Noch 2015 jubelte die Weltgemeinschaft über das in Paris verabschiedete Klimaabkommen. Auf der COP 21, dem 21. UN-Klimagipfel, hatten sich die Staaten verpflichtet, die Erderwärmung bis 2100 auf "deutlich unter" zwei Grad zu halten, und wollten sogar Anstrengungen unternehmen, sie auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Die erste völkerrechtlich bindende Einigung zum Klimaschutz wurde als Wendepunkt gefeiert. Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten und beweist, auch dieses Abkommen ist erstmal nur Druckerschwärze auf Papier.
Auf der COP 26 in Glasgow einigte man sich sechs Jahre später darauf, den Kohleverbrauch zu senken – ohne Zeitplan, versteht sich – und "ineffiziente fossile Subventionen" zu beenden. Beim Kohleausstieg fehlt nach wie vor eine Zeitachse und auch die fossilen Subventionen waren letztes Jahr höher als im Jahr der Unterzeichnung.
Schon lange vor Glasgow manifestierte sich in der Klimabewegung der Slogan "Never trust a COP" – traue keinem Klimagipfel.
Mit Arbeitsprogrammen und Verträgen haben die COPs einen Rahmen für die internationale Klimadiplomatie geschaffen. Doch einen tatsächlichen Effekt zeigten die bisherigen Verhandlungen höchstens darin, dass die Klima-Prognosen etwas optimistischer wurden. Die Treibhausgasemissionen sind hingegen – bis auf ein Jahr während der Finanzkrise und der Corona-Pandemie – stets gestiegen. Dieses Jahr erreichen sie einen neuen Höchststand.
Dass dieses Jahr mit Donald Trump als designiertem US-Präsidenten und Deutschland kurz vor Neuwahlen kein weiter Wurf auf der COP 29 in Baku gelingt, ist zumindest die Erwartung vieler Beobachter:innen.
Sieben konkrete Reformvorschläge
In einem offenen Brief fordern nun führende Wissenschaftler:innen und politische Prominenz kurz vor der COP-Halbzeit eine Überarbeitung des Formats. In der gegenwärtigen Form seien die Klimakonferenzen dem Zweck nicht mehr dienlich, heißt es darin.
Der gesamte Prozess müsse umfassend überarbeitet werden, um die Stabilität des Planeten und eine lebenswerte Zukunft für die Menschheit zu gewährleisten. Zu den Unterzeichner:innen gehört der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, die einstige UN-Klimachefin Christiana Figueres und der führende Klimaforscher Johan Rockström.
"Bei dem letzten Gipfel in Dubai übertrafen die Zahlen fossiler Lobbyist:innen die aus Wissenschaft, indigenen Gemeinschaften und gefährdeten Nationen", erklärte Christiana Figueres. "Wir können nicht darauf hoffen, eine gerechte Transformation zu erreichen, wenn wir den COP-Prozess nicht grundlegend reformieren, um eine faire Vertretung der am meisten Betroffenen zu gewährleisten."
Insgesamt schlagen die Unterzeichner:innen sieben Reformen vor.
Erstens. Die Auswahl des Austragungsorts soll nach festen Kriterien erfolgen. Dabei sollen Länder ausgeschlossen werden, die die Abkehr von fossilen Energien nicht unterstützen.
Die aserbaidschanische COP-Präsidentschaft dürfte das zu Recht als Spitze verstehen. Das Land am Kaspischen Meer plant, in den nächsten Jahren seine Gasförderung massiv auszubauen. Der seit 20 Jahren diktatorisch regierende Präsident Ilham Alijew wiederholte zu Beginn der Konferenz nochmals sein kontroverses Statement vom Petersberger Klimadialog im April in Berlin, Öl und Gas seien ein "Geschenk Gottes".
Auch die beiden Gastgeberländer der Vorjahre, Ägypten und die Vereinten Arabischen Emirate, hatten aufgrund ihrer fossilen Expansionspläne für einen internationalen Aufschrei gesorgt.
Zweitens. Die Konferenz soll durch kleinere, öfter stattfindende und stärker lösungsorientierte Treffen ersetzt werden. Nur so könnten die Klimaverhandlungen auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und sich ändernde globale Umstände reagieren.
