Hans-Josef Fell vor einer Innenhof-Fassade im Bundestag.
Das Atrium des Bundestages hat ihm immer sehr gut gefallen – nun muss Hans-Josef Fell sein Büro räumen. (Foto: Benjamin von Brackel)

Hans-Josef Fell sieht sich in seinem Abgeordnetenbüro nach einem guten Hintergrundmotiv fürs Porträtfoto um. Sein Blick bleibt auf einem Grünen-Transparent mit der Aufschrift "Zukunft – ja bitte!" hängen. "Das muss jetzt nicht unbedingt mehr sein", sagt er und wendet sich lieber der Mahatma-Gandhi-Zeichnung zu, die seine Nichte gemalt hat. Gandhi sei für ihn immer noch ein Vorbild, sagt Fell, jemand, der Mut und Visionen gehabt habe und sich nicht von den kleinkarierten Debatten der "Bedenkenträger" abbringen ließ. So sieht sich Fell selbst auch. Einer, der gegen alle Widerstände seine Vision umsetzt. 

In den Worten des 60-Jährigen schwingt einiger Zorn mit. Denn nach 15 Jahren Abgeordnetendasein zieht Fell nicht mehr in den Bundestag ein. Auf der bayerischen Landesliste war er mit Platz zwölf zu schlecht platziert. Nichts als "Unprofessionalität" sei das gewesen, schimpft Fell. Die Parteispitze hätte der Basis vor der Abstimmung keinerlei Empfehlungen gegeben – im Gegensatz zu allen anderen größeren Parteien.

Für die Grünen ist das Ausscheiden ihres Abgeordneten eine Zäsur, die kaum beachtet wird. Fell ist einer der vier Urheber des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Wie kaum ein anderer hat er sich als energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion für die Ökoenergien eingesetzt, sich bis ins Detail in Gesetzestexte eingearbeitet, aber auch die Energiewende in unzähligen Reisen über den Globus in Moskau, Peking und Johannesburg angepriesen. Zuverlässig, kompetent, geradeaus nennt ihn der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripur, der mit Fell eng zusammengearbeitet hat. "Auf die Expertise eines Energiepapstes können wir nur schwer verzichten", sagt er und hofft, dass Fell auch außerhalb des Bundestags die Grünen weiter beraten kann.

"Es gibt in der Bundestagsfraktion meines Wissens keine Kompetenz mehr darüber. Die werden jetzt händeringend danach suchen, Experten für das EEG zu finden", sagt Fell, der Vater des EEG. Und mit Blick auf seine eigene Leistung: "Ich habe sehr wohl die Partei dahin gebracht, wie man erneuerbare Energien in der Gesellschaft befördert, dass Märkte da sind. Das EEG – das ist alles mein Erfolg", sagt Fell.

Heimlich das EEG ausgearbeitet

Dass Fell das auf die Gefahr des Selbstlobs so deutlich sagen muss, hängt auch damit zusammen, dass er selten ins Scheinwerferlicht kam – dort tummelten sich stets andere: Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Claudia Roth, Renate Künast. Auf die Frage, ob er denn seine Leistung von der Partei gewürdigt sieht, sagt er ohne Umschweife: "Nein."

Um seinen Frust zu verstehen, muss man 15 Jahre zurück gehen. Fell zieht nach der gewonnenen Bundestagswahl 1998 ins Parlament ein, als ehrgeiziger, im bundespolitischen Betrieb mit 45 Jahren recht junger Abgeordneter. Zwar hat Rot-Grün die Wahl mit dem Versprechen des Atomausstiegs gewonnen und das auch umgesetzt. Doch der flankierende Ausbau der Erneuerbaren ist erstmal kein großes Thema.

Also zieht sich Fell ein halbes Jahr in seinem Büro zurück, wälzt Papiere und arbeitet auf eigene Faust an einem Entwurf für das spätere Erneuerbare-Energien-Gesetz. Dazu gesellen sich Michaele Hustedt, die damalige energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sowie Dietmar Schütz und Hermann Scheer von der SPD. Die vier arbeiten das "Parlamentsgesetz" aus – was unüblich ist, in der Regel kommen Gesetze aus den Ministerien, die die entsprechenden Apparate haben. Gleich von Anfang an hagelt es Angriffe auf das EEG. Die gehen auch in den Folgejahren weiter – denn das Gesetz ist ein einziger Angriff auf die konventionelle Energiewirtschaft.

