Eine braun-weiße Kuh steht auf einer Weide.
Die extensive Weidehaltung von Rindern ist teurer und schützt das Klima. (Foto: Michael Eugster/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Frau Neubert, die Coronakrise hat die Lebensmittelpreise steigen lassen, gerade bei Gemüse und Obst. Ein Zeichen dafür, wie fragil unsere Lebensmittelversorgung ist?

Susanne Neubert: Wir haben den Anspruch, dass es alle Lebensmittel zu jeder Zeit gibt, entkoppelt von Saison und Region. Dieses System ist in der Tat fragil, wie sich besonders in dieser Krise zeigt.

Die steigenden Nahrungsmittelpreise signalisieren unter anderem, dass dahinter arbeitende Menschen stehen, die bisher unterbezahlt sind. Die Arbeit auf den Feldern ist hart und muss angemessen entlohnt werden. Endlich sehen wir, wie sehr die osteuropäischen Arbeiter bei uns schuften und wie gut sie sind.

Bei ordentlicher Bezahlung würden die Nahrungsmittel teurer werden ...

Die Nahrungsmittelpreise sind bei uns sehr niedrig. Wir geben durchschnittlich nur 14 Prozent unserer Einkommen für Essen aus. Das ist ein Problem.

Wären Lebensmittel teurer, würden wir vermutlich auch nicht so viel Essen wegschmeißen, sondern es eher wertschätzen. Wir würden uns automatisch gesünder ernähren, weniger Fleisch essen und weniger zuckerhaltige Getränke trinken.

Zudem könnten Landwirte für Ökosystemleistungen bezahlt werden, wenn sie zum Beispiel auf Pestizide verzichten und die Bienen überleben. Das wäre ein Nutzen für alle.

Müssen wir uns also auf ein höheres Preisniveau einstellen?

Die aktuellen Preiserhöhungen werden sicherlich wieder zurückgehen, denn die Landwirte produzieren heute unter einem gnadenlosen Konkurrenzkampf. Aber: Gesund ist das nicht.

Reis zum Beispiel ist derzeit knapp auf den Weltmärkten, weil wichtige Exporteure wie China und Vietnam einen Exportstopp verhängt haben. Müssen wir die Nahrungsmittelketten regionalisieren?

Sich von Nahrungsmittel-Importen abhängig zu machen ist immer schlecht. Allerdings ist grundsätzlich nichts dagegen zu sagen, wenn Länder des Südens Lebensmittel exportieren.

Susanne Neubert
Foto: WBGU

Susanne Neubert

ist promovierte Agrar­ökonomin und Ökologin und leitet den Bereich Landnutzung in der Geschäfts­stelle des Wissen­schaft­lichen Beirats der Bundes­regierung für Globale Umwelt­veränderungen (WBGU). Dafür ist sie von ihrer Position als Direktorin des Seminars für ländliche Entwicklung an der Berliner Humboldt-Universität beurlaubt. Sie arbeitete viele Jahre zu Ressourcen­management und Klimawandel, im Deutschen Institut für Entwicklungs­politik und im Wissen­schafts­zentrum Berlin, zudem in afrikanischen Ländern zu land­wirtschaft­lichen Entwicklungs­fragen.

Verarbeitete Waren könnten den Anbauländern aber deutlich mehr Einkommen sichern als Rohprodukte. Dafür brauchen wir ein faires Lieferkettengesetz, wie zuletzt von der Bundesregierung geplant, aber wegen der Coronakrise wieder gestoppt.

Wir sollten das globale Agrarsystem und den Handel generell in diese Richtung umgestalten: umweltgerechte Produkte belohnen und umweltschädlich erzeugte durch Preisaufschläge bestrafen. Nur so können wir zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft kommen.

Verarbeitete Export-Nahrungsmittel aus Entwicklungsländern durch hohe Zölle zu bestrafen, halte ich dagegen für unmoralisch.

Corona hat auch die Missstände in den Fleischfabriken erneut offengelegt – die hohen Infektionsraten haben uns aufgeschreckt. Ist es damit getan, etwa die Infektionsketten in den Betrieben und Unterkünften zu unterbinden?

Nein, die Fleischindustrie als Ganzes muss sich ändern. Die aktuellen Beschlüsse der Bundesregierung zu schärferen Regeln für die Branche, etwa gegen Werkverträge, sind ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen.

