1972, im selben Jahr, als die Studie "Grenzen des Wachstums" erschien, fand im Monat Juni in Schweden die erste Weltumweltkonferenz statt. Mit dieser UN-Konferenz begann die globale Umweltpolitik – und die Debatte darüber, wie der Überschreitung der planetaren Grenzen beizukommen ist.
Schon damals hätten die Länder des Nordens in Richtung Süden gezeigt und erklärt, das Problem sei das Bevölkerungswachstum im globalen Süden, erinnerte dieser Tage Doris Fuchs, Professorin für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung an der Uni Münster.
Und schon damals habe der globale Süden geantwortet: Ihr im globalen Norden mit eurer Lebensweise und eurem Konsum seid das Problem. Diese Sicht teilt Fuchs: "Wir kommen nicht umhin zu sagen: Unsere Überkonsumtion im globalen Norden ist das Kernproblem."
Über die Jahrzehnte beherrschten allerdings andere Narrative die Debatte, zunächst das Schlagwort vom "qualitativen" Wachstum, das künftig an die Stelle des "quantitativen" treten solle. Später wurde dieser Gedanke in "nachhaltiges", "zukunftsfähiges" oder "grünes" Wachstum umetikettiert, skizziert Uwe Leprich, Energie- und Wirtschaftsexperte an der Universität des Saarlandes, die Begriffsentwicklung.
Allerdings wurde, so Leprich weiter, das grundlegende Wachstumsziel nie ernsthaft infrage gestellt: die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Summe aller neu produzierten Güter und Dienstleistungen innerhalb eines Jahres.
Am Ende führte die Idee des "grünen" Wachstums dazu, dass BIP und Naturverbrauch in manchen Weltregionen nicht mehr parallel anstiegen, sondern sich auf den Grafiken eine Schere ausbildete. "Zumindest Europa ist es gelungen, das Wirtschaftswachstum beispielsweise von den Treibhausgasemissionen zu entkoppeln", meint Michael Jakob vom Berliner Ecologic Institut. Das geschehe aber viel zu langsam, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.
Zwischen Technikoptimismus und Verzichtsdebatte
Gerade beim Klimaschutz wirkt eine Debatte, ob "grünes" Wachstum noch die Lösung ist, aus der Zeit gefallen. Nimmt man die CO2-Emissionen seit dem Beginn der Industrialisierung als gerechten Maßstab, hat der globale Norden schon lange alle Grenzen gerissen. Die Länder des globalen Nordens verfügen nur deshalb noch über ein Emissionsbudget, weil die Menschen in den ärmeren Ländern die ihnen seit Langem zustehenden CO2-Budgets gar nicht aufgebraucht haben.
Wie Doris Fuchs betrachtet auch Steffen Lange vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung die Überkonsumtion im globalen Norden als das eigentliche Hindernis. Der materielle Fußabdruck, den sich nicht nur Millionäre, sondern ein Großteil der Bevölkerung in westlichen und anderen als reich geltenden Ländern leisteten, sei so hoch, dass allein schon seine Verringerung das Wachstumsproblem für alle lösen würde, meint Lange.
Für Fuchs und Lange zeigt der Blick in die Vergangenheit auch, dass das fortgesetzte Hoffen auf technologische Durchbrüche keinen Ausweg bietet. Ohne echte Suffizienz und eine andere Lebensweise geht es nicht. Aus dieser Erkenntnis aber nun eine reine Verzichtsdebatte zu stricken, sei wiederum auch nicht geboten.
"Wenn wir jetzt durch Suffizienz den Klimawandel verringern, ermöglicht das ein besseres Leben in einigen Jahrzehnten, weil ansonsten große Zerstörungen auf uns zukommen", formuliert es Steffen Lange motivierend.
Für Doris Fuchs bedeutet Suffizienz, Antworten auf Fragen zu finden wie: Was brauche ich wirklich zum Leben? Was sind menschliche Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen? Für die Politikwissenschaftlerin treten wir hier in eine Gerechtigkeitsdebatte ein. "Manche dürfen mit ihrem Überkonsum nicht anderen die Chance auf ein gutes Leben ruinieren", betont sie.
"Renditegetriebene Verschwendungsökonomie"
Uwe Leprich wählt deutlichere Worte. Für ihn ist es höchste Zeit, sich von der "politischen Lebenslüge" zu verabschieden, man könne die "heutige renditegetriebene Verschwendungsökonomie beibehalten und trotzdem den Zusammenbruch des Systems vermeiden".
Wichtig wäre dabei die Einsicht, so Leprich, dass gerade die Industrienationen in den nächsten Dekaden eine weitreichende ökonomische Schrumpfung organisieren müssen. Das bedeute eine deutlich geringere Produktion infolge langlebiger, reparaturfreundlicher und recyclingfähiger Produkte, durch den Aufbau einer Sharing Economy sowie kürzere Arbeitszeiten.
Ob aber angesichts der Dynamik der Klima- und Biodiversitätskrise selbst eine absolute Senkung des Ressourcenverbrauchs und der Übergang zu einer klimaneutralen Welt – also ein "grünes" Wachstum im eigentlichen Sinne – ausreichen, ist fraglich.
Ein heutiges Grenzen-des-Wachstums-Projekt müsste nach Leprichs Verständnis zeigen, unter welchen Bedingungen ein Zusammenbruch des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems verhindert werden kann.
Dabei würden, so Leprich, auch solche grundsätzlichen Fragen eine Rolle spielen: "Hat die Menschheit auch bei einer Erderhitzung von drei bis fünf Grad eine Überlebensperspektive? Inwieweit beeinträchtigt das Aussterben tausender Tier- und Pflanzenarten pro Jahr die Stabilität des Ökosystems? Hat die Verschmutzung der Weltmeere entscheidende Auswirkungen auf die Nahrungskette?"
Vielleicht waren die Grenzen des Wachstums schon 1972 erreicht – wir erfahren es bloß erst jetzt.