Klimareporter°: Herr Fell, der Zuschuss für die erneuerbaren Energien wächst rasant, er wird zu einem Problem für die Finanzen des Bundes. Statt zehn Milliarden Euro wie erwartet dürften es 2024 bis zu 19 Milliarden Euro sein. Und für 2025 rechnen die Stromnetzbetreiber erneut mit 17 Milliarden. Ist das noch tragbar?

Hans-Josef Fell: Ganz klar: nein. Es war ein schwerwiegender Fehler der Ampel-Regierung, 2022 die EEG-Umlage aus dem Strompreis herauszunehmen und aus Steuergeldern zu bezahlen. Das hat die Erneuerbaren-Finanzierung in die Hände des Bundesfinanzministers gelegt, der jedes Jahr gegen eine höhere Neuverschuldung kämpfen muss.

Diese Steuerfinanzierung war schon lange Jahre eine Forderung der fossilen und atomaren Wirtschaft und wurde vor allem von der FDP vorangetrieben, vermutlich mit dem Ziel, dann gute Argumente zur Abschaffung des EEG, des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, zu haben.

 

Die eigentliche Aufgabe ist es heute, den mittlerweile unschlagbar günstigen Wind- und Solarstrom durch sinnvolle Lenkung von Nachfrage voll zu nutzen und die verbleibenden Erzeugungslücken durch steuerbare Erzeugung wie Biogas- oder Wasserstoffkraftwerke zu ergänzen.

Dann bleiben die Börsenpreise moderat und der Zuschussbedarf gering. Und mit der absehbar auslaufenden Vergütung für die frühen EEG-Anlagen sinkt er auf null.

Das Geld kommt derzeit aus dem Klima- und Transformationsfonds, kurz KTF, aus dem auch Zuschüsse für Öko-Heizungen, Wärmesanierung von Häusern und vieles andere finanziert werden. Wird der so nicht überfordert?

Ja natürlich. Der KTF sollte für wichtige Klimaschutzmaßnahmen genutzt werden, etwa Förderung von Wärmepumpen, Start-ups und Forschung, aber nicht für die Stromproduktion. Dafür ist der Strompreis da. Die Betriebs- und Kapitalkosten für Erdgas- oder Kohlekraftwerke werden ja auch nicht aus dem Steuerhaushalt bezahlt.

Hans-Josef Fell

ist Präsident der Energy Watch Group, eines inter­nationalen Energie­wende-Think­tanks. Als langjähriger Bundestags­abgeordneter der Grünen war er Mitautor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 2000 und einer der wichtigsten Vorantreiber der Energie­wende in Deutschland und Europa. Die EEG-Grund­prinzipien wurden in über 60 Ländern kopiert, auch in China, das so zum Welt­markt­führer für Solar­energie wurde. Fell wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt im Juni in Shanghai mit dem "Global Solar Leaders Award".

Immerhin hat die EEG-Umfinanzierung die Stromkunden während der durch den Ukraine-Krieg verschärften Energiekrise deutlich entlastet.

Die Strompreisbremse der Ampel hat Ängste genommen in einer kritischen Versorgungslage, dazu musste man aber nicht die EEG-Umlage "verstaatlichen". Das war eine klare Folge des ersten Kardinalfehlers beim EEG von 2010. Damals wurde festgelegt, dass der Strom aus EEG-Anlagen von den Übertragungsnetzbetreibern an der Börse verkauft werden muss.

Dieser "Umweg" über die Strombörse führt einerseits zu überhöhten Preisen – gemäß dem sogenannten Merit-Order-Effekt, wenn noch ein teures Erdgas-Kraftwerk einspeist – und andererseits zu ruinös niedrigen Preisen bei starker Solar- und Windkrafteinspeisung, die irgendjemand ausgleichen muss. Beide Probleme sind ohne Not durch erzwungene Vermarktung über die Strombörse erzeugt.

Dabei hat dieses Prinzip die EEG-Umlage noch weiter in die Höhe getrieben, weil viele Stromhändler die gestiegene EEG-Umlage an die Kunden als Strompreiserhöhung weiterreichten, aber die durch billigen Ökostrom gesunkenen Beschaffungskosten in die Gewinnmaximierung steckten. Eigentlich hätte niemand den Strompreis wegen der EEG-Umlage erhöhen müssen.

Was schlagen Sie als Miterfinder des EEG vor, wie sollten die Erneuerbaren künftig finanziert werden?

