Luisa Neubauer hält ein Transparent in der Hand und ruft etwas.
Luisa Neubauer auf einer Fridays-for-Future-Demonstration in Berlin. (Foto: Jörg Farys)

Klimareporter°: Frau Neubauer, haben die Grünen jetzt die Klimabewegung verraten, als sie dem Abbaggern von Lützerath zugestimmt haben?

Luisa Neubauer: Die Grünen machen ja nicht Klimapolitik der Bewegung zuliebe, sondern der Welt zuliebe. Das Ganze herunterzubrechen auf ein Problem zwischen den Grünen und Fridays for Future, verpasst den Dreh- und Angelpunkt: dass es vielmehr ein Konflikt ist zwischen Politik und Wirklichkeit.

Sie sprechen von Politik der Welt zuliebe. Die Grünen haben auf ihrem Parteitag Mitte des Monats gegen ein Moratorium für Lützerath gestimmt.

Dass die Basis vor so eine Entscheidung gestellt wurde, war in meinen Augen schon falsch. Robert Habeck und Mona Neubaur hatten mit dem Deal ja eigenständig Fakten geschaffen. Für Lützerath, also für Klimagerechtigkeit, zu stimmen, hieß also für die Delegierten, der eigenen Parteiführung in den Rücken zu fallen.

Das knappe Abstimmungsergebnis zeigt aber auch, dass die Partei nicht geschlossen war.

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hat sich verteidigt: Vor die Wahl gestellt, etwas zu tun, das nicht perfekt sei, oder gar nichts zu tun, werde man sich für das nicht perfekte Handeln entscheiden. Können Sie das nachvollziehen?

Ich verstehe, dass das für die Grünen eine komplizierte politische Situation ist. Ich finde aber nicht, dass es irgendwem hilft, weitreichende politische Entscheidungen zu treffen ohne ein wissenschaftliches Fundament.

Sie beziehen sich auf die Einigung mit RWE über den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen bis 2030.

Ja. Dort wurde argumentiert, dass 280 Millionen Tonnen CO2 damit eingespart werden. Diese Zahl stammt offenbar von RWE. Und, so sagen es unabhängige Berechnungen, es würde durch den vorgezogenen Ausstieg 2030 im Zweifel überhaupt kein CO2 eingespart.

Dass sich die Grünen darauf eingelassen haben, ist ein großer Fehler, auch für das politische Vertrauen. Dass Christian Lindner erfolgreicher das Tempolimit beschützt als die Grünen Lützerath, das kann man auch niemandem erklären.

Aber müssen die Grünen nicht solche Kompromisse schließen, solange sie an der Regierung sind?

Luisa Neubauer

ist Klimaaktivistin und das bekannteste Gesicht der "Fridays for Future"-Bewegung in Deutschland. Die 1996 geborene Geografiestudentin, die Mitglied bei den Grünen ist, lebt in Göttingen und Berlin. "Gegen die Ohnmacht" heißt das Buch, das sie mit ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma, Jahrgang 1933, geschrieben hat.

Um einen Kompromiss schließen zu können, braucht es Verhandlungsmasse. Das Pariser Klimaabkommen und die 1,5-Grad-Grenze sind aber schon verhandelt. Mit dem sogenannten Kompromiss sind sie nun zur Verhandlungsmasse geworden.

Außerdem wird versucht, das Dorf Lützerath als Symbol zu degradieren, zu einem Kuscheltier der Klimabewegung. Lützerath steht aber auf Millionen Tonnen CO2, die nicht mehr abgebaggert werden dürfen.

Fridays-for-Future-Aktivist:innen treffen sich Ende Oktober mit Christian Lindner, um über ein 100-Milliarden-Sondervermögen für den Klimaschutz zu sprechen. Wie kam es zu dem Treffen?

Wir haben unsere Forderung nach einem Sondervermögen für das Klima von 100 Milliarden Euro vor etwa einem Monat aufgestellt. Wir haben dann auch gleich Gespräche bei Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz angefragt. Christian Lindner hat zugesagt.

Haben Habeck und Scholz auch zugesagt?

Herr Lindner war der Erste, wir werden bei Herrn Habeck und Herrn Scholz nachhaken.

Was erwarten Sie von dem Treffen?

Der Bundesparteitag der Grünen hat die Forderung nach 100 Milliarden für das Klima aufgenommen. Die Idee, dass man 2023 keine neuen Schulden machen kann, ist nicht mehr haltbar. Deshalb freuen wir uns auf ein konstruktives Treffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei der Atomdebatte gezeigt, dass er durchaus mal ein Machtwort sprechen kann. Was erwarten Sie von ihm im Klimaschutz?