Die fossilen Energien zum Verschwinden zu bringen – das ist zur Lebensaufgabe für Fell geworden. Auch als sich Dietmar Schütz und Michaele Hustedt aus dem Bundestag zurückziehen und Fells prominenter Bündnisgenosse Hermann Scheer stirbt, sitzt der Unterfranke mit dem grauen Bart weiter im Parlament. Er kämpft gegen die Angriffe aus den Reihen der FDP und der Energiekonzerne gegen "sein" Gesetz. Das wird ein voller Erfolg: Ein Viertel des Energiemixes in Deutschland machen bereits die Erneuerbaren aus, über 300.000 Arbeitsplätze sind in der Branche entstanden, Dutzende Staaten haben das EEG kopiert – auch das kann sich Fell als Erfolg anrechnen.

Jürgen Trittin wird er nicht vermissen

Auch in den Reihen der Grünen muss er es mit vielen Widerständen aufnehmen. Auf dem Erfurter Parteitag im Mai 2010 will Fell seine Partei zu einem ehrgeizigen Ziel verpflichten: Bis 2030 soll die Marke von 100 Prozent erneuerbaren Energien erreicht sein. Er weiß, dass er es schwer haben wird, da die Parteispitze gegen solch eine Festlegung ist, etwa der scheidende Parteichef Reinhard Bütikofer. Doch Fell gewinnt die Basis mit einer fulminanten Rede für sich. "Wir brauchen neue Antworten, neue Ziele, einen wirklich radikalen Realimus", rief er den jubelnden Parteifreunden zu. Doch kurz vor Schluss betritt Jürgen Trittin die Bühne und spricht gegen Fell an. Der Parteitag endet mit einem Kompromiss: Die Partei verpflichtet sich darauf, dass 100 Prozent erneuerbare Enerigen bis 2030 "angestrebt" – nicht "erreicht" – werden sollen.

"Ich werde Jürgen Trittin nicht vermissen", sagt Fell in seinem Bundestagsbüro. Der habe die Enerigewende immer nur halbherzig vorangetrieben. Das kann man Fell zumindest nicht vorwerfen. Sein Wohnhaus in Hammelburg ist ein Niedrigenergiehaus, er fährt Elektroauto – oder Fahrrad. Früher fuhr er morgens von seiner Wohnung in Moabit auf dem Weg in den Bundestag immer durch den Tiergarten, begegnete Vögeln und Füchsen. "Wunderschön", sagt Fell, "das hat mich ein bisschen daran erinnert, wo ich gerne bin, nämlich in der Natur. Ich kämpfe für die Natur, sie zu erhalten, deswegen meine Aktivitäten für den Klimaschutz."

Hans-Josef Fell vor einem gezeichneten Porträt von Mahatma Gandhi.
Gandhi sei noch immer sein Vorbild, wegen seines Mutes, seiner Visionen. Ein bisschen sieht sich Hans-Josef Fell selbst auch so. (Foto: Benjamin von Brackel)

Während etwa viele Abgeordnete aus der FDP schon die Kisten packen, Ordner auf Fahrwägen stapeln und sich verabschieden, steht im Büro von Fell noch alles an seiner Stelle, etwa das Regal mit den Ordnern: "EEG-Archiv". Noch hat er einige Tage Zeit, bis zur Neukonstituierung des Bundestags wird es noch etwas dauern. Fell hadert mit dem Abschied. Dabei könnte er doch zurück zu seiner Frau ins unterfränkische Hammelburg ziehen in sein mehrfach ausgezeichnetes Öko-Holzhaus ("Ich habe so ein wunderschönes Zuhause"), wo er im Gartenteich noch im Oktober seine 300 Meter schwimmt. Aber Berlin verlassen? "Neinneinnein", sagt er.

Er hat noch etwas vor, in ihm glüht es noch, er sieht seine Mission noch nicht beendet. Sein neuestes Projekt: Globale Abkühlung. Wissenschaftler und Politiker glauben schon jetzt nicht mehr an das Zwei-Grad-Ziel, aber Hans-Josef Fell spricht von Abkühlung. Typisch für ihn. "Ich bin überzeugt, dass das geht", sagt der ehemalige Physiklehrer. All jene, die nicht geglaubt hätten, dass die Erneuerbaren so schnell wachsen können, würden das in den kommenden Jahren erfahren. "Dass alle Bedenkenträger mich weiter als Unrealisten bezeichnen, das lässt mich inzwischen kalt", sagt Fell.

Fell bleibt auch jetzt der Visionär, geht den Leuten, die mit dem Status quo zufrieden sind, weiter auf die Nerven. Nur eben nicht mehr im Bundestag. In einen Verband wolle er nicht wechseln, sagt er, denn denen fehle es an Einfluss. Eher in der Wirtschaft die erfolgreichen Erneuerbaren-Unternehmen bündeln, mit seiner Expertise helfen, für Investitionen sorgen. Auf die Frage, ob er sein Leben seiner Vision verschrieben habe, sagt er, als sei es selbstverständlich: "Ja, sicher."

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