Die Europäische Union werde auch weiterhin eine führende Rolle bei den internationalen Klima-Bemühungen spielen, erklärte Ungarns Umweltministerin Anikó Raisz, als sie kürzlich die EU-Verhandlungsposition für den Weltklimagipfel COP 29 im November vorstellte. Außerdem rufe die EU zur "Solidarität mit gefährdeten Ländern und Gemeinschaften in diesem gemeinsamen Kampf" auf.
Wer die internationale Klimadiplomatie schon eine Zeit lang verfolgt, weiß, dass "Solidarität mit gefährdeten Ländern" eine Anspielung auf die Gretchenfrage der UN-Klimakonferenzen ist: die Klimafinanzierung, die von den Industriestaaten an die Entwicklungsländer zu leisten ist. Und gerade da sieht es in der gemeinsamen Position der EU-Länder mau aus.
Alte Forderungen – etwa, dass die Geberländergruppe erweitert werden soll und der Großteil des Geldes als private Investitionen fließen muss – werden wiederholt. Eine Zusage für genauere Regeln oder eine Summeneinschätzung fehlen hingegen.
Das lässt schwierige Diskussionen auf der COP 29 erwarten. Die Verhandlungen sind bei dem Thema Geld, wie die Historie der Klimakonferenzen zeigt, besonders zäh.
So kämpfen die ärmsten Länder seit über zehn Jahren für eine finanzielle Unterstützung der Industrienationen zur Bewältigung klimabedingter Verluste und Schäden – im Konferenzenglisch "Loss and Damage". Zehn Jahre lang ist kaum etwas passiert.
Erst 2022 wurde beschlossen, dass ein entsprechender Fonds auf den Weg gebracht werden soll. Auf dem letzten Klimagipfel 2023 in Dubai wurden schließlich einige freiwillige Finanzzusagen gemacht – weit unterhalb dessen, was allein die Flut in Pakistan vor zwei Jahren an Schäden angerichtet hat.
Uneinigkeit bei jedem Aspekt des neuen Finanzziels
Bis heute existiert der Loss-and-Damage-Fonds nur auf dem Papier. Und Finanzzusagen und tatsächliche Geldüberweisungen sind im Kontext der internationalen Klimaverhandlungen zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Dieses Jahr werden auf der COP 29 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku die Verhandlungen um den Loss-and-Damage-Fonds weitergehen. Doch dieses Jahr geht es noch um wesentlich mehr.
Die Staaten müssen sich auf ein neues generelles Klimafinanzierungsziel einigen. Wie 2009 auf dem Gipfel in Kopenhagen beschlossen und sechs Jahre später im Pariser Klimaabkommen bestätigt, sind die Industrienationen verpflichtet, Entwicklungsländer finanziell bei Klimaschutz und Klimaanpassung zu unterstützen.
Die Industrieländer sagten zu, zwischen 2020 und 2024 jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen. In Baku muss sich die Weltgemeinschaft deshalb für die Jahre ab 2025 auf ein neues Ziel einigen.
Das neue Finanzierungsziel stehe bei diesem Gipfel ganz oben auf der Tagesordnung, betont Jan Kowalzig, Finanzexperte bei der Entwicklungsorganisation Oxfam. "Wenn es hierbei keinen überzeugenden Kompromiss gibt, ist dieser Gipfel kein Erfolg."
Das ist durchaus eine realistische Option. Schließlich sind sich die einzelnen Länder oder Ländergruppen im Grunde bei jedem einzelnen Aspekt des neuen Finanzziels uneinig. Das betrifft die Höhe genauso wie die Frage, welche Länder zahlen und welche profitieren sollen, oder auch, was unter Klimafinanzierung fällt und als solche angerechnet werden darf.
100-Milliarden-Zusage nicht wirklich eingelöst
Viel Vertrauen haben die Industrienationen bereits damit verspielt, das ohnehin viel zu geringe 100-Milliarden-Dollar-Versprechen nicht vollständig erfüllt zu haben. In den ersten zwei Jahren wurde die Summe deutlich verfehlt.
2022 berichtete der Industrieländerklub OECD erstmals, das Ziel sei erreicht worden. Zahlreiche Verhandler:innen aus dem globalen Süden, aber auch Umwelt- und Entwicklungsorganisationen kamen zu einem ganz anderen Ergebnis.
Teil der Kritik ist, dass Projektmittel, die bereits als Entwicklungshilfe verbucht worden waren, schlicht in Klimafinanzierung umetikettiert worden seien. Es habe in diesen Fällen also keine zusätzliche finanzielle Unterstützung gegeben. Eine Analyse des unabhängigen Center for Global Development errechnete, dass ein Viertel der Klimafinanzierung von 2022 aus bereits existierenden Entwicklungshilfeprojekten stammte.
Die Berichterstattung zur Klimafinanzierung obliegt allein den Industriestaaten, in Deutschland dem Bundesentwicklungsministerium. Ohne Kontrollinstanz entscheidet das Ministerium, ob ein Projekt als Klimamaßnahme angerechnet werden kann oder nicht.
