Klimareporter°: Frau Reemtsma, der letzte globale Klimastreik liegt ein Jahr zurück. Seitdem ist viel passiert. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den kommenden Klimastreik?
Carla Reemtsma: Wir gehen am Freitag in Deutschland und weltweit auf die Straßen zu einem Zeitpunkt, an dem es gar nicht so leicht ist, sich für das Klima einzusetzen. Viele Leute fragen sich verständlicherweise: Haben wir gerade nicht andere Probleme?
Aber auch in Zeiten, in denen wir viel über den Rechtsruck und die AfD reden müssen, dürfen wir nicht in der Defensive bleiben. Wir müssen auch über die großen Probleme unserer Zeit sprechen. Ganz oben auf der Liste steht die Klimakrise.
Vor Kurzem wurde bestätigt, dass auch der diesjährige Sommer weltweit wieder der heißeste seit Aufzeichnungsbeginn war. Wir wissen, dass ein großer Teil der Menschen sich Sorgen macht. Wir gehen auf die Straße, um zu sagen: Wir brauchen jetzt endlich konsequenten Klimaschutz.
Beim letzten EU-weiten Klimastreik standen die EU-Parlamentswahlen im Fokus. Worum geht es diesen Freitag?
Jetzt richten wir uns mit scharfen Worten an die Ampel-Parteien. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Grüne, FDP und SPD haben also noch ein Jahr Zeit, ihre Klima-Versprechen einzulösen.
Carla Reemtsma
ist Mitbegründerin von Fridays for Future und Pressesprecherin der Berliner Gruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung. Durch Auftritte in Talkshows, Interviews und Reden zählt die Studentin der Wirtschafts- und Politikwissenschaften zu den bekannten Gesichtern der deutschen Klimabewegung.
An manchen Stellen ist einiges passiert, wie beim Ausbau der Erneuerbaren. Gleichzeitig geschieht anderenorts Klimazerstörung. Es soll ein neues Gasfeld vor Borkum geben. Auch in Bayern soll nach Gas gebohrt werden – dabei sind neue fossile Projekte nicht vereinbar mit der 1,5-Grad-Grenze.
Natürlich richten wir uns auch an alle anderen Parteien. Sie alle müssen 1,5-Grad-konforme Programme liefern. Die Bundestagswahlen dürfen keine werden, in denen es heißt: Klima ja oder nein? Es muss heißen: Klimaschutz ja, aber wie?
Der Elefant im Raum: Die unterschiedlichen Positionierungen innerhalb von Fridays for Future zum Nahost-Konflikt haben die internationale Zusammenarbeit belastet. Luisa Neubauer sprach davon, dass vieles zerbrochen sei, möglicherweise irreparabel. Ist eine engere Zusammenarbeit inzwischen wieder möglich?
Wir haben die internationale Zusammenarbeit letztes Jahr erstmal pausieren lassen und dann sehr genau geprüft, mit wem und wozu wir gemeinsam aktiv sein können. Mit einigen Gruppen aus anderen Ländern stehen wir weiterhin in engem Kontakt. Mit anderen nicht.
Natürlich ist das ein fortwährender Prozess und wir sind weiterhin im Gespräch mit vielen Gruppen. Dass jetzt zur selben Zeit an verschiedenen Orten Klimastreiks stattfinden, heißt nicht, dass wir mit jeder der beteiligten Gruppen zusammenarbeiten.
Also ein gemeinsamer Klimastreik ist möglich, aber über manche Themen wird nicht mehr geredet?
Wir sind junge Menschen, die sich Sorgen ums Klima machen. Die Klimakrise lässt sich nur gemeinsam und international lösen. Deshalb ist uns natürlich klar, dass Zusammenarbeit essenziell ist.
Gleichzeitig stehen wir mit beiden Füßen auf dem Grundgesetz. Wir richten uns gegen jeden Antisemitismus genauso wie gegen jeden Rassismus. Mit Gruppen, mit denen diese Grundwerte nicht geteilt werden, ist keine Zusammenarbeit möglich.
Wir wissen, dass diese Werte auch von dem absoluten Großteil der Bewegung geteilt werden. Unser Hauptthema ist und bleibt Klimaschutz und nicht Außenpolitik. Darum geht es deshalb auch bei unseren Protesten.
Wie ist das Verhältnis zu Fridays for Future Schweden und Greta Thunberg? Früher war Thunberg oft bei Protesten in Deutschland zu sehen, mittlerweile nicht mehr.
Greta ist bei keinem unserer Klimastreiks, aber sie wird sicher in Schweden auf die Straße gehen. Einen engen Kontakt gibt es derzeit nicht.
In den letzten Jahren hat sich die Bewegung viel breiter aufgestellt und ist viel weniger abhängig von Einzelpersonen.
Es gibt unzählige Analysen und Erklärungsansätze dafür, warum Fridays for Future seinen bisherigen Höhepunkt 2019 erreicht hat und seitdem nicht mehr an die alte Größte anknüpfen konnte. In dem Buch "Kipppunkte" vergleicht der Klimaaktivist Manuel Grebenjak die Klimagerechtigkeitsbewegung mit einem Ökosystem, das verschiedene Phasen durchläuft. Ist die Klimabewegung nach schnellem Wachstum jetzt in einer Phase der Regeneration und Neuorientierung?
