Mehrere Viehkadaver liegen auf roter Erde. Im Hintergrund sind Büsche zu sehen. Menschen begutachten die Kadaver.
Dürre im kenianischen Bezirk Garissa, wo die meisten Menschen von nomadischer Viehhaltung leben. (Foto: Fridah Bwari/​ActionAid)

"Der Klimawandel erzeugt eine poverty trap – eine Armutsfalle", sagt Walter Leal. Leal ist Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Leitautor des Kapitels zu Armut, Existenzgrundlagen und nachhaltiger Entwicklung im neuen IPCC-Teilbericht.

Diesem Report zufolge setzen zunehmende Wetter- und Klimaextreme Millionen von Menschen einer akuten Ernährungsunsicherheit und einer verminderten Wasserversorgung aus. In Afrika ist Landwirtschaft die wichtigste Einnahmequelle – aber stark gefährdet, so Leal im Gespräch mit Klimareporter°.

Bei Wasserknappheit können die Menschen kein Gemüse oder Getreide mehr anbauen und ihre Tiere nicht mehr füttern. Landwirtschaftliche Erträge fallen weg und somit auch die Einnahmen. Die Falle schnappt zu.

"Der Klimawandel ist ein Treiber von extremer Armut und verstärkt die bereits bestehende Ungleichheit", erläutert Leal. Der IPCC-Bericht macht einmal mehr klar: Der Klimawandel ist gerade auch ein Gerechtigkeitsproblem.

"Wir erleben ein Paradox", erklärt Leal. "Zwar sind die Industrieländer der Nordhalbkugel für den Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich, aber die anderen Länder sind die Leidtragenden." Nicht einmal zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen stammten aus Afrika. Dennoch leide der Kontinent am stärksten unter dem Klimawandel.

Bis zu 3,6 Milliarden Menschen sind mit Blick auf den Klimawandel besonders verwundbar, schreiben die Verfasser:innen des zweiten IPCC-Teilberichts. Doch nicht nur das: Diese Verwundbaren sind auch unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen. Zwischen 2010 und 2020 war die durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme verursachte Sterblichkeit in besonders verwundbaren Regionen 15-mal höher als in Regionen mit sehr geringer Verwundbarkeit.

Besonders gefährdete Regionen, sogenannte Global Hotspots, finden sich vor allem in West-, Zentral- und Ostafrika, Südasien, Mittel- und Südamerika sowie in kleinen Inselentwicklungsländern und der Arktis. Die Verwundbarkeit ist dort höher, wo Armut, politische Probleme und gewaltsame Konflikte vorherrschen, schreiben die Wissenschaftler:innen. Weitere Risikofaktoren sind sehr klimasensible Lebensgrundlagen und ein begrenzter Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Ressourcen.

Wenig Geld für höhere Deiche oder moderne Bewässerung

Die kurzfristigen Auswirkungen des Klimawandels hängen dabei nicht primär davon ab, wie sich das Klima verändert, sondern davon, wie verwundbar und gefährdet bestimmte Regionen sind, so der Bericht. Klimarisiken stehen also vor allem mit Anpassungsmaßnahmen in Zusammenhang.

Die Länder des globalen Südens seien so stark vom Klimawandel betroffen, weil sie nur über geringe Anpassungskapazitäten verfügten, so Leal. "Sie haben wenig Geld, um Deiche zu erhöhen oder moderne Bewässerungsanlagen für die Landwirtschaft aufzubauen."

Adaptation gaps, Anpassungslücken, nennt der Report das Phänomen. Die größten Lücken bestünden bei Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen. Und Stand jetzt werde diese Lücke weiter wachsen. Da Anpassung Zeit brauche, seien nun eine langfristige Planung und eine beschleunigte Umsetzung wichtig, halten die Wissenschaftler:innen fest.

Auf dem Paris-Gipfel 2015 hatten sich die Industriestaaten verpflichtet, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Klimaanpassung bereitzustellen. Eine Vereinbarung, die bisher nicht eingehalten wird. "Mit dem Geld könnte viel erreicht werden, gerade auch zusammen mit der Weitergabe von Technologien", sagt Leal. Viele Länder in Afrika nutzten weiterhin Braunkohle als Energiequelle. "Wir könnten etwa den Sprung weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien unterstützen oder beim Bau von Auffangsystemen für Regenwasser helfen."

