffnetz wird dann gar nicht gebraucht. Auch hier stehen wir doch an einem Scheideweg.
Das ist richtig. Ich frage mich auch, warum wir nicht die Chancen der regionalen Wertschöpfung mit den Erneuerbaren nutzen, mit der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, inklusive der Landwirte und vieler mittelständischer Unternehmen.
Die EU hat dazu mit dem Energy Sharing und der Bürgerenergie Vorgaben gemacht. Ex-Wirtschaftsminister Altmaier hat sie ignoriert. Der neue Wirtschaftsminister will das jetzt umsetzen.
Eine regionale Energieerzeugung und -verteilung kann nicht nur sehr viele Kosten einsparen. Dezentrale Wärme- und Speicherkonzepte, der Sonnenstrom vom Hausdach, die Beteiligung an Windkraftanlagen – das alles schafft mehr Akzeptanz für die Energiewende.
Zwar werden wir auch überregionale Stromnetze ausbauen müssen und auch künftig noch ein überregionales Gasnetz haben – von beidem aber nur so viel wie nötig.
Das größte Hindernis für eine Stromlieferung quasi über den Hausflur oder den Gartenzaun ist ja: Die Vorteile der Eigenversorgung gelten nur dann, wenn Stromerzeuger und -verbraucher dieselbe juristische oder natürliche Person sind. Wird im Wirtschaftsministerium darüber nachgedacht, das abzuschaffen?
Simone Peter
leitet seit 2018 den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), die Dachorganisation der Ökoenergie-Verbände. Die promovierte Biologin wurde ab 1999 als energiepolitische Expertin bei den Grünen im Saarland und im Bundesverband bekannt. Bei Eurosolar war sie unter anderem Chefredakteurin der Zeitschrift Solarzeitalter. Sie baute die Agentur für erneuerbare Energien mit auf und leitete die Branchenorganisation bis 2006. In der ersten "Jamaika-Koalition" 2009 im Saarland wurde sie Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr. Bis 2018 war sie fünf Jahre Bundesvorsitzende der Grünen.
Wir hören, dass regulatorische Änderungen geplant sind. Wir sind gespannt, was konkret vorgeschlagen wird. Es wäre begrüßenswert, wenn Prosumer gestärkt würden – in Eigenerzeugung, -verteilung und -verbrauch.
Wird sich Bürgerenergie nicht künftig auf Photovoltaik-Projekte konzentrieren müssen? Die Zeiten sind doch vorbei, wo Bürgergesellschaften ganze Windparks bauten. Da haben große private Investoren den Markt übernommen.
Das sehe ich nicht. Gerade Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg haben einen enormen Ausbaubedarf beim sogenannten Rückgrat der Energiewende, der Windkraft.
Aber auch andere Bundesländer, die vom notwendigen Beitrag von zwei Prozent ihrer Landesfläche noch weit entfernt sind, müssen den nötigen Ausbau mit den Bürgerinnen und Bürgern umsetzen. Warum sollen hier nicht die Freiheiten der europäischen De-minimis-Regel genutzt werden?
Diese De-minimis-Regelung erlaubt Bürgergemeinschaften, bis zu 18 Megawatt Windkraft zu errichten, ohne sich an den Ausschreibungen beteiligen zu müssen. Das sind doch aber noch immer vier Windräder – oder drei große –, die zusammen mehrere Millionen Euro kosten.
Es fällt aber viel Bürokratie weg. Zudem sieht Minister Habecks Konzept vor, Energiegemeinschaften mit einem speziellen Fonds zu unterstützen.
In Österreich wurde so ein Fonds letztes Jahr aufgelegt. Jetzt gibt es überall im Land Bürgerenergiegemeinschaften, die die Windkraft voranbringen. Das müssen wir auch in Deutschland wieder anstoßen.
