Oliver Hummel. (Bild: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, Politiker:innen, die offizielle Kanzlerkandidaten ihrer Parteien sind, fordern in aller Öffentlichkeit, Windräder "niederzureißen", oder halten diese für eine "Übergangstechnologie". Hätten Sie gedacht, dass die Auseinandersetzungen um die Windkraft derart eskalieren?

Oliver Hummel: Dass wir uns in diesem Wahlkampf auf eine deutlich aggressivere Rhetorik einstellen müssen, war zu erwarten – auch in Energiefragen. Und dass Windenergie bei insgesamt recht hoher Zustimmung in der Bevölkerung niedrigere Beliebtheitswerte als Photovoltaik erreicht, ist auch nicht neu.

Was insbesondere Frau Weidel von sich gegeben hat, ist grober, fahrlässiger Unfug. Windkraft ist mit einem Anteil von 33 Prozent im vergangenen Jahr die wichtigste Stromerzeugungsquelle in Deutschland, ob es ihr gefällt oder nicht. Und das kommt nicht von ungefähr, sondern liegt an sehr niedrigen Stromgestehungskosten von rund 4,5 bis neun Cent pro Kilowattstunde – weniger als bei jedem neu zu errichtenden Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerk.

Es war gut zu sehen, dass Weidel unmittelbar nach ihren Einlassungen sehr breiten Gegenwind geerntet hat. Solche faktenfreie Polemik darf nicht unwidersprochen bleiben.

Auch von Energieexperten gibt es Gegenwind zur Energiewende. So wurde jüngst in der FAZ unter der Überschrift "Die Energiewende günstiger machen" empfohlen, Deutschland solle sich künftig auf den Bau steuerbarer Erdgaskraftwerke sowie großer Solarparks konzentrieren. Ein Grund für Letzteres: Strom in kleinen Solaranlagen auf Hausdächern zu erzeugen, koste dreimal so viel wie in großen Solarparks. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Die Diskussion, für die der FAZ-Beitrag exemplarisch steht, ist grundsätzlich wichtig: Wie stellen wir angesichts immer häufigerer Stunden mit negativen Börsenstrompreisen sicher, dass die Energiewende möglichst effizient gelingt?

Bei dem im Beitrag formulierten Vorschlag, die Förderung von Dachsolaranlagen einzustellen, kann ich nicht mitgehen. Klar, die Stromgestehungskosten großer Solarparks sind niedriger als von kleinen Dachanlagen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir zum Gelingen der Energiewende beides brauchen – und auch darüber hinaus einen breiten Mix der verfügbaren Erneuerbaren-Technologien.

Das hängt für mich hauptsächlich mit den Aspekten Akzeptanz und Beteiligung zusammen. Bei einer Energiewende, die ganz überwiegend auf große Wind- und Solarparks setzt, bliebe die Bevölkerung weitgehend außen vor. Das wäre nicht nur eine verpasste Chance, sondern geradezu gefährlich.

Schließlich ist diese Infrastruktur-Revolution, die wir mit der Energiewende vorantreiben, für alle im Land sichtbar. Daher ist es enorm wichtig, dass der weit überwiegende Teil der Bevölkerung mit im Boot bleibt und im Idealfall sich aktiv beteiligt. Den großen Energiekonzernen war und ist diese Dezentralität natürlich ein Dorn im Auge, denn sie verlieren dadurch an Marktmacht und Einfluss.

Nicht zuletzt lässt sich ein höheres Maß an Effizienz in der Energiewende auch durch weniger radikale Maßnahmen erreichen als einen radikalen Förderstopp für Dachsolaranlagen. Die Möglichkeit zum systemdienlichen Betrieb bestehender und künftig errichteter Batteriespeicher fällt mir hier ein, oder auch ein schneller Smart-Meter-Rollout verbunden mit einer relativ hohen Marktdurchdringung dynamischer Tarife.

Auf Wasserstoff als Heilsbringer der Energiewende zu setzen, kann nicht aufgehen, schreibt unser Gastautor Sascha Müller-Kraenner. Wir sollten vom Hype zur Realität zurückkehren. Dazu gehöre auch anzuerkennen, dass Wasserstoff genutzt werden kann, das fossile Geschäftsmodell zu verlängern. Wird Wasserstoff in Deutschland nun über oder unter Wert gehandelt?

Wasserstoff ist Hype und Hoffnung zugleich. Oder anders gesagt: Es gibt einige Bereiche, die sich nicht mit direkter Stromnutzung dekarbonisieren lassen und für die grüner Wasserstoff derzeit die beste Idee darstellt. An erster Stelle trifft das auf einige Industrieprozesse zu, beispielsweise in der Stahl- und Chemieindustrie, außerdem auf den Luft- und Schiffsverkehr.

Rund um diesen sinnvollen Kern ist allerdings ein Hype entstanden, der von der Erdgaswirtschaft massiv befeuert wird und der auch das starke Lobbying für konventionell erzeugten Wasserstoff beinhaltet. Da liegt die Vermutung schon sehr nahe, dass es vielen Akteuren weniger um Klimaschutz als um das Verlängern der konventionellen Stromerzeugung geht. In dieser Gemengelage ist es wichtig, keine teuren Überkapazitäten zu schaffen und fossile Lock-in-Effekte zu vermeiden.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Sehr erfreulich – wenn auch ehrlich gesagt nur halb überraschend – fand ich die unter der Woche veröffentlichte Jahresbilanz der Windenergie in Deutschland. Zwar hat der Ausbau in diesem Jahr noch geschwächelt. Mit rund 1.900 Anlagen und fast 11.000 Megawatt, die in den Ausschreibungen 2024 einen Zuschlag erhalten haben, ist diese Phase aber absehbar beendet. Auch der Rekord von über 2.400 neu genehmigten Anlagen mit einer Leistung von 14.000 Megawatt macht Mut für die nächsten Jahre.

Die Windenergie setzt also an, ihren Rückstand gegenüber der Photovoltaik mit großen Schritten aufzuholen. Gut so! Die kommende Bundesregierung muss diesen Aufschwung stabilisieren und flankierend dazu die Reform des Strommarkts weiter vorantreiben. Besonders vorbildlich ist auf dem ersten Platz bei den Windkraft-Genehmigungen übrigens Nordrhein-Westfalen mit seiner schwarz-grünen Regierung.

Fragen: Jörg Staude