Aufnahme aus einem Einkaufswagen heraus durch eine Regalstraße in einem Drogerie-Supermarkt.
Konsum reduzieren? Ja, aber Radikalverzicht ist nicht nötig, meint Ernst Ulrich von Weizsäcker. (Foto: Marco Pomella/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr von Weizsäcker, der erste Report des Club of Rome, "Die Grenzen des Wachstums", kam 1972 heraus. Erinnern Sie sich noch, was war Ihre Reaktion darauf?

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ich dachte: Ach, dass man das jetzt auch mathematisch sagen kann! Muss ich unbedingt lesen.

Sie ahnten, dass es eine Art Urknall der Umweltdebatte sein würde?

Nein. Ich selbst hatte mich schon einige Jahre früher als Teil der Umweltbewegung angesehen. Aber es war klar, dass der damals schon hoch angesehene Club of Rome der Sache einen Riesenschwung geben würde.

Kurz darauf drehte die Opec den Ölhahn zu, und es kam zur ersten Ölkrise. Alle Welt dachte: Der Club of Rome hat es ja vorausgesagt. Aber das hatte er gar nicht, zumindest keine so schnelle Zuspitzung ...

Stimmt. Man kann auch sagen, dass die Ölprinzen ganz schlau die Gunst der Stunde nutzten.

Das Erdöl ist heute, ein halbes Jahrhundert danach, immer noch nicht knapp. Die Kohle reicht sogar noch für Jahrhunderte. Wo liegen heute die Grenzen des Wachstums?

Nicht in den Rohstoffen, sondern bei Klima, Biodiversität und Böden. Die werden drastisch übernutzt. Wir bräuchten heute rechnerisch schon 1,7 Erden, um unsere Ansprüche zu befriedigen.

Was sind die größten Hindernisse? Sind wir zu viele auf der Welt? Oder konsumieren wir zu viel?

Beides. Wir konsumieren zu viel Natur und wir sind eigentlich zu viele auf der Welt. Vor allem die Industriestaaten müssen ihr Wohlstandsmodell korrigieren, sie haben riesige "ökologische Fußabdrücke".

Porträtaufnahme von Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Foto: IFP

Ernst Ulrich von Weizsäcker

ist Chemiker und Physiker. Der 78-Jährige war unter anderem Gründungs­präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, SPD-Bundestags­abgeordneter sowie Dekan der Bren School an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara.

Dass die ärmeren Länder jetzt rasant aufholen, ist ja eigentlich sehr erfreulich. Aber wir bräuchten fünf Erdbälle, wenn alle Menschen auf der Erde auf dem Konsumniveau der USA leben würden.

Die gute Nachricht ist: Die Industrieländer können die Wende schaffen, durch bessere Technik und weniger Prasserei. Brutaler Verzicht ist nicht nötig.

Es gibt die Chance, das ökonomische Wachstum und die Umweltbelastung zu entkoppeln?

Durchaus. In unserem Club-of-Rome-Report "Faktor Fünf" haben wir gezeigt, dass man wenigstens fünfmal mehr Wohlstand aus Energie und Stoffen herausholen kann. Aber das kommt nur in Gang, wenn wir den Naturverbrauch endlich teurer machen.

Sie selbst haben einmal den Slogan geprägt: "Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen." Das hat sich, in einem preisgesteuerten Wirtschaftssystem von bezwingender Logik, aber nicht durchgesetzt. Warum? Und was nun?

Der Slogan ist schwer quantifizierbar. Neuerdings plädiere ich für eine schrittweise, sozialverträgliche Verteuerung des Naturverbrauchs, und das aufkommensneutral, sodass das Leben unterm Strich nicht teurer wird, und so, dass Industrien nicht aus Steuergründen auf Wanderschaft gehen.

Ihr Club hat vor zwei Jahren aber auch empfohlen, die Zahl der Kinder zu verringern. Das gab ziemlich Ärger. Malthus lässt grüßen ...

Das war der Club-of-Rome-Bericht "Ein Prozent ist genug" von Jørgen Randers und Graeme Maxton. Und es ist ja offensichtlich: Den Ländern, die eine Stabilisierung ihrer Bevölkerung erreicht haben, geht es viel besser als denen, die es nicht schaffen. Allerdings muss nun ihr ökologischer Fußabdruck schnell kleiner werden.

Ist eine nachhaltige Entwicklung im globalisierten, entfesselten Kapitalismus denn überhaupt möglich?

Die Entfesselung des Kapitalismus war ein schwerer politischer Fehler. Bei Adam Smith war der Markt noch in einem festen Rechtskorsett eingebunden und dadurch segensreich.

Nun ist es anders. Ist es angezeigt, die Globalisierung zurückzudrehen?