Letztes Jahr zog der nordrhein-westfälische Landesverband des BEE, der LEE NRW, vor die Geschäftsstelle des Naturschutzbundes und demonstrierte gegen dessen angebliche Windkraft-Verhinderungspolitik. Ist so eine Konfrontation bei der Energiewende hilfreich?
Der BEE arbeitet beim Thema Artenschutz eng mit den Bundesländern und den Naturschutzverbänden im Rahmen des Prozesses der Umweltministerkonferenz zusammen. Wir wollen diese gute Zusammenarbeit fortsetzen.
In den Bundesländern stellt sich die Zusammenarbeit aber in unterschiedlicher Qualität dar, gerade auch, weil sich die Regelungen von Land zu Land unterscheiden. Deshalb war das eine Entscheidung des LEE in NRW, die wir akzeptieren.
Wir wollen als BEE unseren guten Draht zu den Naturschutzverbänden nutzen, um Artenschutz und Klimaschutz voranzubringen, zum Beispiel über Artenhilfsprogramme. Die Genehmigungen müssen schneller werden.
Dass es bei der Windkraft mit der Akzeptanz hapert, ist ja nicht neu. Ein neues Phänomen ist dagegen, dass es bei Freiflächen-Photovoltaik Probleme mit Kommunen und Anwohnern gibt. Können wir uns nicht erst einmal mit Photovoltaik auf Dächern begnügen? Diese Flächen würden ja auch reichen, um genügend Solarstrom zu erzeugen.
Wir müssen beides tun. Bei den Dächern ist der Hebel umzulegen. In der jetzt geplanten EEG-Novelle muss der atmende Deckel fallen. Und Solardächer unterhalb von einem Megawatt sollten ohne Auktionen spätestens ab 2023 wieder förderfähig werden. Wir brauchen eine Verdreifachung der jährlichen Zielvorgaben für Solardächer und eine Korrektur beim Degressionsmechanismus, damit sich Anlagen wieder amortisieren.
Um den Ausbau der Freiflächen-Photovoltaik kommen wir aber auch nicht herum. Die Agri-Photovoltaik bietet hier die Möglichkeit, Landwirtschaft und Solarstromerzeugung zu kombinieren.
Auch hier braucht es Gesetzesänderungen, um einen rentierlichen landwirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen. Interessant ist hier zum Beispiel auch die vertikale, bifaziale Photovoltaik, die die Sonneneinstrahlung aus Ost- und Westrichtung nutzt.
Solarstromunternehmen rechnen vor, sie würden mit Freiflächen-Photovoltaik viel mehr Energie vom Hektar ernten, als wenn auf der derselben Fläche Biomasse angebaut würde. Zudem würde sich die Biodiversität deutlich verbessern. Wie steht es um diesen Konflikt in Ihrem eigenen Haus?
Das bekomme auch ich immer wieder mal zu hören. Unsere Studie zum Strommarkt hat aber deutlich gemacht, dass alle Ökostrom-Erzeuger einen Mehrwert davon haben, wenn alle erneuerbaren Optionen voll genutzt werden.
Die Bioenergie kann die Flexibilität schaffen, die wiederum der Photovoltaik zur Verbesserung der Marktwerte nutzt. Erst zusammengedacht switcht der Strommarkt zugunsten der Wirtschaftlichkeit von Erneuerbaren um. Insgesamt gesehen gibt es eine Win-win-Situation. Deshalb haben unsere Studie auch alle Teilbranchen unterstützt.
Glaubt die Branche, dass die Ampel-Koalition jetzt die Fesseln für die Erneuerbaren lösen wird – oder überwiegt noch Skepsis?
Der Optimismus in der Branche ist tatsächlich groß. Wir erleben, dass Türen und Ohren offener sind. Anders als früher sind wir auch zeitiger eingebunden – zum Beispiel bei den Gesetzespaketen, die nun vorgelegt werden sollen.
Lesen Sie hier Teil 1: "Wasserstoff-Gaskraftwerke brauchen wir so gut wie nicht"