Aber auch die Tiere sind Lebewesen, die eine Würde haben. Sie können gerne für die menschliche Ernährung geschlachtet werden, aber ihr Leben und auch das Getötetwerden darf nicht unter dem Diktat des Billig-billig-billig stehen. Stellen Sie sich vor: Für ein Kalb, das geschlachtet wird, bekommt der Bauer derzeit ganze neun Euro.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung fordert seit Langem eine Halbierung des Fleischverbrauchs, um Übergewicht und Kreislaufkrankheiten zu reduzieren. Das würde auch die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft deutlich reduzieren. Sind die Chancen dafür gewachsen?

Der Fleischverzehr muss sehr stark runter, ganz klar. Die Landwirtschaft der Zukunft kann nur rund 50 Prozent der bisherigen Mengen an Fleisch- und Milchprodukten nachhaltig produzieren. Unsere übermäßige "Fleischlust" geht auf Kosten des Regenwaldes in Amazonien, von wo Soja als Futtermittel kommt.

Weniger Fleisch- und Milchprodukte zu konsumieren ist eine Mehrgewinnstrategie: Wir leben gesünder, und Tier-, Umwelt- und Klimaschutz profitieren, weil wir unsere Tiere dann wieder auf die Weide stellen können. Wir sollten das jetzt tun. Und ja, die Chancen dafür sind gewachsen.

Rollback oder Öko-Neustart?

Kohleausstieg verschieben, CO2-Preis überprüfen, Pkw-Emissionsziele strecken: Aus Wirtschaft und Politik mehren sich die Forderungen, Klimaschutz-Regeln beim Ankurbeln der Wirtschaft auszusetzen oder zu streichen. Der Corona-Neustart muss aber genutzt werden, um Klima- und Umweltschutz den überfälligen Push zu geben. Wie, das beleuchtet Klimareporter° in einer Interview-Serie mit prominenten Fachleuten.

Wie kann man das sicherstellen?

Wir brauchen eine an die Fläche gebundene Tierhaltung. Als ich in den 1980er Jahren Agrarwissenschaften studiert habe, da wusste jeder: Maximal eine Großvieheinheit pro Hektar ist richtig, damit die anfallenden Exkremente die Aufnahmekapazität des Bodens nicht überfordern.

In die Nähe dieser Zahl müssen wir zurück. Heute haben Landwirte das Problem, wie sie die Gülle loswerden. Dabei ist Tierdung eigentlich eine wertvolle Ressource und kein Abfall.

Und warum wird der Unsinn fortgeführt?

Die Landwirte verhalten sich so, weil sie unter einem enormen Kostendruck und in einem Überlebenskampf stehen. Sie befinden sich in einer Spirale, scheinbar ohne Ausweg.

Die Konsumenten haben sich daran gewöhnt, sehr wenig für Lebensmittel zu bezahlen, und machen sich damit zu Komplizen der Agrarlobby. Die Bauern schauen weg, sie leugnen zum Beispiel, dass sie mit ihrer Art zu wirtschaften das Insekten- und Vogelsterben verantworten, obwohl sie wissen, dass es stimmt. Wie traurig ist das eigentlich?

Wie ginge es anders?

Wir sollten gemeinsam mit den Landwirten über eine verträgliche Flächennutzung entscheiden und dann die dabei erbrachten Ökosystemleistungen, wie sauberes Grundwasser und Artenvielfalt, belohnen. Das können wir erreichen, indem wir es in die anstehende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU hineinschreiben.

Zudem brauchen wir eine Lenkungsabgabe für Pestizide, wie es die Dänen vormachen, die damit bereits 44 Prozent dieser Chemikalien eingespart haben. Viele Bauern wollen doch eigentlich mit der Natur und nicht gegen sie wirtschaften, anders kann ich es mir nicht vorstellen.

Sollen die EU-Agrarhilfen an einen Umbau der Landwirtschaft zu ökologischer Produktion gebunden werden?

Ja. Ökolandbau ist die Systemalternative, weil er viele Anforderungen auf einen Schlag erfüllt: gesunde Nahrungsmittel, mehr Kulturpflanzenvielfalt, keine Überdüngung, keine Ausrottung der Insekten oder der natürlichen Begleitvegetation auf dem Acker, Klimaschutz durch Humusaufbau.

Die industrielle Agrarwirtschaft können und dürfen wir nicht weiterführen. Wir brauchen eine Landwende – und zwar jetzt.

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