Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, der US-Klimabeauftragte John Kerry reiste diese Woche nach China. Der zweitgrößte Emittent der Welt traf sich mit dem größten. Kerry wollte erreichen, dass China den CO2-Ausstoß stärker reduziert als angekündigt und vor dem bisherigen Zieljahr 2060 klimaneutral wird.

Klimaschutz galt früher eher als Nebenthema in den Beziehungen der beiden Großmächte, inzwischen ist es der einzige Bereich, wo sie sich noch etwas zu sagen haben. Könnte Klimapolitik hier im doppelten Sinn zur Entspannung der aufgeheizten Atmosphäre beitragen?

Matthias Willenbacher: Kurzfristig wohl eher nicht. Beide Großmächte zeichnen sich durch eine beeindruckende Rücksichtslosigkeit aus, mit der sie ihre ökonomischen Interessen durchsetzen. China scheint in dieser Hinsicht mittlerweile die USA sogar zu übertreffen. Das sieht man, wenn man sich näher mit dem Projekt der "Neuen Seidenstraße" beschäftigt.

Ich glaube nicht, dass die auf beiden Seiten erst vor Kurzem erkannte klimapolitische Verantwortung daran etwas grundsätzlich ändert. Eher im Gegenteil, beide Länder scheinen sich auch diesbezüglich eher als Konkurrenten denn als Verbündete wahrzunehmen.

Langfristig hingegen wird eine klimafreundliche Wirtschaft ganz automatisch zu einer Entspannung führen. Das liegt daran, dass wir Klimaneutralität und echte Nachhaltigkeit nur dann erreichen können, wenn wir es schaffen, Stoffkreisläufe weitgehend zu schließen. Energie, die aus regenerativen Quellen erzeugt und vor Ort verbraucht wird, ist ein sehr gutes, aber längst nicht das einzige Beispiel.

Die Folge ist klar: Es gibt dann keine Abhängigkeit von Rohstoffimporten mehr. Wie wichtig dies für den internationalen Frieden ist, wird unmittelbar klar, wenn man an die Ölkriege der letzten Jahrzehnte denkt. Daher ist es schon so: Klimapolitik ist auch Friedenspolitik.

Die EU arbeitet an neuen Vorgaben für nachhaltige Investitionen. Umweltorganisationen und Forschende warnen, dass auch Praktiken wie Erdgasnutzung, Abholzung oder Atomkraft künftig als "grün" gelten sollen. Stellen Sie sich auch schon darauf ein, in Wälder und neue Gaspipelines zu investieren?

Ganz sicher nicht. Anders als manch andere Investoren stelle ich, wenn es zu Investitionsentscheidungen kommt, nicht mein Gewissen im Keller ab. Ich bin aus tiefster Überzeugung Social Entrepreneur, der an Mission Investment glaubt, und ich sehe auch eine große Zukunft für grüne Investitionen.

Die neue EU-Taxonomie zur Bewertung von Investitionen ist zwar wichtig, weil sie ganz allgemein Kapitalströme in Richtung nachhaltiger Projekte lenkt. Und natürlich haben die Kritiker recht. Die Taxonomie lebt von ihrer Glaubwürdigkeit, und es sollte auf jeden Fall verhindert werden, dass schmutzige Projekte sich mit einem grünen Taxonomie-Label schmücken dürfen.

Aber die Taxonomie sollte auch nicht überbewertet werden. Sollten dabei bestimmte Praktiken fälschlicherweise als nachhaltig deklariert werden, heißt das noch nicht, dass ihnen die Zukunft gehört. Atomenergie, CCS und große Erdgaskraftwerke sind von gestern, weil sie ökologisch und ökonomisch gleichermaßen durchfallen.

Die Zukunft ist dezentral, nicht nur weil Dezentralität große gesellschaftliche Vorteile bringt – Stichworte: Partizipation, regionale Wertschöpfung –, sondern weil eine dezentrale Energieversorgung schlichtweg billiger sein wird und die Energiewende dezentral sehr viel schneller umsetzbar ist.