Eine Liste mit allen geförderten Projekten stellt die EU zwar ihren Mitgliedsstaaten online zur Verfügung, darin sucht man konkrete Projektbeschreibungen oder weiterführende Links aber vergeblich. Letztes Jahr wurde etwa in Kamerun ein Projekt zur "Rehabilitation von Straßenkindern, Jugendlichen und ehemaligen Häftlingen in Yaoundé" mit rund 55.500 Euro gefördert und als Klimafinanzierung verbucht. So ein Projekt ist sicherlich wichtig, aber zumindest auf den ersten Blick ist die Klimawirkung nicht ersichtlich.
Zudem werden weltweit fast 70 Prozent des Geldes nicht als Zuschüsse, sondern als Kredite vergeben, und das größtenteils zu Marktkonditionen oder nur wenig besseren Bedingungen. Damit verdienen die Geberländer sogar noch an der Klimafinanzierung, und auch die Schuldenkrise vieler Länder des globalen Südens wird weiter verschärft.
Wie man es dreht und wendet: Es sind keine 100 Milliarden Dollar, die den Empfängerländern netto zur Verfügung standen. Es gibt aber keine festen Regeln dafür, was Klimafinanzierung eigentlich ist. Diese Unklarheit sei den Industrienationen zugutegekommen, sagt Oxfam-Experte Kowalzig.
Unabhängige Schätzungen sehen viel höheren Finanzbedarf
Der Begriff Klimafinanzierung soll deshalb in eine klare Definition gegossen werden, lautet eine Forderung der Entwicklungsländer. Bei den Vorverhandlungen, etwa auf der Klima-Zwischenkonferenz vergangenen Juni in Bonn, gab es dazu keine Fortschritte. Ähnlich sieht es mit der Höhe des künftigen Finanzziels aus.
Der Verhandlungstext ist über die letzten Monate zwar immer mehr konkretisiert worden – das erleichtert die Verhandlungen auf dem Gipfel –, inhaltlich haben sich die Staaten bisher aber nicht aufeinander zubewegt.
Die arabische und die afrikanische Ländergruppe forderten zwischen 1,1 und 1,3 Billionen US-Dollar an jährlicher Klimafinanzierung von 2025 bis 2030. Das seien vergleichsweise bescheidene Summen, die auf jeden Fall diskutierbar sein müssten, sagt Kowalzig.
"Die notwendige Finanzierung ist nicht davon abhängig, was die Industrieländer bereit sind zu geben, sondern was die ärmsten Länder brauchen, um mit der Klimakrise umzugehen", betont der Experte.
Unabhängige Schätzungen der notwendigen Finanzmittel, damit die Entwicklungsländer Maßnahmen entsprechend dem Pariser Klimaabkommen ergreifen können, rangieren zwischen zwei und sechs Billionen Dollar jährlich. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, welchen Teil des Geldes die Industrienationen und welchen die Länder selbst zu stemmen haben.
Auch unterteilen die Schätzungen nicht in öffentliche und private Geldströme. Viele Industriestaaten sehen die Aufgabe der öffentlichen Gelder vor allem darin, Anreize für private Investitionen zu schaffen.
Während Entwicklungsländer über konkrete Summen, Finanzierungsmöglichkeiten und Regeln sprechen wollen, lassen sich die Industrienationen bisher auf nichts Handfestes ein. Sie wollen zuvor eine alte Grundsatzdebatte aufrollen: Welche Länder sollen zur Klimafinanzierung verpflichtet werden und welche sollen davon profitieren dürfen?
Schwellenländer wehren sich gegen Zahlungspflichten
Eigentlich klingt es logisch. Die reichen Industrieländer als Hauptverursacher der Klimakrise müssen zahlen, die Entwicklungsländer müssen unterstützt werden. Die Vereinten Nationen richten sich bisher nach dieser klaren Zweiteilung der Welt. Diese hat ihren Ursprung in einem über 40 Jahre alten UN-Bericht, dem "Nord-Süd-Report".
Damals lag die Teilung der Welt in Industrienationen – Nordamerika, Europa, Sowjetunion, Japan, Australien – und Entwicklungsländer noch wesentlich näher an der sozioökonomischen Realität. Ziel des Berichts war es, einen Ausgleich zwischen den beiden Ländergruppen zu erreichen und die Unterschiede zwischen ihnen zu verringern, nicht die Teilung auf Ewigkeit festzuschreiben.
Mittlerweile haben tatsächlich einige "Entwicklungsländer" wie Südkorea oder die Vereinigten Arabischen Emirate bei der Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung so manches "Industrieland" überflügelt. Kurz, die Zweiteilung ist heute angesichts einer differenzierten globalen Verteilung von Wirtschaftskraft nicht mehr zeitgemäß.
Gerade die Golfstaaten haben ihren Wohlstand überwiegend im Öl- und Gasgeschäft gemacht und damit einen beträchtlichen Beitrag zur Klimakrise geleistet. Das bisherige Entwicklungsland China ist heute die weltweit zweitgrößte Ökonomie und der mit Abstand größte CO2-Emittent im Staatenvergleich. Mittlerweile liegen auch die chinesischen Pro-Kopf-Emissionen über dem Durchschnitt der Europäischen Union.
