Ende September 2020 schickte der als hartnäckig bekannte Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer eine schriftliche Frage an die Bundesregierung: "Wie hat der amerikanische Finanzminister Steven Mnuchin auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen Olaf Scholz zur Finanzierung von zwei deutschen LNG-Terminals reagiert und inwiefern werden in den nächsten Bundeshaushalten Mittel zur Verwirklichung von LNG-Terminals in Deutschland bereitgestellt?"
Krischer, Vizechef seiner Bundestagsfraktion, bezog sich dabei auf einen Bericht in der Zeit. Laut deren Recherchen hat die Bundesregierung mit einer Milliarden-Offerte an die USA versucht, die Pipeline Nord Stream 2 zu retten.
Anfang August, so das Blatt, habe Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dazu seinem damaligen US-Amtskollegen Steven Mnuchin zunächst mündlich und später auch schriftlich einen Vorschlag unterbreitet: Deutschland sei bereit, den Bau von zwei Spezialhäfen zum Import von Flüssigerdgas (liquefied natural gas, LNG) zu finanzieren.
In einem entsprechenden Schreiben vom 7. August habe die Bundesregierung in Aussicht gestellt, die "öffentliche Unterstützung für die Konstruktion" der Terminals "massiv durch die Bereitstellung von bis zu einer Milliarde Euro zu erhöhen".
Ob die Zeit damals das Schreiben von Scholz an Mnuchin selbst in der Hand hatte, ist nicht bekannt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) versuchte jedenfalls in der Folgezeit, Einsicht in das Dokument zu nehmen, wie ihre Vertreter heute bei einer Online-Pressekonferenz berichteten.
Trotz öffentlichen Drucks, einer Anfrage im Bundestag sowie Anträgen der DUH auf Herausgabe habe die Bundesregierung bislang weder die Existenz des Dokuments noch seinen Inhalt bestätigt, beklagte die Umweltorganisation. Inzwischen erhielt – oder besorgte sich, wie man will – die DUH das Schreiben anderweitig.
Um den angebotenen "Geheimdeal" endlich eindeutig belegen zu können, habe man sich für die Veröffentlichung des Originaldokuments entschieden, teilte die DUH dazu mit. Nach ihren Angaben ist die Authentizität des Schreibens von einer zweiten Quelle bestätigt worden.
"Das ist ein klarer Deal"
Im Kern belegt das Schreiben die Angaben der Zeit: das Telefonat von Scholz mit Mnuchin und der zwei Tage später abgesandte Brief, bei dem das enthaltene "Non-Paper" entscheidend ist. Für die DUH ist besonders das Non-Paper ein klarer Beleg dafür, dass die Bundesregierung Washington ein Milliardenangebot zum Import von US-Frackinggas machte, um die Blockade von Nord Stream 2 aufzulösen.
Das ergibt sich für DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner schon aus dem Titel des Non-Papers: "Nord Stream 2 / U.S. LNG". In dem Papier gehe es "eindeutig um US-Flüssiggas, also nicht um Flüssiggas, das auf dem Weltmarkt gekauft wird, was bisher immer behauptet wurde", erklärte Müller-Kraenner.
Für den DUH-Chef stellt die Bundesregierung insbesondere einen Zusammenhang zwischen Nord Stream 2 sowie zwei der drei in Deutschland geplanten Import-Gasterminals her, und zwar Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Für deren Bau kündige die Regierung "massive zusätzliche finanzielle Hilfen" in Höhe von einer Milliarde Euro an.
Des Weiteren würden im Schreiben die Anstrengungen Deutschlands zur Sicherung der Energieversorgung Polens sowie der Ukraine geschildert, so Müller-Kraenner. Beide Länder stehen bekanntermaßen Nord Stream 2 ablehnend gegenüber.
Im Gegenzug für all die Zusagen aus Deutschland sollen die USA dann, zitierte Müller-Kraenner aus dem Papier, den "ungehinderten Weiterbau und Betrieb von Nord Stream 2 erlauben und auf bestehende wie künftige Sanktionen verzichten".
Der Sinn des Schreibens ist für Müller-Kraenner eindeutig: "Das ist ein klarer Deal nach dem Motto: Ihr erlaubt uns, Nord Stream 2 fertigzustellen, und wir werden dafür staatlich subventioniert Terminals für US-Flüssiggas bauen". Auch werde das "Märchen entlarvt", dass es sich bei Nord Stream 2 sowie bei den geplanten Gasterminals um "rein privatwirtschaftliche Projekte" handle, vielmehr seien dies politisch unterstützte Vorhaben.
Umweltorganisation verlangt Aufklärung
Von Vizekanzler Scholz und der Bundesregierung verlangt die DUH nun Aufklärung, ob das Angebot gegenüber der neuen US-Regierung unter Joe Biden aufrechterhalten wird. "Das wüssten wir gern von Olaf Scholz", sagte Müller-Kraenner. Ein konstruktiveres Verhältnis zu den USA, wie es jetzt zur neuen Administration unter Biden angestrebt werde, dürfe nicht zulasten des Klimaschutzes gehen.
Das meint auch Julia Verlinden, Sprecherin für Energiepolitik der Grünen-Fraktion. Hinter dem Export von Flüssigerdgas aus den USA stehe die besonders klima- und umweltschädliche Fracking-Methode, mit der dort das Erdgas in großen Mengen gewonnen werde.
"Die klimagerechte Alternative zu noch mehr fossiler Energie heißt: Energieeffizienz voranbringen, selbst mehr erneuerbare Energien erzeugen und Europa unabhängiger machen von Energieimporten", fordert Verlinden. Nur so könnten Deutschland und Europa vom Tropf der fossilen Energiewirtschaft loskommen, egal aus welchen Ländern die Importe kämen.
Was entgegnete die Bundesregierung damals auf die Frage von Krischer? Die Antwort war kurz angebunden und maximal allgemein: Zu den US-Sanktionsdrohungen gegen Unternehmen, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind, stehe die Bundesregierung mit der US-Regierung in Kontakt. Solche Gespräche seien vertraulich und man äußere sich zum Inhalt grundsätzlich nicht.
Es folgen erbauliche Zeilen über die Wichtigkeit von Erdgas, von Flüssigerdgas und darüber, dass die Bundesregierung "privatwirtschaftliche" Investitionen in die deutsche Gastransportinfrastruktur begrüße und dies gegenüber ausländischen Partnern, auch den USA, "immer deutlich kommuniziert" habe.
Von der Milliarde und dem Deal-Angebot kein Sterbenswort, nicht einmal ein Hinweis, dass ein Schreiben existiert. Man darf vermuten, dass die Regierung auch die nunmehrige Enthüllung wird aussitzen wollen.