Das werden auch Investoren erkennen, selbst wenn die großen Tanker stets eine Vorliebe für Großprojekte haben. Aber auch hier haben wir längst Mittel zur Hand, um gegenzusteuern, zum Beispiel durch Crowd Investing. Dann heißt die Formel: dezentrale, partizipative Investitionen für eine dezentrale, partizipative Zukunft. Das macht doch Sinn.

Die neue Carbon-Leakage-Verordnung der Bundesregierung setzt die CO2-Bepreisung fossiler Brennstoffe an entscheidenden Stellen praktisch außer Kraft, kritisiert die Ökonomin Swantje Fiedler vom Thinktank FÖS: Zu viele Ausnahmen, zu viele Entlastungen. Ist es aber nicht angebracht, die durch Corona gebeutelte Wirtschaft vor weiteren Belastungen zu schützen?

Carbon Leakage zu vermeiden ist grundsätzlich richtig. Die Umsetzung ist aber ein totaler Reinfall. Ähnlich wie die Europäische Kommission bei der Taxonomie ist die deutsche Bundesregierung bei der Verordnung komplett dem Lobbydruck aus der Industrie erlegen.

Gebraucht hätte es zweierlei: zum ersten einen klaren Kriterienkatalog, um zu entscheiden, welche Industrien tatsächlich so stark im internationalen Wettbewerb stehen, dass ein ambitionierter CO2-Preis sie aus dem Markt drängen oder aus dem Land treiben würde.

Zweitens verbindliche Vorgaben für unternehmensintern zu entwickelnde Strategien, wie diese Unternehmen ihre Abhängigkeit von CO2-intensiven Prozessen überwinden können. Beides war in den ersten Entwürfen der Verordnung angelegt, ist aber so verwässert worden, dass der Klimaschutzeffekt des CO2-Preises tatsächlich gegen null zu laufen droht.

Allerdings ist das für die Industrielobby ein Pyrrhussieg. Denn für die langfristige Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie, vor allem der Schwerindustrie, ist es wichtig, sich so schnell wie möglich auf einen echten Dekarbonisierungspfad zu begeben. Aus sich heraus scheint sie dazu aber nicht fähig zu sein.

Die Bundesregierung müsste sie also auf diesen Pfad zwingen. Mit ihrer vermeintlichen Großzügigkeit schießt sie stattdessen nicht nur ein klimapolitisches Eigentor, sondern auch ein wirtschaftspolitisches.

Und Corona taugt nicht als Ausrede. Erst letzte Woche hat das Wirtschaftsministerium bekannt gegeben, dass der Auftragseingang der deutschen Industrie im Februar den fünften Monat in Folge über dem Niveau des Vorjahresmonats lag. Die deutsche Industrie wäre also stark genug, um die Dekarbonisierung konsequent anzupacken – man muss sie dazu aber offenkundig zwingen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das waren die Ereignisse um den Rückzug des energiepolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer. Da ist zum einen die öffentliche Reaktion auf die abenteuerliche Begründung von Pfeiffer selbst.

Ein durch nichts belegter Hackerangriff wird allgemein als Rechtfertigung des Rücktritts akzeptiert. Die Frage, von wem Pfeiffer wofür Honorare erhielt und inwieweit dies seine politischen Entscheidungen und Aktionen beeinflusst haben könnte, scheint plötzlich nicht mehr von Bedeutung zu sein.

Dabei steht nichts Geringeres als das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie auf dem Spiel, wenn man hier nicht absolute Klarheit schafft und Konsequenzen zieht, die über den angekündigten Verhaltenskodex hinausreichen müssen.

Zum anderen hörte man von der SPD seit Langem, man wolle ja eine anspruchsvollere Energiewendepolitik machen, aber mit Koalitionskollegen wie Pfeiffer und dem ebenfalls unter Korruptionsverdacht stehenden Georg Nüßlein sei das nicht zu machen.

Nun sind Pfeiffer und Nüßlein weg vom Fenster, und von der SPD kommt – nichts. Das ist wieder mal sehr bezeichnend für die Partei, die sich endlich als würdige Nachlassverwalterin des Erbes von Hermann Scheer beweisen sollte.

Fragen: Jörg Staude 

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