Er hat sich Klimakanzler auf seine Plakate schreiben lassen. Wir erleben allerdings einen fossilen Kanzler. Scholz nickt es ab, dass endlos neue LNG-Infrastruktur gebaut wird, obwohl wir damit unsere Klimaziele nicht einhalten können. Er fährt zu den größten Diktaturen und bittet um neues Öl zu jedem Preis.

Wir werden fossile Krisen und fossile Kriege langfristig nicht mit fossilen Energien lösen. Dass wir in diesem Winter provisorische Lösungen brauchen, wissen wir, aber wir dürfen nicht in neue Abhängigkeiten abrutschen.

Wie bewerten Sie die Klimabilanz der Ampel bisher insgesamt?

Viele Menschen lassen sich gerade davon beruhigen, dass einzelne Sachen gut laufen. Das stellt auch niemand infrage. Man sieht, dass etwa am Ausbau der Erneuerbaren gearbeitet wird, am Moorschutz, am Tierschutz.

In dieser Zeit gibt es aber keine Entscheidung, die nicht irgendwelche ökologischen Konsequenzen hat – in der Verkehrspolitik, in der Baupolitik, in der Gesundheitspolitik. Es wäre der Job der Regierung, dafür zu sorgen, dass sich jede Entscheidung ökologisch behaupten kann.

Das heißt aber auch, dass ein Kanzler nicht erst von seiner Macht Gebrauch macht, nachdem sich die beiden anderen Partner monatelang wegen ein paar Monaten Atomkraft die Köpfe eingeschlagen haben.

Sie haben auch einen Schutzwall vor der rechten Anti-Klima-Front gefordert. Was befürchten Sie?

Es gibt die Tendenz zu sagen: In dieser Koalition geht das vielleicht nicht, da müssen wir auf eine andere warten. Es wird aber nie eine Koalition geben, in der es einfacher ist.

Wenn wir sehen, in welche Richtung Friedrich Merz und seine Kollegen gerade rhetorisch abrutschen, wollen wir uns nicht ausmalen, wie das aussieht, wenn er an die Regierung käme. Das heißt, dass in den nächsten drei Jahren auch Vorarbeit geleistet werden muss.

Wie genau?

Es muss mehr in Mechanismen gedacht werden. Welche Regeln sorgen dafür, dass die Klimaziele unter anderen Regierungen bestehen bleiben, auch wenn diese sagen sollten, die Klimakrise sei doch kein so großes Problem? Dafür sind etwa feste, jährliche Sektorziele wichtig.

Sie haben ein Buch zusammen mit Ihrer Großmutter geschrieben. Was habe Sie von ihr gelernt?

Meine Großmutter geht viel eher davon aus, dass Menschen, die schlechte Entscheidungen in der Klimapolitik treffen, schlecht informiert sind. Das heißt, sie geht wahnsinnig wohlwollend an Politiker:innen, aber auch an Mitbürger:innen heran. Sie praktiziert das, was man Vertrauensvorschuss nennt. Das ist ein solch bereicherndes Gegenmodell zum allgegenwärtigen Zynismus in der Klimakrise.

Doch gerade aus der Boomer-Generation gibt es viele, denen es sehr schwer zu fallen scheint, sich eine andere Lebensweise vorzustellen. Erleben Sie das Thema vor allem als Generationenkonflikt?

Nicht unbedingt. Was meine Großmutter und ich vor allem besprechen, ist die Lethargie in Sachen Weltbewusstsein. Jede Generation ist davon betroffen und jede kann sich dagegen wehren. Die Boomer haben in Sachen Klima sicherlich den schlechtesten Ruf, aber auch das lässt sich ja ändern.

Welche Lethargie meinen Sie?

Es gibt die Tendenz, das Aktivistische auf einen jugendlichen Zeitraum zu beschränken. Es geht aber darum, dauerhaft eine aktivistische Haltung zur Welt zu finden und sich immer wieder zu fragen: Trage ich dazu bei, dass alles so weitergeht oder sogar immer schlechter wird?

Mit Gruppen wie Azubis for Future, Architects for Future oder Pädagogen for Future wollen wir zeigen, dass es in jedem Lebensbereich und in jeder Lebensphase die Möglichkeit gibt, die Welt nicht zu verdrängen, sondern zu umarmen.

Die Folgen der Klimakrise haben sich in diesem Sommer mal wieder deutlich gezeigt. Warum sind trotzdem weniger Menschen als 2019 zum Klimastreik im September gekommen?

