Mädchen laufen mit Wasserkanistern auf dem Kopf
Zwischen Starkregen und Dürre: In Uganda zerstört die Klimakrise schon heute Ernten und Infrastruktur – aber wie in vielen Ländern im Süden fehlt Geld zur Anpassung. (Foto: Charles Nambasi/​Pixabay)

Klimareporter°: Frau Minninger, Sie werfen der Bundesregierung vor, bei den Vereinten Nationen mehr Klimafinanzierung anzugeben, als Deutschland eigentlich leistet. Wie kommen Sie darauf?

Sabine Minninger: Das geht klar aus der heute erschienenen Studie hervor, die unter anderem Brot für die Welt in Auftrag gegeben hat. Darin hat das dänische Beratungsunternehmen Inka Consult die offiziellen Meldungen aller europäischen Staaten für uns ausgewertet.

Und für Deutschland heißt das: Fast die Hälfte der 6,3 Milliarden Euro, die Deutschland als Klimafinanzierung meldet, werden in Krediten vergeben, müssen also zurückgezahlt werden. 44 Prozent, um genau zu sein. Und das sind nicht nur besonders tolle, zinsfreie Angebote, sondern auch die zu marktüblichen Konditionen. Deutschland profitiert davon.

Das widerspricht allerdings keiner internationalen Vereinbarung, oder?

Das stimmt leider. Was Klimafinanzierung genau ist, ist leider nirgendwo exakt definiert. Jedes Industrieland macht das so, wie es will. Deutschland ist übrigens auch nicht alleine mit den vielen Krediten, der EU-Schnitt ist sogar noch einen Prozentpunkt schlechter.

Da sind es also 45 Prozent der Gesamtsumme, die zurückgezahlt werden müssen.

Dabei geht es doch darum, dass die Industriestaaten den Klimawandel verursacht haben und unter anderem deshalb so reich sind – aber die ärmsten Länder leiden am meisten darunter. Nicht nur durch ihre geografische Lage, sondern auch, weil ihnen das Geld fehlt, um sich anzupassen.

Klimafinanzierung ist keine Frage der Mildtätigkeit, sondern eine Frage der Verantwortung der Industriestaaten. Da kann man sich doch nicht mit Formalitäten rausreden.

Lehnen Sie Kredite als Klimafinanzierung komplett ab?

Zusätzlich zur Klimafinanzierung können Kredite durchaus eine wichtige Rolle spielen, aber doch nicht als Ersatz für die Verpflichtungen, die Industrieländer eingegangen sind. Übrigens auch schon vor vielen Jahren. 2009 haben sie versprochen, ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar an Klimafinanzierung zu stellen.

Das war eines der wenigen Ergebnisse des gescheiterten Weltklimagipfels in Kopenhagen.

Und dieses Geld sollte nicht durch Kredite bereitgestellt werden. Das sehen auch die ärmsten Staaten so. Die sagen: Klimafinanzierung muss öffentliches Geld sein – es geht nicht, dass das Ganze davon abhängt, was sich für die Industrieländer rechnet. Und das sehe ich auch so.

Die neue Studie hat ergeben, dass zu wenig Geld in die Anpassung an die Folgen des Klimawandels fließt ...

Sabine Minninger

ist Referentin für Klimapolitik bei der evangelischen Entwicklungs­organisation Brot für die Welt. Zusammen mit Partnern aus dem globalen Süden verfolgt sie seit 2008 die UN-Klima­verhandlungen. Klima­anpassung und Klima­finanzierung gehören zu ihren Schwer­punkten. Sie hat Geografie in Trier und Glasgow studiert.

Um beim Beispiel Deutschland zu bleiben: Aus den gemeldeten Geldern werden nur zu 32 Prozent Anpassungsprojekte finanziert. Der Durchschnitt der EU-Länder ist ein bisschen besser, da sind es 36 Prozent.

Im Paris-Abkommen steht aber eigentlich, dass die Minderung der Emissionen und die Anpassung gleichermaßen wichtig sind. Bei den öffentlichen Geldern, die nicht zurückgezahlt werden müssen, da ist das auch so. Die Verteilung ist da ungefähr fifty-fifty. Das Ungleichgewicht kommt durch die Kredite.

Weil der Fokus dadurch auf den Projekten liegt, durch die Geld in den Norden zurückfließen kann?

Ja, da sieht man, dass die Befürchtung der ärmsten Länder begründet ist: Bei vielen Anpassungsprojekten – zum Beispiel beim Bau eines Deichs – ist die Finanzierung mit einem Kredit zu riskant, also gibt es dafür einfach weniger Geld. Ich will aber wie schon erwähnt nicht sagen, dass die Projekte, die mit den Krediten aufgebaut werden, schlecht sind.

