Aus einem Tankwagen wird Gülle auf eine grüne Wiese gesprüht.
Zu viele Tiere, zu viel Gülle, zu viel Methan, zu viel Ammoniak: Über die Umweltfolgen der Landwirtschaft wird seit Jahren diskutiert, geändert hat sich wenig. (Foto: Bildagentur Zoonar/​Shutterstock)

Man hört es immer und immer wieder: Tierhaltung sei unverzichtbar, weil uns sonst die Gülle zum Düngen fehlen würde. Das ist mittlerweile eines der beliebtesten Verteidigungsmanöver der Fleischindustrie, wenn gefordert wird, diese klimaschädliche und leidvolle Branche abzubauen oder abzuschaffen.

Besonders seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat das Dünger-Argument Konjunktur: Wenn weniger Gülle zur Verfügung stünde, dann müsse man mehr Mineraldünger verwenden, der mit Erdöl und Erdgas produziert wird, behauptet zum Beispiel der Verband der Fleischwirtschaft.

Und sogar der grüne Agrarminister Özdemir hat sich in den letzten Monaten mehrfach ähnlich geäußert: Tierhaltung in Deutschland sei weiterhin sinnvoll, um tierischen Dünger als Ersatz für mineralischen Dünger zu produzieren. Außerdem sei der Dünger von Tieren wichtig "für eine funktionierende, natürliche Kreislaufwirtschaft".

Das Problem mit diesen Behauptungen: Sie stimmen nicht. Tatsächlich ist sogar das Gegenteil davon wahr: Tierhaltung bedeutet effektiv, dass mehr externer Dünger benötigt wird. Wie kommt das?

Der relevante Nährstoff, um den es in der Diskussion geht, ist Stickstoff. Benjamin Bodirsky, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, hat an zahlreichen Forschungsarbeiten zu globalen Stickstoffkreisläufen mitgewirkt. Er sagt: "Alles, was die Tiere an Stickstoff ausscheiden, haben sie zuvor über das Futter aufgenommen, und dieses Futter musste zuvor auch gedüngt werden."

Die Gülle, die in der Tierhaltung anfällt, reicht dabei noch nicht einmal aus, um die nötigen Futtermittel zu düngen. "Denn die Landwirtschaft ist kein geschlossener Kreislauf", so Bodirsky.

Hohe Stickstoffverluste

Zum einen werden Nährstoffe abtransportiert, wenn wir die Tiere schlachten und essen. Zum anderen gelangen etwa bei der Düngung immer auch Stickstoffverbindungen in die Umwelt, zum Beispiel in umliegende Gewässer oder das Grundwasser. All diese Verluste müssen daher stetig durch neuen Stickstoff ersetzt werden, und dazu dient der Kunstdünger.

Hinzu kommt: "Die Stickstoffverluste bei der Produktion tierischen Proteins sind viel höher als bei pflanzlichem Protein", sagt Bodirsky. Das hat zwei Gründe: Erstens muss ein Vielfaches an Futtermitteln angebaut und gedüngt werden, weil immer nur ein Teil der Nährstoffe in Fleisch, Milch oder Eier umgesetzt wird.

Porträtaufnahme von Friederike Schmitz.
Foto: Alice Baldwin

Friederike Schmitz

ist Autorin und Aktivistin. Ihr aktuelles Buch heißt "Anders satt: Wie der Ausstieg aus der Tier­industrie gelingt". Darin erläutert sie die Gründe für eine umfassende Trans­formation des Ernährungs­systems, geht auf häufige Einwände ein und zeigt Alter­nativen sowie politische Maßnahmen auf.

Zweitens entstehen bei der Lagerung und Ausbringung der Gülle hohe zusätzliche Ammoniak-Emissionen. Die Folge sind größere Umweltbelastungen und ein insgesamt höherer Düngerbedarf.

Beides kann man reduzieren, indem man die Tierhaltung und den Konsum von Fleisch, Milch und Eiern reduziert. "Weniger Tiere heißt in der Summe weniger – nicht mehr – Kunstdünger", so Bodirsky. Das ist also genau das Gegenteil von dem, was die Fleischwirtschaft und der Agrarminister behaupten.

Es gibt neben Kunstdünger noch einen anderen Weg, Stickstoff ins System zu bringen: den Anbau von Hülsenfrüchten. Denn die haben die besondere Fähigkeit, mit Bakterien an ihren Wurzeln Stickstoff aus der Luft zu binden – etwas, das Tiere gerade nicht können.

Der Ökolandbau, bei dem generell kein Kunstdünger verwendet wird, ist auf diese Stickstoffquelle angewiesen. Zugleich hört man gerade im Ökolandbau besonders oft die Behauptung, dass tierischer Dünger unverzichtbar sei.

Aber auch hier enthalten Gülle und Mist letztlich nur (einen Teil von dem) Stickstoff, der zuerst in Pflanzen war. Viele Biobetriebe bauen daher gezielt Hülsenfrüchte wie Klee, Luzerne oder Ackerbohnen an, die sie dann an Tiere verfüttern.

Es geht auch ohne den Umweg über Tiere

Man kann sich die Fähigkeit dieser Pflanzen, Stickstoff zu fixieren, aber auch anders als über den Umweg Tier zunutze machen: Über ihre Wurzeln düngen die Hülsenfrüchte sowieso den Boden, in dem sie wachsen. Anstatt die Pflanzen zu verfüttern, kann man viele Arten wie Erbsen, Bohnen, Linsen, Lupinen, Kichererbsen oder Soja als Nahrungsmittel für Menschen nutzen.

Außerdem kann man Hülsenfrüchte anbauen, um den Aufwuchs zu kompostieren oder als Mulch auf den Boden zu legen, um so anderen Pflanzen den Stickstoff zur Verfügung zu stellen. Genau das passiert längst in vielen Biobetrieben und im veganen Ökolandbau, der mit dem Förderkreis biozyklisch-veganer Anbau seinen eigenen Verband hat. Auch die ökologische Landwirtschaft braucht also keine sogenannten Nutztiere.

Im konventionellen Anbau wäre es ebenfalls vorteilhaft, mehr Stickstoff über Hülsenfrüchte ins System zu bringen anstatt über Kunstdünger. Aktuell werden nur geringe Mengen dieser Pflanzen für die menschliche Ernährung erzeugt, auch weil die Nachfrage nach Erbsen, Bohnen, Linsen und Co noch klein ist.

Das lässt sich ändern – mit einer sinnvollen Agrar- und Ernährungswende, für die ein Ausstieg aus der Tierindustrie zentral ist: Indem wir tierische Produkte durch pflanzliche Alternativen aus Hülsenfrüchten ersetzen, können wir Dünger und damit Erdgas einsparen und im gleichen Zuge die Umweltverschmutzung durch Stickstoffemissionen verringern.

All das ist auch aus Klimagründen dringend geboten und würde nicht zuletzt Milliarden Tiere vor einer grauenhaften Existenz bewahren.

Das Märchen von den vermeintlichen Wunderkräften der Gülle steht dieser Transformation direkt im Weg. Es nützt damit letztlich nur der Tierindustrie und schadet uns allen.