Die Kosten für den Stromnetz-Ausbau in Deutschland werden nicht von allen gleichermaßen getragen. (Bild: Schulze von Glaßer)

Die Netzentgelte sind ein eher unauffälliger Bestandteil der Strompreise. Bemerkenswert ist allerdings, dass sie in den vergangenen fünf Jahren im bundesweiten Durchschnitt um die Hälfte gestiegen sind. Inzwischen kosten sie 11,51 Cent pro Kilowattstunde. Das entspricht bereits 27 Prozent des Strompreises für Haushalte.

Abseits des Durchschnitts zeigen sich allerdings große regionale Unterschiede. In weiten Teilen Nord- und Nordostdeutschlands sind die Netzentgelte merklich höher als anderswo. In einigen Netzgebieten betragen sie bis zu 15 Cent, in anderen liegen sie unter fünf Cent. Auch innerhalb einiger Bundesländer, zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg, unterscheiden sich die Netzentgelte deutlich.

Netzentgelte werden von den Betreibern regionaler Strom-Verteilnetze dafür berechnet, dass Strom durch ihre Leitungen von den Lieferanten zu den Kunden fließt. Dabei hat jeder der 800 Verteilnetz-Betreiber eine andere Kostenstruktur, die sich zudem mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ändert.

So wurden in dünn besiedelten Gegenden des Nordens und Ostens viele Solar- und Windparks errichtet. Um den dort erzeugten Strom in die Verbrauchszentren transportieren zu können, mussten die Stromnetze ausgebaut werden.

Die Kosten für diesen Ausbau fließen in die Netzentgelte ein. Wo es wenig Stromkunden mit geringem Verbrauch gibt, aber hohe Ausbaukosten entstanden sind, sind die Netzentgelte bisher besonders stark gestiegen. Und damit auch die Strompreise.

Nach früheren Informationen sind davon vor allem die Ökostrom-Ausbauländer Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern betroffen. Hier sind die Netzentgelte für Haushaltskunden im bundesweiten Vergleich besonders hoch. In Bremen, Baden-Württemberg und Bayern sind sie besonders günstig.

Energieminister der Nord- und Ostländer hatten sich in den vergangenen Jahren zunehmend dafür eingesetzt, die Netzausbau-Kosten für erneuerbare Energien gerechter innerhalb Deutschlands zu verteilen. Darauf konnten sie sich schließlich auch mit ihren süd- und westdeutschen Kolleginnen und Kollegen einigen.

Entlastung zu überschaubaren Kosten

Die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde legte dann Anfang Dezember 2023 ein erstes Reformkonzept für faire Strom-Netzentgelte vor. Es sollte Stromkunden in den Regionen entlasten, in denen die Netzentgelte wegen des Ausbaus für die erneuerbare Stromerzeugung besonders stark gestiegen sind.

Dort sollten die Netzentgelte sinken. Auf der anderen Seite rechnete die Behörde mit überschaubaren zusätzlichen Kosten für alle Stromverbraucher in Deutschland.

Das Reformkonzept sah mehrere Stufen vor. In einem ersten Schritt sollte untersucht werden, ob ein Netzbetreiber von einer besonderen Kostenbelastung aus dem Ausbau erneuerbarer Energien betroffen ist.

Im zweiten Schritt würde die entstandene Mehrbelastung ermittelt und in einem dritten Schritt bundesweit verteilt. Damit sollten dann die Netzentgelte in den betroffenen Regionen sinken.

Nach diesem Konzept wären zunächst 17 Netzbetreiber berechtigt gewesen, ihre Mehrkosten auf alle Stromverbraucher zu verteilen. Die größten Entlastungen wären auf Netzbetreiber in Brandenburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt entfallen. Das gesamte "Wälzungsvolumen" wurde zunächst mit 608 Millionen Euro beziffert.

Das Wälzungsvolumen wächst

Doch dann zeigte sich schon nach drei Wochen, wie sich diese Zahlen ändern können. Die Bundesnetzagentur veröffentlichte neue Daten, wonach nun 26 Netzbetreiber berechtigt sein könnten, ihre Mehrkosten bundesweit zu verteilen.

Das damit verbundene Wälzungsvolumen wurde jetzt beispielhaft mit 1,55 Milliarden Euro beziffert. Das war schon mehr als doppelt so viel wie noch drei Wochen zuvor. Als Grund nannte die Behörde, dass mittlerweile aktuellere Strukturparameter zur Verfügung standen, mit denen das Wälzungsvolumen erneut abgeschätzt worden sei.

