Was ist das Vorzeigeprojekt der Energiewende in Deutschland? Der Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Grünstrom-Anteil am Strommarkt kratzte dieses Jahr an der 60-Prozent-Marke – und es gehe auf die 80 Prozent zu, klopfte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Woche bei der Vorstellung seiner Modernisierungsagenda auf die Schulter.

Strom werde in Deutschland immer erneuerbarer und immer klimafreundlicher, so Habeck weiter. Deswegen sei es sinnvoll, ihn möglichst überall zu verwenden, in der großen Industrie wie beim privaten Verbrauch.

 

Die Verfügbarkeit grünen Stroms entscheidet, nebenbei bemerkt, auch über Deutschlands Klimaziele. Um 2045 klimaneutral zu sein, muss die heutige erneuerbare Erzeugung mindestens verfünffacht werden – von knapp 220 Milliarden Kilowattstunden auf mehr als 1.000 Milliarden, hat die neue Studie der Agora-Thinktanks gerade erst vorgerechnet.

Habecks Vorzeigeprojekt kommt schon jetzt in schweres Fahrwasser. Die steigende Zahl von Stunden mit sogenannten negativen Strompreisen führt zu steigenden Verlusten bei den Erneuerbaren. Bei der Photovoltaik werden inzwischen 20 Prozent der Betriebsstunden nicht mehr vergütet, ist aus der Branche zu hören. Bei der Windkraft sollen es immerhin fast sechs Prozent sein.

Zu diesem Problem legte die Branche schon eine Reihe von Vorschlägen vor: mehr Flexibilität beispielsweise, indem Überschussstrom in Wasserstoff oder Wärme umgewandelt wird, oder mehr Anreize für Biogasanlagen, Strom entsprechend den Marktkonditionen zu erzeugen.

Wichtigster Vorschlag der Branche ist, die Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht mehr starr über 20 Jahre zu zahlen, sondern für eine bestimmte Menge des eingespeisten Stroms. Die Betreiber könnten dann ihre Anlagen zu Zeiten negativer Preise ohne Einbußen von Netz nehmen.

Selbst verschuldete Abhängigkeit von EU-Vorgaben

Auf die Vorschläge gibt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium keine Resonanz, wie zu hören ist. Dafür bastelt das Haus Habeck derzeit an der vermutlich größten Ausbaubremse für Erneuerbaren, seit eine große Koalition 2017 die EEG-Vergütung auf wettbewerbliche Ausschreibungen umstellte.

Wind- und Solarparks müssen künftig Geld aus der EEG-Förderung zurückzahlen. (Bild: Erich Westendarp/​Pixabay)

Die nächste Zäsur droht 2027. Dann läuft der aktuell geltende EEG-Mechanismus aus. Derzeit wird der eingespeiste Ökostrom, sofern die Anlage nicht frei finanziert ist, über die 20 Jahre vergütet. Bei Windkraft an Land sind 7,35 Cent je Kilowattstunde garantiert. Bei Photovoltaik bewegt sich die Vergütung je nach Größe der Anlage und Art der Stromeinspeisung zwischen sieben und rund 13 Cent.

Windkraftanlagen generell und Photovoltaik ab 750 Kilowatt müssen ihren Strom dabei zunächst an der Börse vermarkten. Erhalten sie dort weniger als die gesetzlich garantierte Vergütung, werden die Einnahmen entsprechend aufgestockt. Werden beim Stromverkauf höhere Erlöse erzielt als den Betreibern übers EEG garantiert wird, können diese das Geld bisher behalten.

Das muss sich ab 2027 ändern, verlangen die EU-Vorgaben. Dann muss ein Fördersystem gelten, das mit einem Rückzahlungsinstrument ("Claw-Back") ausgestattet ist. Die Betreiber können dann nicht mehr wie bisher alle Mehrerlöse aus der Stromvermarktung behalten, sondern müssen daraus Förderung zurückzahlen.

Nebenbei bemerkt: In diese missliche Lage hat sich die Ampel selbst gebracht, indem sie die EEG-Umlage nicht mehr von den Stromkunden, sondern aus dem Staatshaushalt bezahlt. Die Vergütung der erneuerbaren Energien wurde so ein Fall fürs Beihilferecht. Die Bundesregierung musste sich entsprechend das EEG 2023, mit dem der Wechsel der Bezahlung geregelt wurde, von der EU-Kommission genehmigen lassen. Die EU hatte damit ihren Fuß in der Tür.