Klimaschutzgesetz, Kohleausstieg: Diese Erfolge zeigen, dass unser Protest wirkt. Aber als erfolgreiche soziale Bewegung ist die Klimabewegung immer auch vom aktuellen gesellschaftlichen Kontext abhängig. Während der Corona-Pandemie war das Protestieren für viele Leute gar nicht möglich oder mit extremen Herausforderungen verknüpft.
Dann der Ukrainekrieg, Inflation, Energiekrise und jetzt viele geopolitische Konflikte – diese gesellschaftliche Verunsicherung geht auch an einer Bewegung nicht unbemerkt vorüber.
Trotzdem: Umfragen zeigen, wie groß der gesellschaftliche Rückhalt – nicht nur in Deutschland, sondern international – für Klimaschutz ist.
Es gibt immer Reflexionsprozesse in der Klimabewegung und die Frage, wie wir am wirksamsten sind, wird ständig diskutiert. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um die Schaffung von Bewusstsein, sondern – wie auch in der Politik – um die konkrete Umsetzung.
Das kann der Kampf für eine Fahrradstraße oder die Gründung einer Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit in einem Unternehmen sein.
Haben Sie den Eindruck, dass sich die Politik mit Demonstrationen noch unter Druck setzen lässt? Oder ist der Eskalationsmoment, den die großen Klimademonstrationen anfangs hatten, vorbei?
Massenprotest ist immer ein ganz zentraler Teil von gesellschaftlicher Veränderung. Deswegen halten wir an dieser Aktionsform fest. Wir sind überzeugt, dass das eines der wirksamsten Mittel ist, um zu politische Veränderung zu schaffen.
Verschiedene Klimagerechtigkeitsgruppen argumentieren, dass soziale und ökologische Kämpfe verbunden werden und die gemeinsamen wirtschaftlichen Ursachen für die gegenwärtigen Krisen benannt werden müssen. Gibt es hier konkrete Bestrebungen bei Fridays for Future – etwa über Organizing, bei dem sich Menschen in einem Viertel organisieren, um gemeinsam Lösungen für verschiedene Probleme zu finden, oder mit themenübergreifenden Kampagnen wie zur Vergesellschaftung und Demokratisierung von Wohnraum oder Energie?
Die Klimakrise ist eine gigantische Ungerechtigkeitskrise. Das durch sie ausgelöste Leid wie auch ihre Verursachung ist global sehr ungleich verteilt. Wenn wir von Klimaschutz sprechen, sprechen wir immer von sozial gerechtem Klimaschutz.
Dieser Analyse folgend, haben wir Anfang des Jahres mit Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs und der Gewerkschaft Verdi gestreikt. Nur mit einem gut funktionierenden öffentlichen Verkehr gibt es gerechte Mobilität und lässt sich die Klimakrise bewältigen. Dafür aber braucht es gute Arbeitsbedingungen und Investitionen.
Das war ein konkreter Ansatz, um verschiedene Kämpfe zusammenzubringen.
Von außen ist eine häufige Kritik, Fridays for Future beschäftige sich zu sehr mit vermeintlich klimafernen Themen wie Queerfeminismus oder dem Kampf gegen rechts. Das schrecke große Teile der Gesellschaft ab, so das Argument. Wie werden solche Punkte bei Fridays for Future diskutiert?
Das offenbart ein falsches Verständnis der Klimakrise. Die Klimakrise ist nun mal komplex und verwoben mit allen gesellschaftlichen Bereichen. Darauf aufmerksam zu machen, dass zum Beispiel Frauen überproportional stark unter den Folgen der Klimakrise leiden, ist ein wichtiger Teil unserer Aufgabe.
Gleichzeitig kann es Klimaschutz nur in einer funktionierenden Demokratie geben. Logisch folgt daraus, dass wir uns auch weiter gegen rechts einsetzen werden.
Jeder noch so kleine reformistische Schritt, wie etwa ein Tempolimit, wird von rechten, häufig auch von konservativen und liberalen Stimmen zum Kulturkampf hochstilisiert. Muss in so einem politischen Klima dieses Spiel mitgespielt werden oder lassen sich die Diskussionen versachlichen?
Was wir gerade erleben, ist, dass Klima immer stärker zu einem Unterscheidungsmerkmal wird. Auch bei demokratischen Parteien beobachten wir die starke Verbreitung von populistischen Fake-News und Halbwahrheiten.
In der Hoffnung, bei der nächsten Wahl mehr Stimmen zu bekommen, wird Angst geschürt. Unser ganz klarer Appell an die Parteien ist, dass das keine Antwort sein kann auf die Probleme unserer Zeit.
Alle Parteien sind durch das Grundgesetz und das Pariser Klimaabkommen, aber auch durch mehrere Urteile von Gerichten dazu verpflichtet, Klimaschutz umzusetzen. Auf polemische Art und Weise Stimmung gegen Klimaschutz und eine gerechte Zukunft zu machen, ist verantwortungslos.
Wo werden Sie am Freitag für mehr Klimaschutz protestieren?
Ich werde in Berlin auf der Demo mitlaufen und eine Rede halten. Wenn wir durch das Regierungsviertel laufen, werden wir Olaf Scholz sagen, dass er als Klimakanzler noch einiges zu tun hat.