Beim Klimaschutz können sich deutsche Bauern vorerst zurücklehnen. Laut Klimaschutzgesetz hätte die Landwirtschaft 2022 knapp 68 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen können. Tatsächlich waren es letztes Jahr rund 62 Millionen.
Der größte Teil der Unterbietung geht aber nicht auf wirkliches Einsparen zurück. Vielmehr hat der Weltklimarat die Klimawirkung von Lachgas-Emissionen aus der Düngung neu bewertet. Sie ist fast 40 Prozent niedriger als zuvor angenommen.
Dadurch sinken die deutschen Agrar-Emissionen um jährlich fast fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.
Logisch wäre es, den Landwirten die gut fünf Millionen Tonnen "heiße Luft", die jetzt in ihrem CO2-Budget stecken, wegzunehmen. Das passiert aber erstmal nicht. 2023 haben die Bauern etwas mehr als 67 Millionen Tonnen CO2 zur Verfügung.
Und es kommt noch schöner für sie. Unter- oder überschreitet ein Sektor sein Budget, werden die Mehr- oder Minderemissionen gleichmäßig auf die folgenden Jahre bis 2030 verteilt. Zwar wurden die fünf Millionen Tonnen nur auf dem Papier eingespart, werden aber entsprechend den Regularien des Klimagesetzes nunmehr jedes Jahr aufs CO2-Budget der Landwirtschaft aufgeschlagen.
Gutschrift-Mechanismus mit absurden Folgen
Dieser "Gutschrift-Mechanismus" im Klimagesetz führt nach Angaben von Fachleuten des Umweltbundesamtes und des Thünen-Instituts dazu, dass die deutsche Landwirtschaft ihre Emissionen bis 2030 eigentlich gar nicht mehr senken müsste. Dennoch würden im Agrarsektor vom gesamten CO2-Budget bis 2030 mehr als zehn Millionen Tonnen ungenutzt bleiben.
Absurd, oder? Der Expertenrat für Klimafragen plädiert denn auch dafür, die "heiße Luft" aus dem Klimagesetz zu lassen und das Sektorziel für die Landwirtschaft entsprechend abzusenken. Bei den fast fünf Millionen Tonnen habe ja keine tatsächliche Emissionsminderung stattgefunden, argumentiert der Rat.
Die Umverteilung in die Zukunft passiert auch, wenn ein Sektor sein Jahresbudget überzieht. Weil der Verkehr 2022 gut neun Millionen Tonnen CO2 zu viel emittierte, werden seine ohnehin sinkenden jährlichen Budgets zusätzlich abgesenkt, um ein bis zwei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, wie Marc Oliver Bettzüge vom Klimaexpertenrat vorrechnet.
Diese stetige Verschärfung folgt aus dem sogenannten Budget-Ansatz im Klimaschutz. Umfang und Tempo der Erderwärmung hängen bekanntlich davon ab, welche reale Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre abgelassen wird.
Oder wie der Expertenrat in seinem jüngsten Bericht schreibt: Es gibt starke Belege dafür, dass ein "nahezu linearer Zusammenhang zwischen kumulierter Menge an globalen Emissionen und dem projizierten Temperaturanstieg besteht".
Klimarat will Budget-Ansatz unbedingt erhalten
Entsprechend illustriert der Klimarat in dem Bericht das aktuell drohende Scheitern des deutschen Klimaziels für 2030 in zweifacher Weise. Bleibt es dabei, dass Deutschland seine CO2-Emissionen wie bisher um jährlich nur rund zwei Prozent senkt, wird der im Klimagesetz für 2030 festgelegte Zielwert von 440 Millionen Tonnen CO2 um 190 Millionen Tonnen überzogen, also um rund 40 Prozent, schreibt der Rat zum einen.
Schaut man aber aufs gesamte CO2-Budget von 2022 bis 2030, summieren sich die ständigen Überziehungen – vor allem bei Verkehr und Gebäuden – auf insgesamt 740 Millionen Tonnen, stellt der Klimarat zum anderen fest. Zum Vergleich: Das ist so viel, wie Deutschland aktuell jährlich emittiert.
Wegen des Unterschieds zwischen Jahreszielen und Gesamtbudget ist sogar eine Situation vorstellbar, dass Deutschland 2030 mit Ach und Krach und mit Tricks irgendwie die 440 Millionen Tonnen schafft, aber dennoch das Budget für das 1,5-Grad-Limit aus dem Pariser Klimavertrag weit überzieht.
Für den Klimaeffekt kommt es aber nicht auf einzelne Jahre an, sondern auf die Gesamtmenge der Treibhausgase, betont der Klimarat ausdrücklich und verlangt, dass bei einer Reform des Klimagesetzes das Budget-Konzept erhalten bleibt. Dieses sei "essenziell" für den Klimaschutz.
Zudem bestünden bei Abschaffung oder Aufweichung des Budgetprinzips verfassungsrechtliche Bedenken. Ein solches Vorgehen stünde vermutlich im Widerspruch zum Klimaurteil des Verfassungsgerichts vom März 2021, so der Klimarat. Dieses Urteil lege für Deutschland ausdrücklich ein Restbudget an Treibhausgasemissionen zugrunde.
Nicht nur der Klimarat rätselt derzeit, worauf die Ampel bei ihrer geplanten Reform des Klimagesetzes hinauswill. Der Koalitionsausschuss hatte kürzlich beschlossen, die jährlichen Minderungsziele künftig als "aggregierte Jahresemissionen bis zum Jahr 2030" in Bezug aufs "Gesamtminderungsziel" zu betrachten.
Prozentuale statt absoluter CO2-Minderung vorgeschlagen
Dazu könne man erst etwas sagen, wenn konkrete Gesetzestexte vorliegen, winkt der Rat bei Nachfragen ab.
So dürfte die Motivation der Ampel, den Landwirten die ihnen zugefallenen fünf Millionen Tonnen wieder wegzunehmen, gering sein, wenn es künftig einen Ausgleich zwischen "guten" und "schlechten" Sektoren geben soll.
Auch wegen der sichtlichen Schwierigkeiten, neue wissenschaftliche Entwicklungen "einzuarbeiten", hatten die Fachleute aus Umweltbundesamt und Thünen-Institut schon letztes Jahr eine grundlegende Reform des Klimagesetzes vorgeschlagen.
Dabei sollten vor allem die jetzigen absoluten durch prozentuale Minderungswerte ersetzt werden, um die Wirksamkeit der sektoralen Emissionsmengen künftig zu sichern, heißt es in einem vor Jahresfrist veröffentlichten Papier. Prozentuale Zielwerte würden die berichteten Emissionen unabhängiger von der jeweiligen Berechnungsmethode machen, so die Begründung.
Die Idee hat viel Charme. Denn damit Deutschland seine Klimaziele 2030 noch erreicht, müsste das derzeitige Minderungstempo von zwei auf rund sechs Prozent jährlich erhöht werden, stellt der Expertenrat in seinem Prüfbericht fest. Eine Verdreifachung des Einspartempos in jedem Sektor – das ist der Maßstab, an dem sich die Reform des Klimagesetzes wird messen lassen müssen.
Und als Erstes muss aber die "heiße" Luft abgelassen werden.