Es ist angezeigt, die Entfesselung zurückzudrehen. Für globale Märkte brauchen wir globale Regeln. Auch gegen Steueroasen. Das Problem ist die Durchsetzung. Es müsste vereinbart werden, dass Steuern in dem Land bezahlt werden, wo das Geld verdient wurde. Kapital, das die Umwelt ruiniert, Arbeitsplätze vernichtet oder die Demokratie unterhöhlt, muss dort scharf besteuert werden dürfen, wo dieses Unheil angerichtet wird.

Zudem sollte endlich eine Kapitaltransfersteuer, die sogenannte Tobin-Steuer, eingeführt werden, und die Handelsverträge dürften künftig nicht jede Umweltschutzmaßnahme als Handelshemmnis brandmarken.

US-Präsident Donald Trump droht mit höheren Zöllen. Falscher Mann, richtiges Mittel?

Maßvolle Zölle sind nicht schlecht. Für viele Entwicklungsländer waren sie die verlässlichste Einkommensquelle. Aber Zölle als Kampfsport der Nationen gegeneinander sind absurd.

Der Club of Rome fordert in seinem Report zum 50. Jubiläum mit dem Titel "Wir sind dran" eine "neue Aufklärung". Was ist damit gemeint? Und warum braucht es sie?

Die großartige Aufklärung zu Kants Zeiten spielte vor 250 Jahren in der "leeren Welt", wo die Menschheit klein, die Natur riesengroß war. In der heutigen "vollen Welt" mit mehr als sieben Milliarden Menschen ist es umgekehrt. Da ist zwar weiterhin Vernunft und wissenschaftliche Wahrheitssuche gefragt, aber zugleich müssen Expansionismus, Schnelligkeitsrausch und Sozialdarwinismus gebremst werden.

Und wir müssen an tausend Stellen nach Balance trachten. Zum Beispiel Balance zwischen Markt und Staat, zwischen Innovation und Stabilität, zwischen Kurzfrist und Langfrist, und vor allem zwischen Mensch und Natur.

Wer könnte genügend Druck aufbauen, um diese neue Balance, etwa zwischen Markt und Staat, zu etablieren? Sehen Sie eine "18er-Bewegung", 50 Jahre nach den 68ern und der Gründung des Club of Rome?

Kant, Rousseau und Hume haben nicht in erster Linie Druck aufgebaut, sondern das Denken verändert. Das hat dann auch zu Bewegungen geführt, bis hin zu blutigen Revolutionen – was wir nicht wollen!

Für eine heutige Bewegung ist erstmal eine Einsicht nötig: Dass "der Markt" nicht ein unabänderliches Naturgesetz ist, sondern dass der Staat und die Staatengemeinschaft das Recht haben, Regeln zu setzen. Hierüber können sich Deutsche, Franzosen, Chinesen, Russen, Afrikaner und Brasilianer ziemlich schnell einigen.

Nicht genannt habe ich jetzt die englisch sprechenden Länder. Dort herrscht die Idee vor, dass jeder staatliche "Markteingriff" ein Übel sei, und das könne man auch naturwissenschaftlich beweisen, so wie man zwei mal zwei gleich vier beweisen kann. Eine "18er-Bewegung" könnte ein Aufstand gegen die Dominanz der Kapitalmärkte und der angelsächsischen Denkweise sein.

Wer führt sie an?

Europa nach dem Brexit sowie China.

Wie schnell könnte die "Transformation" zu einer neuen Aufklärung kommen, was erwarten Sie?

Dreißig Jahre.

Was wäre die Alternative? Eine Öko-Diktatur? Oder verbietet es sich, darüber zu spekulieren?

Die Ökodiktatur – die ich verabscheue – könnte die unvermeidliche Folge großflächiger ökologischer Katastrophen sein.

Vorletzte Frage, woran arbeitet der Club of Rome derzeit?

Ernsthafter Klimaschutz, Digitalisierung und ihre Gefahren, Transformationstheorie und die Neue Aufklärung. Und leider müssen wir uns um neue Geldquellen kümmern, nachdem eine chinesische Quelle versiegt ist.

Und die letzte: Wann wird der Club es schaffen, kein männerlastiger Verein mehr zu sein? Unter den 100 Mitgliedern sind nur 21 Frauen. Wann ist es die Hälfte?

Prozentsätze sind für unsere Aufgaben weniger wichtig als Nachhaltigkeitsengagement. Aber ich beobachte mit Freude einen – milden – Aufstand der Jungen und der Frauen, größtenteils Personen, die mein Freund Anders Wijkman und ich in den letzten fünf Jahren als Mitglieder im Club vorgeschlagen haben. Wir beiden alten Männer waren die eigentlichen Veränderer in den fünf Jahren unserer Ko-Präsidentschaft.

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