In Berlin standen wir mit 36.000 Menschen auf der Straße, in Deutschland hatten wir eine Viertelmillion.

Weniger als 2019.

2019 mussten wir 1,4 Millionen Menschen auf die Straße bringen, damit die Groko einmal "Klimaschutz" flüstert. Das müssen wir nicht mehr. Seitdem haben wir wahnsinnig viel erreicht.

Die Welt hat sich aber auch sehr verändert. Protest ist nicht zwangsläufig besser, wichtiger und erfolgreicher durch die Masse der Menschen, die da ist, es geht um den Kontext.

Es ist heute auch aufwendiger für Menschen geworden, auf die Straße zu gehen, weil die Krisen einen so ohnmächtig machen.

Viele Menschen machen sich derzeit große Sorgen um ihre Existenz. Die Klimakrise ist dagegen doch relativ abstrakt.

Das sagen Sie mal den Leuten, die im Ahrtal ihre Verwandten verloren haben, die in Brandenburg ihre Häuser evakuieren mussten. Es ist ein Riesendrama, dass sich Menschen derzeit entscheiden müssen, wo sie ihre Sorgen hinstecken. Niemand sollte am Ende des Monats nicht mehr genug Essen haben.

Genau dieser Moment, wo sich so viele Krisen überlagern, wäre einer, in dem die Regierung sagen könnte: Wir nehmen diese Last von euren Schultern. Hier ist unser Klimaschutz-Sofortprogramm, das es übrigens immer noch nicht gibt, obwohl es für September angekündigt war.

Im November findet die nächste Klimakonferenz statt. Was erwarten Sie von dem Treffen und erwarten Sie von UN-Klimakonferenzen überhaupt etwas?

26 vergangene Klimakonferenzen haben es ganz schön schwer gemacht, große Hoffnungen zu haben. Aber es muss eine Konferenz werden, in der ganz klar die Perspektiven Afrikas im Vordergrund stehen.

Und es geht natürlich um die Finanzierung von "Loss and Damage", also den Verlusten und Schäden durch den Klimawandel. Reiche Staaten müssen die finanzielle Verantwortung übernehmen für die Klimakatastrophen in ärmeren Ländern.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht das Minimum, auf das man sich verständigen müsste, damit es ein gutes Ergebnis ist?

Deutschland muss deutliche Zusagen machen, was Loss and Damage betrifft, und sich zur menschenrechtlichen Lage in Ägypten positionieren. Es kann nicht angehen, dass dort fröhlich verhandelt wird, während ägyptische Klimaaktivist:innen im Gefängnis sitzen. 65.000 politische Gefangene gibt es schätzungsweise in dem Land.

Sie haben eben das Gefühl der Ohnmacht angesprochen. Wie kommt man da raus?

Wenn ich von Ohnmacht spreche, spreche ich von einer emotionalen Sackgasse, die einem das Gefühl gibt: Egal, was ich mache, es macht keinen Unterschied.

Meine Großmutter und ich haben in unserem Buch verschiedene Gefühle von Ohnmacht beleuchtet. Durch Verlust, durch Krieg, Vergangenheit und Zukunft. Das Gemeinsame dabei ist, dass in dem Augenblick, in dem wir diese Ohnmacht erkennen, schon ein wichtiger Schritt getan ist.

Ohnmacht kommt von einer Asymmetrie: Ich habe nicht die Macht, die ich bräuchte, um mich in einer Situation zu behaupten. Dagegen hilft es nicht, das Problem zu verdrängen, dagegen braucht es Ermächtigung.

Wichtig ist es, sich zusammenzutun. Das kann heißen, ich suche mir eine andere Person und spreche darüber. Oder ich schließe mich einer Gruppe an oder beteilige mich an Aktionen, Initiativen, gelebtem Wandel. Das sind Möglichkeiten, Selbstwirksamkeit zu erleben.

Und was hilft dabei, die Klimakrise nicht mehr zu verdrängen?

Viele denken, dass ich einen harten Job habe, weil ich ständig über die Klimakrise spreche. Ich denke, dass diejenigen, die ihre Zeit damit verbringen, die Klimakrise zu verdrängen, einen viel schwereren Job haben. Das kostet unglaublich viel Kraft und Energie.

Dagegen ist das, was möglich wird, wenn man sich da rauswindet, so wahnsinnig befreiend und bejahend. Die Welt offenbart sich dann nicht nur in all ihren Schrecklichkeiten, sondern – zumindest ist das meine Erfahrung und die meiner Großmutter – wir können die Welt auch in all ihrer Schönheit ganz anders erfahren.

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