Die schiere Größe der Events – dieses Jahr über 65.000 akkreditierte Teilnehmer:innen, letztes Jahr in Dubai sogar 97.000 – steht seit Jahren in der Kritik.
Drittens. Die Klimadiplomatie sollte um einen Mechanismus ergänzt werden, der Staaten für das Erreichen ihrer Ziele und die Einhaltung ihrer Verpflichtungen auch zur Rechenschaft zieht. Gerade für diesen Punkt dürften sich Regierungen besonders schwer begeistern lassen.
Sich zu etwas zu verpflichten, es aber im Jahr darauf geflissentlich ignorieren zu dürfen, ist schließlich ein unausgesprochener Grundsatz der Verhandlungen.
Viertens. Für die Klimafinanzierung sollte, neben strengeren Pflichten zur Nachverfolgung und Berichterstattung, eine klare Definition eingeführt werden. Diese Forderungen stellen auf der jetzigen COP in Baku auch zahlreiche Entwicklungsländer.
In den vergangenen Jahren hatten die Industrienationen, auch Deutschland, einen Großteil der berichteten Klimafinanzierung als Kredite zu markt- oder marktähnlichen Konditionen ausgezahlt.
Fünftens. Die Stimme der Wissenschaft müsse eine stärkere Rolle auf den Klimakonferenzen spielen. Dazu empfehlen die Unterzeichner:innen, ein ständiges wissenschaftliches Beratungsgremium in die COP-Struktur zu integrieren.
"All COPs are bastards"
Sechstens. Die Zusammenhänge zwischen Armut, Ungleichheit und der Instabilität des Erdsystems werden von neuer Forschung klar belegt und müssten deshalb eine stärkere Rolle in den Verhandlungen spielen. Es solle einen Gesandten für die Klima-Armut-Wechselwirkungen geben, um ihre stärkere Beachtung zu garantieren.
Siebtens. Angesichts der großen Zahl fossiler Lobbyist:innen auf vergangenen Klimagipfeln plädiert der Brief für klare Leitlinien als Teilnahmevoraussetzung. So sollen Unternehmen nachweisen, dass ihre Klimaverpflichtung, ihr Geschäftsmodell und ihre Lobbytätigkeiten miteinander im Einklang sind.
Im Schlussabsatz betonen die Unterzeichner:innen, dass es keinen Zweifel darüber gebe, wie wichtig das UN-Klimasekretariat und multilaterale Verhandlungen seien. Vergangene COPs hätten wichtige Grundlagen geschaffen, aber jetzt müsse das Format überholt werden.
Sechs planetare Belastungsgrenzen seien bereits überschritten, mahnte Johan Rockström. "Es gibt immer noch ein Zeitfenster für eine sichere Landung der Menschheit, aber dies erfordert einen globalen klimapolitischen Prozess, der Veränderungen mit exponentieller Geschwindigkeit und in exponentiellem Ausmaß bewirken kann."
Ein Gegenevent zu dem Klimagipfel im autoritär regierten Aserbaidschan ging wenige Tage vor dem Start in Baku im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca zu Ende. Aus rund 40 Ländern von fünf Kontinenten hatten sich Vertreter:innen verschiedener Bewegungen und Initiativen auf der "Anti-COP" versammelt.
Wenig überraschend hoffte dort kaum jemand auf eine zielführende Reform des Konferenzformats. Die COP 29 versuche Krieg und Ausbeutung von Menschen und Ressourcen hinter heuchlerischem Greenwashing zu verbergen, heißt es im Abschlussstatement.
COP 29 in Baku
Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.Ziel des Gegengipfels sei es, lokale Kämpfe in einem globalen Netzwerk zu verbinden und zu unterstützen. Die Selbstbestimmung der Menschen und das öffentliche Bewusstsein für die Klimakrise müssten – neben zahlreichen weiteren Zielen – gestärkt werden.
Auch der Slogan der Klimabewegung "Never trust a COP" fand in abgewandelter Form Einzug in die Abschlusserklärung: "All COPs are bastards."