Feste Rückzahlungen, egal wie viel Strom erzeugt wurde

Dieser Fehler zwingt nun die Bundesregierung, einen Rückzahlungsmechanismus für vom Staat ab 2027 geförderte Erneuerbaren-Anlagen einzuführen. Anfang August hatte das Bundeswirtschaftsministerium dazu ein sogenanntes Optionenpapier vorgelegt. Dieses listete vier Möglichkeiten auf, um die "Claw-Back"-Vorgabe zu erfüllen:

  • Option eins: Ergänzung des aktuellen Systems um einen Refinanzierungsbeitrag als Rückzahlungsinstrument
  • Option zwei: Einführung zweiseitiger produktionsabhängiger Differenzkontrakte
  • Option drei: Einführung zweiseitiger produktionsunabhängiger Differenzkontrakte
  • Option vier: Einführung von Kapazitätszahlungen in Verbindung mit einem produktionsunabhängigen Refinanzierungsbeitrag

Mit den ersten beiden Optionen könnte die Erneuerbaren-Branche leben, wenn auch bei Option zwei schon mit leichtem Zähneknirschen. Diese Variante läuft auf die sogenannten Contracts for Difference (CfD) hinaus. Bei diesen Differenzverträgen erhalten die Betreiber vom Stromabnehmer zwar auch einen garantierten Preis, müssen aber auch Mehrgewinne zurückzahlen – an den Staat oder an einen privaten Kunden, wenn der CfD beispielsweise zwischen einem großen Windpark und einem Industriebetrieb abgeschlossen wurde.

Doch die Optionen eins und zwei, ist zu hören, interessieren das Bundeswirtschaftsministerium gar nicht. Es soll von vornherein vor allem die Option vier verfolgen. Dagegen läuft wiederum die Erneuerbaren-Branche seit Monaten Sturm. Grund ist das Wörtchen "produktionsunabhängig".

 

Wie die Variante vier genau funktioniert, ist nicht so einfach zu erklären.

Mit der sogenannten Kapazitätszahlung würde der Betreiber eine einmalige fixe Summe entsprechend der installierten Leistung der Erneuerbaren-Anlage erhalten, ähnlich einem staatlichen Investitionszuschuss, wenn jemand eine Chipfabrik baut. Die Höhe dieser Zahlung soll in einer wettbewerblichen Ausschreibung ermittelt werden.

Die Rückzahlung bei der Option vier soll aber eben nicht von der real erzeugten Strommenge abhängen (wie bei Variante eins und zwei), sondern "produktionsunabhängig" erfolgen. Dazu sollen aufwendig sogenannte "fiktive Erlöse" ermittelt werden, nach denen sich dann der Rückzahlbetrag bemessen soll.

Banken warnen vor "überhastetem Systemumbruch"

Ohne hier auf weitere Details des europaweit unerprobten Kapazitätsmechanismus einzugehen – die entscheidende Folge von Option vier liegt auf der Hand: Das gesamte Risiko beim Betrieb der Erneuerbaren-Anlage wird auf den Betreiber abgewälzt.

Mehr Risiken bedeuten natürlich mehr Aufwand und mehr Finanzierungskosten. Zudem drohten bei Windparks wegen der Unsicherheit zwischen fiktiver und realer Stromerzeugung Rückzahlungen von bis zu 40 Prozent der Kapazitätszahlung, schätzt der Erneuerbaren-Verband BEE. Solarparks könnten sogar den "Knockout" erleiden.

Über so viel regierungsgewollte Ignoranz ist die Branche regelrecht schockiert, spricht von einem völligen Systembruch, der mit Variante vier eintreten werde und zwei, drei oder sogar mehr Jahre Stillstand beim Erneuerbaren-Ausbau auslösen könne. Man fühle sich an das Desasterjahr 2017 erinnert, heißt es.

Panorama Frankfurt
Auch die Commerzbank hat neben Sparkassen, Genossenschafts-, Volks- und Landesbanken den "Brandbrief" unterschrieben. (Bild: Klaus-Dieter von Wangenheim/​Pixabay)

Aktueller Höhepunkt der laufenden Auseinandersetzung mit dem Bundeswirtschaftsministerium ist ein Brandbrief, den mehr als ein Dutzend Banken und Kreditinstitute jetzt an den Wirtschaftsminister schickten. Die Geldhäuser warnen vor den Risiken eines "überhasteten Systemumbruchs", wie es in ihrem Klimareporter° vorliegenden Schreiben heißt. Die Institute gehören allesamt dem Finanziererbeirat des Bundesverbands Windenergie an.

So ein Systemwechsel, ist weiter zu lesen, bringe nicht nur mehr Aufwand für Risikobewertung und -management mit sich, sondern erhöhe auch den Eigenkapitalbedarf und die Kapitalkosten spürbar. Das wiederum schränke die Akteursvielfalt ein – sprich: Bürgerenergiegesellschaften bekommen noch größere Probleme, ihre Erneuerbaren-Projekte umzusetzen.

Diese Effekte führten zu Verzögerungen und Ausfällen beim Zubau der erneuerbaren Energien und verteuerten die Energiewende, heißt es in dem Schreiben. Die Banken plädieren dafür, den "verlässlichen Rahmen des EEG" beizubehalten. Probleme wie negative Preise ließen sich im gegenwärtigen System zügig beheben.

Ob sich Habeck und sein Haus von der zunehmenden Kritik beeindrucken lassen, ist wenig wahrscheinlich. Die Folgen des neuen Strommarktdesigns treten ja erst weit nach der nächsten Bundestagswahl ein. Bis dahin kann die Strategie gut aufgehen, sich fürs Vorzeigeprojekt täglich selbst zu loben. Für Leute jedenfalls, die die wirkliche Lage nicht kennen.

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