Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.
Klimareporter°: Herr Hummel, die erneuerbaren Energien wachsen weltweit rasant, nächstes Jahr werden sie die Kohle überflügeln, prognostiziert die Internationale Energieagentur. Ein Kohle-Aus ist trotzdem nicht in Sicht, da die weltweite Stromnachfrage so schnell steigt wie seit Jahren nicht. Wann erwarten Sie den Peak bei den CO2-Emissionen im Stromsektor?
Oliver Hummel: Ich hoffe, dass die Weltgemeinschaft deutlich vor 2030 die Kurve kriegt. Es gibt mehrere Entwicklungen, die Mut machen.
Beispielsweise erwarten Experten, dass China schon 2025 seinen Höchststand bei den CO2-Emissionen erreicht und es danach bergab geht. Das wäre ein enormer Schritt, schließlich ist China für rund 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Außerdem hat der globale Ausbau der Erneuerbaren eine enorme Dynamik erreicht. 86 Prozent der 2023 neu gebauten Stromerzeugungskapazitäten entfallen auf die erneuerbaren Energien. Was übrigens auch zeigt: Die Energiewende ist beileibe kein seltsamer deutscher Alleingang, wie immer noch manchmal behauptet wird.
Die Bundesnetzagentur hat ein Eckpunktepapier zur Reform der Netzentgelte vorgestellt. Die Industrie soll Anreize erhalten, ihren Stromverbrauch an die Schwankungen der erneuerbaren Energien anzupassen und so das Stromsystem zu stabilisieren. Wie blicken Sie auf die geplante Reform?
Die kann ich nur begrüßen. Die in diesem Jahr massiv gesunkenen Marktwerte für Solarstrom und die wachsende Anzahl von Stunden mit negativen Preisen an der Strombörse signalisieren ganz deutlich: Jetzt ist die Zeit, Flexibilitätspotenziale zu heben. Und da setzt die Bundesnetzagentur an einem wichtigen Hebel an.
Aktuell erhalten nämlich industrielle Verbraucher nach Paragraf 19 der Stromnetzentgeltverordnung einen Rabatt auf die Netzentgelte, wenn ihr Verbrauch besonders konstant oder vorhersehbar atypisch ist. Bislang werden also Anreize in die genau falsche Richtung gesetzt: Die Industrie soll den Strom bitte schön planbar verbrauchen, damit die Kohlekraftwerke durchlaufen können.
Mit einem Stromsystem, in dem Windenergie und Photovoltaik den Takt vorgeben, hat das nichts mehr zu tun. Der Vorschlag der Bundesnetzagentur hingegen schafft Anreize, den Verbrauch zu flexibilisieren. Dadurch können die Preisschwankungen am Strommarkt reduziert, die Netze entlastet und Kosten gesenkt werden.
Kürzlich hat Naturstrom gemeinsam mit weiteren Unternehmen und vielen NGOs die Plattform X, vormals Twitter, verlassen. Was hat Sie zu dem Schritt motiviert? Und welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?
X ist nicht mehr die Plattform, die viele Menschen und auch wir als Twitter schätzen gelernt hatten. Mit der Übernahme durch Elon Musk haben sich dort Desinformation, Hassrede und stumpfe Diffamierungen ungebremst ausgebreitet. Musk hat die Contentmoderatorenteams zusammengestrichen, wegen Hassrede und Falschinformationen gesperrte Accounts wieder freigeschaltet und – wenn auch vorübergehend – unliebsame Journalisten ausgesperrt. Das ist kein Umfeld, in dem wir uns weiter bewegen wollen.
Trotzdem ist uns der Schritt, die Plattform zu verlassen, schwergefallen. Überlässt man X den Rechten, wenn man sich dort zurückzieht? Lässt man diejenigen im Stich, die sich dort gegen Desinformation einsetzen? Letztlich ist aber keine Social-Media-Plattform gottgegeben. Der freie Diskurs kann sich an ganz vielen Stellen digital und analog organisieren. Jede und jeder ist frei, sich dort einzubringen, wo er oder sie möchte. Es gibt schließlich Alternativen wie Linkedin, Mastodon oder Bluesky, die wir auch rege nutzen.
Hier wie dort kommt es uns nicht darauf an, dass wir uns nur unreflektiert feiern lassen wollen. Klar freuen wir uns über Zuspruch, aber wir gehen auch gerne in die Diskussion – nur konstruktiv muss sie sein.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Letzten Sonntag hatte ich mich noch über das ziemlich durchwachsene Wetter in Düsseldorf geärgert – und wenige Tage später überrascht gelesen, dass dieser Sonntag global der wärmste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen war, also mindestens seit 1940.
Die Entwicklung finde ich besorgniserregend, die Meldungen über weltweite Allzeit-Temperaturrekorde häufen sich in diesem Jahr massiv und kontinuierlich. Es scheint, dass die meisten Klimamodelle und erst recht die öffentliche Wahrnehmung die Entwicklung der Erwärmung unterschätzt haben. Klimakrise ist eben auch dann, wenn es in Deutschland mal zufällig nicht besonders heiß ist.
Wir müssen weltweit mit Hochdruck daran arbeiten, die Erderhitzung zu stoppen. Erste Erfolge bisheriger Bemühungen werden langsam sichtbar – wir sprachen darüber –, aber es ist noch viel Luft nach oben.
Fragen: Verena Kern