Erstens: Alle Neuanlagen sollten wieder über den Strompreis finanziert werden. Das wird den Strompreis entlasten statt belasten, da der Ökostrom dann schnell die teuren Erdgaskraftwerke aus dem Markt treiben wird.

Zweitens: Erneuerbarer Strom sollte im EEG weiter mit langfristig stabiler Vergütung beschafft werden. Die Erfahrung zeigt: Das erzielt günstige Strompreise für jede der erneuerbaren Energieformen und mobilisiert viele Investitionen.

Betreiber neuer EEG-Anlagen werden ab nächstem Jahr für bestimmte Zeiten keine Vergütung mehr bekommen – dann, wenn so viel Ökostrom im Netz ist, dass die Strompreise negativ werden und die Elektrizität ins Ausland verschenkt wird. Das erscheint nur konsequent. Aber löst es auch das Problem?

Das verschiebt nur das Problem vom Bundeshaushalt auf die Anlagenbetreiber, deren Investition dann unrentabel zu werden droht. Stattdessen sollten jetzt die Tarife zeitlich deutlich gespreizt werden, damit bei viel Wind- und Solarstrom viel Verbrauch durch niedrige Preise angereizt wird – und umgekehrt.

Stundenweise können die Erzeugungsspitzen dann zum Beispiel mit Batterien, anderen Speichern und Verbrauchsverlagerung aufgefangen werden, tage- und wochenweise mit Elektrolyse für grünen Wasserstoff, den wir brauchen. Das dämpft die Preisausschläge an der Börse erheblich.

Eine Hochspannungsleitung führt bei Sonnenuntergang auf eine Stadt zu, von der nur die Silhouette am Horizont zu sehen ist.
Das Stromsystem arbeitet nicht für die Energiewende. (Bild: Martin Vorel/​Libreshot)

Braucht es nicht ein ganz neues Modell, wie sich der Strompreis bildet?

Ja, das bisherige Modell auf der Basis der Börsenvermarktung ist gescheitert.

Die Vergabe im EEG zu langfristig stabilen und günstigen Preisen sollte von Wind und Photovoltaik bedarfsgerecht auf den verbleibenden Bedarf an steuerbarer Erzeugung wie Batterien und Spitzenlastkraftwerke ausgedehnt werden. Der so im Mix erzielte günstige Strompreis sollte den Stromkunden direkt zugutekommen, an der Börse sollten nur noch Restmengen und -bedarfe gehandelt werden.

Dann haben Stromkunden günstige Preise, die Investitionen in Erneuerbare amortisieren sich zuverlässig und es entsteht breite gesellschaftliche Akzeptanz für das erneuerbare Stromsystem.

Der Ausbau der Solarenergie läuft derzeit gut, und auch die Windkraft kommt langsam aus dem Tal. Ist die Bundesregierung hier auf gutem Weg?

Nein, noch nicht. Bei der Windkraft gibt es im Moment zwar eine starke Zunahme erteilter Genehmigungen, der echte Bau-Turbo lässt aber auf sich warten.

Bei Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie gibt es weiterhin Neubau-Blockaden. Dabei werden gerade diese zur Deckung des Strom- und Wärmebedarfs im Winter benötigt. Insgesamt erreicht die momentane Ausbaudynamik nicht einmal das aus Klimaschutzgründen schon unzulängliche Ziel von 80 Prozent Ökostrom bis 2030.

Bundeskanzler Scholz hat im letzten Jahr versprochen, der Erneuerbaren-Ausbau werde die Strompreise für Haushalte, aber auch die Industrie senken. Sagen Sie uns: Wann ist es so weit?

Wenn wir endlich 100 Prozent erneuerbare Energien haben werden, die im intelligenten Mix von Wind, Photovoltaik und steuerbaren Erneuerbaren und Speichern über Digitalisierung passend zum flexiblen Bedarf ausgerichtet sind. Dann liegen wir unter den heutigen Strompreisen.

 

Letzte Frage: Eine Reihe Staaten in Europa hat den Neubau von Atommeilern angekündigt, gerade auch unsere Nachbarländer Frankreich, Niederlande, Belgien, Polen und Tschechien. Liegen die alle falsch?

Ja, Atomkraftwerke sind zu teuer, zu gefährlich, ihr Bau dauert zu lange und sie werden deshalb nicht kommen. Das Problem dieser Ankündigung ist aber, dass sie den Ausbau zu 100 Prozent erneuerbaren Energien – die schneller verfügbar sind und weniger kosten – in der EU stark behindern und so den Klimaschutz blockieren wird.