Es gibt also durchaus Argumente dafür, die Gruppe der Geberländer zu vergrößern. Die betroffenen "Entwicklungsländer" wollen sich dagegen nur auf freiwilliger Basis an der Klimafinanzierung beteiligen. Sie argumentieren, aufgrund der großen historischen Verantwortung der klassischen Industrienationen könnten sie nicht mit ihnen gleichgestellt werden.
Tatsächlich liegen die kumulierten historischen Emissionen der USA weit über denen Chinas. Die historischen Emissionen Großbritanniens, Deutschlands oder Russlands liegen zwar in absoluten Zahlen darunter, aber pro Kopf deutlich darüber.
Auch für Jan Kowalzig haben die Industrieländer nachvollziehbare Gründe, den Kreis der Geberländer erweitern zu wollen. Gleichzeitig gebe es gute Gründe aus Sicht der Emirate oder Südkoreas, sich gegen eine UN-rechtliche Gleichstellung mit den Industrienationen zu wehren.
Eine Welt voller Geld
Beim letztjährigen Klimagipfel wähnten bereits einige Beobachter die alte Zweiteilung im Wanken. Die Vereinigten Arabischen Emirate sagten als Gastgeberland 100 Millionen US-Dollar für den Loss-and-Damage-Fonds zu und 30 Milliarden für einen neuen Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien. Doch bisher scheint sich an der Verhandlungsposition der Entwicklungsländer nichts geändert zu haben.
Dabei könnte vor allem die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder von einer Erweiterung des Geberkreises grundsätzlich profitieren. Mehr potenzielle Geberländer, das heißt schließlich auch mehr potenzielle Klimafinanzierung. Bisher halten allerdings auch die ärmsten Länder an der Zweiteilung fest.
Das könnte an der nicht ganz unbegründeten Angst liegen, dass diese Grundsatzdiskussion eine Einigung auf eine feste Summe und klare Regeln ins Unabsehbare hinauszögern könnte. Für Kowalzig liegt darin auch eine Verhandlungstaktik. Bevor die Industrieländer den Forderungen der Entwicklungsländer nicht entgegenkommen, werde auch keines der ärmsten Länder die Positionen der Industrienationen stützen.
COP 29 in Baku
Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.Wie sich die Klimaunterstützung finanzieren ließe – dazu liegt mittlerweile eine Vielzahl an Vorschlägen auf dem Tisch. Viel mehr als herumliegen tun sie bisher aber nicht, schließlich verweigern sich die Industriestaaten der inhaltlichen Diskussion.
Auf der Bonner Klimakonferenz brachten afrikanische und arabische Länder wieder einmal eine Finanztransaktionssteuer ins Spiel. Dabei würden gehandelte Aktien, Anleihen und andere Finanzprodukte mit einem geringen Prozentsatz besteuert – meist werden 0,01 bis 0,05 Prozent genannt. Unterschiedliche Schätzungen für das Potenzial einer solchen Steuer kommen EU-weit auf bis zu etwa 80 Milliarden Euro jährlich, weltweit auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar.
Brasilien wirbt mittlerweile für eine globale Mindeststeuer für Milliardäre. Das Vermögen aller Milliardäre, die nationale Einkommenssteuern häufig umgehen, würde dabei mit zwei Prozent besteuert werden. Das könnte Schätzungen zufolge rund 250 Milliarden Dollar im Jahr mobilisieren – wesentlich mehr, als alle Industrieländer bisher an Klimafinanzierung bereitstellen.
Nur etwa hundert Familien wären von der Steuer betroffen, betonte die brasilianische Klima-Staatssekretärin Ana Toni, als sie den Vorschlag auf dem G20-Gipfel vergangenen Juli unterbreitete. Die 100 Familien würden laut einem Oxfam-Bericht nicht einmal ärmer werden. Die Geschwindigkeit, mit dem ihr Vermögen wächst, würde lediglich etwas gebremst.
Nach den Berechnungen von Oxfam ist das Vermögen der Milliardäre in den letzten fünf Jahren so schnell angewachsen, dass eine jährliche Steuer von 12,8 Prozent erforderlich gewesen wäre, um es auf einem konstanten Niveau zu halten. Davon ist der Vorschlag Brasiliens weit entfernt.
Es gibt also viele Möglichkeiten und Ideen, vor allem aber tiefe Gräben zwischen den klassischen Industriestaaten und den Entwicklungsländern, von denen einige eigentlich keine mehr sind.
Das schwierige Thema der Klimaschäden kommt da noch obendrauf. Entwicklungsländer wollen es als eine als dritte Säule der Klimafinanzierung neben Klimaschutz und -anpassung vertraglich festhalten. Die Industrieländer sträuben sich. Ohne Zugeständnisse der Industrienationen werden sich die Entwicklungsländer bei neuen Klimaschutz-Verpflichtungen querstellen.
Ob die Verhandlungen in einen vielversprechenden Kompromiss oder einen gescheiterten Klimagipfel münden? In zwei Wochen wissen wir mehr.