Letztes Jahr stieg Windkraft in Deutschland zum größten Stromerzeuger auf, ließ vor allem die Kohle hinter sich. Das sei ein Ergebnis harter Arbeit und zeige, dass die Branche die verbesserten Rahmenbedingungen nutzen kann, sagte kürzlich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Minister wie Branche verweisen bei der Windkraft an Land gern auf die in Ausschreibungen erteilten Zuschläge sowie die große Zahl erteilter Genehmigungen.
Tatsächlich hat die Bundesnetzagentur hier in den ersten sechs Monaten knapp 5.300 Megawatt ausgeschrieben. Für rund 4.200 Megawatt erhielten die Projektierer dann auch den Zuschlag – für den Zeitraum eines halben Jahres ein neuer Rekordwert.
Ein bisher nicht erreichter Spitzenwert für ein Halbjahr sind auch die 4.800 Megawatt an neu genehmigten Windanlagen. Rechnet man beide Werte auf ein Jahr um, kommt der mögliche Zuwachs in die Nähe der 10.000 Megawatt, die bei der Windkraft an Land nötig sind, damit Deutschland 2035 über ein klimaneutrales Stromsystem verfügt.
Beim realen Ausbau schwächelte die Windenergie im ersten Halbjahr allerdings erheblich. Insgesamt legte die bundesweit an Land installierte Leistung nur um 1.300 Megawatt zu, wie der Branchenverband BWE am Donnerstag bilanzierte.
Der wichtigste Grund für das geringe Plus: Im ersten Halbjahr wurden Windanlagen mit einer installierten Leistung von zusammen 379 Megawatt stillgelegt. Rein von der Anzahl her übertreffen die stillgelegten sogar die neuen Anlagen – nur sind letztere in der Regel viermal so leistungsfähig wie die alten, im Schnitt 22 Jahre lang betriebenen Windtürme. So kommt es insgesamt zum Leistungszuwachs.
Sondereffekte sorgten für geringeren Zubau
Das schwache Ergebnis erklärt die Branche zunächst mit Sondereffekten. So habe es im April so starke Winde gegeben, dass die Kräne zum Aufbau der Anlagen nicht errichtet werden konnten. Dann sei die wichtige Autobahn A27 bei Bremen gesperrt gewesen und Rotorblätter hätten dadurch nicht zu den Baustellen transportiert werden können, berichtete BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek bei der Präsentation der Halbjahresbilanz, erstellt von der Beratungsfirma Deutsche Windguard.
Auch schon länger bestehende Probleme bremsen für Heidebroek weiter den Ausbau, etwa der Engpass bei der Lieferung von Umspannwerken sowie das anhaltende Nord-Süd-Gefälle im Land.
So steuerte die Länder-Spitzengruppe aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg im ersten Halbjahr drei Viertel des Ausbaus bei. Der Süden müsse endlich aufholen, forderte Heidebroek. "Der Zubau kommt in Gang, aber noch nicht so, wie wir uns das vorstellen", bilanzierte die Verbandschefin.
Ob der jährliche Zuwachs von 10.000 und mehr Megawatt wirklich einmal erreicht werden wird – die Zweifel daran werden nicht weniger, gerade auch mit den jüngsten Vorschlägen der Ampel-Koalition in der von ihr beschlossenen "Wachstumsinitiative".
Mit Sorge blickt die Windbranche auf die Absichten der Ampel, ab Anfang 2025 bei sogenannten negativen Strompreisen an der Börse generell keine EEG-Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz mehr zu zahlen sowie die EEG-Förderung längerfristig abzuschaffen und durch Investitionszuschüsse zu ersetzen.
Erneuerbaren-Ausbau mit EEG ist günstiger als ohne EEG
Bei der EEG-Vergütung in Zeiten negativer Strompreise ist für Bärbel Heidebroek nicht so sehr die Frage, ob ab der ersten oder dritten Stunde nicht mehr gezahlt wird – entscheidend sei vielmehr, wie sich Strompreise unter null generell vermeiden lassen, betonte die BWE-Chefin auf Nachfrage.
Dies sei nicht dadurch zu erreichen, dass die Erneuerbaren einfach kein Geld mehr bekommen, so Heidebroek, sondern nur durch Flexibilisierung und Entbürokratisierung des Stromsystems. Es müsse einfacher werden, Speicher und Elektrolyseure zu bauen und den Stromverbrauch an die Erzeugung anzupassen.
"Wir haben ein Energiesystem, das mittlerweile im Stromsektor zu 60 Prozent von Erneuerbaren gespeist wird, aber wir haben noch immer ein Strommarkt-Design, das auf fossilen Lasten beruht", merkte die BWE-Präsidentin dazu an. Das müsse sich ändern.
Auch die Pläne, die Förderung von der EEG-Vergütung auf einmalige Zuschüsse umzustellen, drohten die Branche zu verunsichern und Investitionen zurückzuhalten, warnte Bärbel Heidebroek. Es müsse unbedingt vermieden werden, den Fördermechanismus per "Schnellschuss" zu verändern, denn dann werde es zu einem Ausbaustopp kommen. Ihrer Ansicht nach wolle das auch die Regierung nicht.
Die Windbranchenchefin machte hier noch eine andere Rechnung auf: Energie mithilfe des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu erzeugen, sei derzeit für die Gesellschaft günstiger als ohne das EEG, betrachte man die Gesamtkosten.
Auch Dennis Rendschmidt vom Energieanlagenbauer-Verband VDMA Power Systems plädierte bei der Halbjahresbilanz für eine Gesamtbetrachtung der Kosten. Ein neues Fördermodell müsse gewährleisten, dass einerseits die Systemkosten gedeckt werden, die etwa durchs Stromnetz oder die Flächennutzung anfallen, andererseits aber auch die Kosten, die mit der Errichtung und dem Betrieb einer Windenergieanlage entstehen.