Auch bei den Entlastungen nach Bundesländern ergaben sich Veränderungen. Netzbetreiber in Brandenburg wurden weiterhin mit 381 Millionen Euro am meisten entlastet. Auf den zweiten Platz war nun Bayern mit 345 Millionen Euro vorgerückt, das zuvor noch mit 40 Millionen an fünfter Stelle lag.

Danach folgten Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen jeweils mit dreistelligen Millionenbeträgen. Zweistellige Entlastungen wären in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und weiteren vier Bundesländern zu erwarten gewesen.

Bei den mehrbelasteten Netzbetreibern könnten so die Netzentgelte um bis zu 39 Prozent sinken. Damit würden dort die Netzentgelte meist unter dem Bundesdurchschnitt liegen – und nur teilweise noch leicht darüber. Ein durchschnittlicher Haushalt mit einem jährlichen Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden in diesen Netzgebieten könnte dadurch bis zu 200 Euro im Jahr sparen.

Die Bundesnetzagentur wies vorsorglich darauf hin, dass es sich dabei noch nicht um die Beträge handelte, die für das Jahr 2025 gelten würden. Vielmehr sollten die Zahlen als Hinweis darauf dienen, wie die Regelungen wirken könnten.

Eine Strompreis-Umlage wird erweitert

Den finanziellen Ausgleich für die mehrbelasteten – und dann entlasteten – Netzbetreiber sollen alle Stromverbraucher bundesweit gleichmäßig bezahlen. Dabei will die Bundesnetzagentur den bestehenden Mechanismus der Umlage nach Paragraf 19 der Stromnetz-Entgeltverordnung nutzen.

Diese Umlage ist bereits ein Bestandteil des Strompreises. Sie dient bisher dazu, besonders große industrielle Stromverbraucher von Netzentgelten zu entlasten. Im laufenden Jahr 2024 wird sie von den Stromverbrauchern bereits mit 0,643 Cent pro Kilowattstunde bezahlt.

Wenn es den finanziellen Ausgleich für die mehrbelasteten Netzbetreiber heute schon geben würde, wäre diese Umlage um weitere 0,605 Cent höher ausgefallen. Das hätte für den erwähnten Durchschnittshaushalt zusätzliche Kosten von 21 Euro pro Jahr bedeutet.

Für Strom-Großverbraucher gilt dies allerdings nur eingeschränkt. Sie sollen weiterhin nur eine reduzierte Paragraf‑19-Umlage zahlen. Demnach würde die Mehrbelastung für Industrie und sonstige Großverbraucher maximal 6.050 Euro im Jahr betragen.

Seit Dezember hat die Behörde zahlreiche Stellungnahmen zu ihrem Modell ausgewertet. Schließlich legte sie im Mai dieses Jahres den Entwurf einer Festlegung vor. Dazu holt sie nun wieder bis zum 14. Juni Stellungnahmen ein. Im Spätsommer will sie endgültig über die Festlegung entscheiden. Die damit möglichen Entlastungen sollen dann ab Jahresanfang 2025 wirken.

Kritik und Alternativ-Vorschlag

Eine fundierte Kritik an dem Reformkonzept kam bereits von dem Dresdner Windenergie-Unternehmen VSB und der Technischen Universität Dresden, deren Lehrstuhl für Energiewirtschaft im VSB-Auftrag eine Studie dazu vorgelegt hat. Zwar werde das Ziel erreicht, alle Verbraucher gleichmäßig an den Netzkosten der erneuerbaren Energien zu beteiligen, heißt es in der Studie.

Zugleich würden jedoch zukünftige Herausforderungen der Energiewende nicht angesprochen. So benachteilige die steigende Paragraf‑19-Umlage kleine Endkunden. Um mehr gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung für die Energiewende zu erreichen, erscheine es angebracht, Großverbraucher stärker an den Kosten zu beteiligen.

Der Studie zufolge fehlt auch ein Anreiz, neue Stromverbraucher in Netzen anzuschließen, die stark von der Einspeisung erneuerbaren Stroms betroffen sind. Das sei ein "entscheidender Nachteil des Mechanismus". Denn solche Neuanschlüsse könnten die Transportanforderungen an die Netze und damit auch ihren Ausbaubedarf vor Ort reduzieren.

 

Die Studienautoren schlagen deshalb vor, auf den "Wälzungsmechanismus" zu verzichten und stattdessen bundesweit einheitliche Verteilnetz-Entgelte einzuführen. Erfahrungen mit solchen einheitlichen Entgelten gibt es bereits bei den Übertragungsnetzen, durch die der Strom überregional transportiert wird. Hier gelten seit dem vergangenen Jahr bundesweit einheitliche Entgelte.