Da kann es zum Beispiel um den Ausbau erneuerbarer Energien gehen.

Das ist natürlich wichtig. Und wenn sich daraus ein Geschäft entwickelt, kann das Geld von mir aus auch zurückgezahlt werden. Aber allgemein ist das keine Lösung.

Erstens ist das wie gesagt unfair, zweitens auf lange Sicht nicht praktikabel. Der Klimawandel wird ja immer teurer, je weiter er fortschreitet. Wenn Menschen und Länder im globalen Süden dafür Kredite aufnehmen sollen, treibt sie das in die Schuldenspirale.

Noch etwas ist international nicht geregelt, wie Ihre Studie aufzeigt – nämlich, wie man eigentlich zwischen Entwicklungshilfe und Klimafinanzierung unterscheiden soll. Und Hand aufs Herz: Das ist doch wirklich schwierig!

Na klar ist das schwierig. Und genau so argumentiert zum Beispiel Deutschland. Da heißt es oft: Aber wir machen doch mit unserer Entwicklungshilfe ganz tolle Sachen für den Klimaschutz, wo ist denn da die haarscharfe Trennung? Und die gibt es inhaltlich nicht, das stimmt.

... wenn zum Beispiel mit Entwicklungshilfe ein Bildungsprojekt aufgebaut wird – während wir wissen, dass vor allem Mädchenbildung ein wirksames Klimaschutzinstrument ist.

Oder wenn Bauern unterstützt werden, dann muss natürlich der Klimawandel mit seinen Auswirkungen auf die Landwirtschaft bedacht werden. Aber es ist eben klar, dass Klimaschutz und -anpassung zusätzliches Geld erfordern. Es kann nicht sein, dass zum Schluss einfach auf einem alten Geldtopf ein neues Label draufsteht.

Deshalb haben die Staaten sich auf der Weltklimakonferenz in Cancún 2010 geeinigt, dass Klimafinanzierung "neu und zusätzlich" sein muss. Aber was heißt das?

Das kommt darauf an, wen man fragt. Auch hier entscheidet sich Deutschland leider für den einfachsten Weg, nicht für den besten. Die Bundesregierung meldet einfach alles, was thematisch passt, als Klimafinanzierung, wenn es nicht wirklich schon mal in einem anderen Rahmen offiziell gemeldet wurde.

Das sollte man doch eigentlich voraussetzen können, dass man nicht alten Wein durch neue Schläuche fließen lässt! Wann das Geld geflossen ist oder ob es auch mit den bisherigen Entwicklungshilfeprogrammen geflossen wäre, spielt keine Rolle.

Wie könnte man es denn besser machen?

Finnland zum Beispiel setzt wenigstens das Jahr 2009 als Basisjahr, zählt also erst ab 2010. Das ist ja auch plausibel: Wie soll denn bitte Geld, das vor den passenden Versprechen geflossen ist, "neu und zusätzlich" sein?

Und dann gibt es Länder wie Portugal, die in ihrer Entwicklungshilfe ausweisen, welche Projekte auch einen Klimabezug haben – und trotzdem weitere Klimafinanzierung liefern und melden.

Am besten macht es aber Schweden. Das ist nämlich eines der wenigen Länder, die überhaupt Entwicklungshilfe auf dem international vereinbarten Niveau leisten.

Das liegt bei 0,7 Prozent des jeweiligen Bruttonationaleinkommens. Schweden hat 2019 laut OECD Entwicklungshilfe in Höhe von 0,99 Prozent seines BNE gezahlt.

Und zahlt darüber hinaus eben auch Klimafinanzierung. Da ist klar: Das ist "neu und zusätzlich".

Deutschland hingegen lag 2019 bei 0,6 Prozent. Und wenn man jetzt – eben anders, als es die Bundesregierung rechnet – nur den Anteil der Klimafinanzierung draufrechnet, der nicht zurückgezahlt werden muss, dann landet man insgesamt gerade mal bei 0,7 Prozent.

Auch abgesehen von der Frage der Kredite kann man sich also darüber streiten, ob da überhaupt schon Klimafinanzierung fließt. Praktischerweise hat es die Formulierung "neu und zusätzlich" auch nicht mehr richtig ins Paris-Abkommen geschafft, sie steht da nur noch im Anhang.

So ist das mit einigen heißen Eisen.

Ja, Industriestaaten haben auf dieses Wording natürlich gar keine Lust. Die Entwicklungsländer wollen daran festhalten. Sie haben Angst, dass Geld, das ihnen zusteht, einfach nur recycelt wird.

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