Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Doch es lässt seine Infrastruktur vergammeln, und das schon seit Jahrzehnten. Während der Fußball-Europameisterschaft in diesem Sommer war das besonders peinlich.
Die Deutsche Bahn schaffte es nicht, die Fans aus dem Ausland pünktlich zu den Spielen ihrer Mannschaften zu befördern, und deren Medien zu Hause mokierten sich über das Schienenchaos made in Germany. Jeder, der die DB nutzt, weiß darüber Geschichten noch und noch zu erzählen.
Doch auch Fernstraßen samt der dazu gehörenden Brücken werden auf Verschleiß gefahren. Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden diese Woche war ein Fanal. Es war reines Glück, dass es nachts passierte, ohne Verkehr, und heute nicht zig Tote und Verletzte zu beklagen sind, die es beim Absturz einer Straßenbahn am Tage sicher gegeben hätte.
Will sagen: Die Politik muss endlich begreifen, so kann es nicht weitergehen.
Sehenden Auges immer weiter in die Pleite
Der Verfall der Infrastruktur ist seit vielen Jahren schneller als die Sanierung. Dabei geht es nicht nur um Ärgernisse wie die, dass man bei der Bahn mal wieder den Anschluss verpasst und eine Stunde später nach Hause kommt. Oder dass zu Schlaglöcher-Pisten mutierte Straßen die Stoßdämpfer im Auto strapazieren.
Es ist ein Risiko für das Land als Industrie- und Exportnation. Bereits 2014 warnte die Bund-Länder-Kommission: "Der Wirtschaftsstandort Deutschland ... ist durch den fortschreitenden Substanzverzehr der Verkehrsinfrastruktur ernsthaft gefährdet."
Die Lage ist inzwischen verheerend. Überall bröselt es. Laut Bundesverkehrsministerium müssen 11.000 Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen erneuert werden, zudem 1.200 an Bahnstrecken. Über 7.000 Autobahn-Kilometer sind sanierungsbedürftig. Jede zweite Brücke in den Kommunen ist in einem schlechten Zustand, das Deutsche Institut für Urbanistik taxiert die Kosten für Sanierung und Neubau auf 40 Milliarden Euro.
Die Deutsche Bahn ist so heruntergewirtschaftet, dass sie wegen Problemen wie Signalstörungen, Stellwerksausfällen und kaputten Weichen keinen geordneten Ablauf des Zugverkehrs mehr gewährleisten kann. Fahrpläne würden inzwischen "nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt", beschrieb ein DB-Aufsichtsratsmitglied jüngst das Problem.
Man reibt sich die Augen. Wie konnte es so weit kommen? Warum haben die Bundesregierung und die Politikebenen darunter nicht längst radikal umgesteuert, und warum tun sie es – siehe die Etatplanung für 2025 mit zwar erhöhten, aber erneut zu knappen Mitteln für die Sanierung – auch jetzt nicht?
Der Autobahn GmbH fehlen 600 Millionen Euro pro Jahr, um den geplanten Ersatz-Neubau von jeweils 400 Brücken zu finanzieren, für die Bahnsanierung fehlen fast 20 Milliarden allein bis 2027, bei den Kommunen beträgt der Rückstau bei der Straßen-Erneuerung 280 Milliarden.
Die Politik steuert weiterhin in die Pleite, und das sehenden Auges. Denn ein, zwei Jahrzehnte ging es mit der Infrastruktur trotz mangelnder Instandhaltung ja noch irgendwie gut, aber jetzt kann eigentlich niemand mehr darüber hinweggehen.
Die Vorschläge liegen auf dem Tisch
Doch die verantwortlichen Ampel-Politiker, allen voran Finanzminister Lindner und Verkehrsminister Wissing, beide FDP, haben immer noch die ideologischen Scheuklappen auf: eine viel zu eng definierte Schuldenbremse, ein falscher Schwerpunkt auf Straßen-Neubau statt -Erhalt und viel zu knappe Investitionen in den Verkehrsträger Schiene, der beim Klimaschutz im Verkehr entscheidend ist.
Das alles ist schnellstens zu revidieren. Die Schuldenbremse muss so modifiziert werden, dass der Staat die Infrastruktur-Investitionen im nötigen Maß leisten kann.
Der Straßen-Neubau muss, zumal in Zeiten von Klimakrise und dank Homeoffice rückläufigen Fahrtenzahlen, drastisch heruntergefahren werden, was enorme Mittel für die Sanierung des Bestandssystems freimacht.
Und die Bahn muss endlich so finanziert werden wie in Vorbild-Ländern wie Österreich und Schweiz, wo man die Uhr noch nach ihr stellen kann.
Um die Versäumnisse der Vergangenheit wettzumachen, braucht es zudem ein Sondervermögen wie bei der Bundeswehr, um auch beim Verkehr eine Zeitenwende einzuleiten.
Umgesetzt werden sollten die Sanierungen über einen Infrastrukturfonds, wie er jetzt ins Gespräch gebracht wurde – einen Topf voller Geld, das mehrere Jahre zuverlässig in neue Brücken und Schienen fließt, unabhängig von den jährlichen Haushaltsverhandlungen.
Sinnvoll wäre auch die Etablierung einer "Verkehrsinfrastrukturgesellschaft Deutschland", wie sie das Umweltbundesamt 2022 vorgeschlagen hat. Sie würde die großen Bauvorhaben von Straße, Scheine und Wasserwegen endlich zusammendenken, während es bisher nur Einzelpläne für die jeweiligen Verkehrsträger gibt.
Und dann bräuchte es einen Untersuchungsausschuss im Bundestag, der ausleuchtet, wer eigentlich für das Infrastruktur-Desaster verantwortlich ist, das in den letzten Jahrzehnten angerichtet wurde. Das wäre für einige Finanz- und Verkehrsminister, meist von Union und FDP, und viele Bahnvorstände ziemlich peinlich. Würde aber abschreckend wirken.