Für ein internationales Finanzierungssystem zur Klimaanpassung

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen heben anlässlich des neuen Berichts die Bedeutung von Klimagerechtigkeit hervor. "Die Ergebnisse des IPCC-Berichts klingen wie ein Alptraum, sind aber für Familien in Kenia und im globalen Süden tägliche Realität", berichtet Susan Otieno von Action Aid Kenia. "Wir sind gezwungen, jeden Tag mit den Auswirkungen des Klimas zu leben: schwere Dürren, Wasser- und Nahrungsmittelkrisen."

Mehr als 1,4 Millionen Tiere seien aufgrund der derzeitigen Dürre verendet. Otieno: "Das nimmt den Hirten die einzige Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren. Wir befürchten, dass bald auch Kinder an Durst und Hunger sterben werden."

Für Jan Kowalzig, Klimaexperte der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam, zeigt der Report, dass die Folgeschäden der Klimakrise vor allem die in Armut lebenden Menschen in den einkommensschwachen Ländern treffen: "Familien in Somalia, deren Viehherden in der Dürre verdurstet sind, oder Menschen auf den Philippinen, die noch immer in Turnhallen leben müssen, nachdem der Super-Taifun Raj kurz vor Weihnachten ihre Häuser weggefegt hat, brauchen diesen Bericht nicht, um zu verstehen, wie die Klimakrise ihre Lebensgrundlagen zerstört."

Vielfach werden deshalb Forderungen nach internationaler Unterstützung laut. "Ein globales System, das klimaanfällige Länder bei der Bewältigung der Folgen von Klimakatastrophen unterstützt, ist längst überfällig", hält Teresa Anderson von Action Aid International fest: "Bei den Klimaverhandlungen auf der COP 27 in Ägypten in diesem Jahr müssen endlich Finanzierungsmöglichkeiten zur Bewältigung von Verlusten und Schäden vereinbart werden."

"Klimagerechtigkeit bedeutet, dass Klimaanpassung vor allem den verletzlichsten Menschen zugutekommt", fordert auch Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt. "Die Mittel dafür müssen umgehend erhöht werden, um Menschen im globalen Süden nachhaltig vor den Folgen zu schützen." Dafür sei es notwendig, die deutsche Beteiligung an der internationalen Klimafinanzierung auf mindestens acht Milliarden US-Dollar pro Jahr anzuheben.

Sollte sich nichts grundlegend ändern, wird das Konsequenzen haben, ist sich Louise Fournier, Rechtsberaterin bei Greenpeace International, sicher: "Nach diesem neuen IPCC-Bericht haben Regierungen und Unternehmen keine andere Wahl, als im Einklang mit der Wissenschaft zu handeln, um ihre Menschenrechtsverpflichtungen zu erfüllen. Wenn sie das nicht tun, müssen sie sich vor Gericht verantworten."

Bundesregierung will "überzeugende Antworten" finden

Die deutsche Bundesregierung sieht sich angesichts des neuen Teilberichts mit in der Verantwortung. "Während Industriestaaten wie Deutschland mit Investitionen in Anpassung und Wiederaufbau die Folgen von Wetterextremen und Klimawandel noch einigermaßen begrenzen können, haben die am wenigsten entwickelten Länder oder kleine Inselstaaten diese Möglichkeit nicht. Sie sind daher besonders verwundbar", sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).

Daher wolle Deutschland gemeinsam mit den G7-Staaten einen weltweiten Schutzschirm gegen Klimarisiken schaffen und "die globale Architektur der Klimarisikofinanzierung und -versicherung" weiterentwickeln. Zusätzlich investiere die deutsche Entwicklungspolitik 21 Millionen Euro in eine Klimarisikoinitiative, die die finanzielle Absicherung armer und verwundbarer Menschen und Länder gegen Klimarisiken zum Ziel hat.

Wie erfolgreich die nächste Klimakonferenz in Ägypten wird, hängt aus Sicht des Ministeriums auch davon ab, ob die Delegationen beim Thema Verluste und Schäden "überzeugende Antworten" finden können.

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