Es ist gerade noch möglich, die menschengemachte Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das schreiben die Wissenschaftler des Weltklimarats IPCC in ihrem Sonderbericht, der am Montag erschienenen ist. Die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits ist eines der politischen Ziele des Pariser Weltklimaabkommens. Allerdings ist es dafür schon fünf vor zwölf, denn um ein Grad hat sich die Erde gegenüber dem vorindustriellen Niveau bereits erwärmt.
Nahezu alle Wege, die der IPCC als theoretisch gangbar ermittelt hat, erfordern deshalb neben einer schnellen Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes auch sogenannte "negative Emissionen". Das bedeutet: Der Atmosphäre wird Kohlendioxid entzogen. Dafür gibt es, wie der IPCC betont, verschiedene Methoden.
CO2 binden geht auch nachhaltig
Am naheliegendsten sind das Wiederaufforsten gerodeter Wälder, die Wiedervernässung trockengelegter Feuchtgebiete und die Wiederherstellung von Mangrovenwäldern und Seegraswiesen. Alle diese Maßnahmen haben zusätzlich einen Nutzen für die Artenvielfalt.
Bestehende Wälder können außerdem mehr CO2 speichern, wenn Raubtiere wieder angesiedelt werden, die dann die Pflanzenfresser in Schach halten. Auf Agrarland lässt sich derweil mit geeigneten landwirtschaftlichen Methoden die Speicherung von CO2 im Boden verbessern. Möglich wäre hier auch das Unterpflügen von Biokohle.
CO2 ließe sich schließlich auch in Gebäuden binden, indem man mit Holz baut oder auch mit Bambus. Das würde zusätzlich den Verbrauch von klimaschädlichem Beton reduzieren.
Nicht zuletzt gibt es einige unerwartete Maßnahmen mit großem Potenzial, etwa Bildung für Mädchen und Zugang zu Verhütungsmitteln. Auch Vorschläge gegen Verschwendung und Überkonsum bei Lebensmitteln, Energie und Rohstoffen harren der Umsetzung.
"Bio-CCS" braucht neue Infrastruktur
Doch all das wird voraussichtlich nicht reichen. Die meisten 1,5-Grad-Pfade beinhalten deshalb eine Technik namens BECCS. Das Kürzel steht für "Bio-Energie mit CCS".
Zunächst wird dabei pflanzliches Material wie zum Beispiel Plantagenholz verbrannt und Bioenergie erzeugt. Anschließend wird aus dem Rauch das CO2 herausgefiltert und in Gesteinsformationen verpresst – wie beim CCS (Carbon Capture and Storage, deutsch: CO2-Abscheidung und -Speicherung). Auf diese Weise soll das CO2, das die Pflanzen beim Wachstum aufgenommen haben, dauerhaft der Atmosphäre entzogen werden.
Das Erfordernis für BECCS ist je nach IPCC-Pfad unterschiedlich. Im Extremfall müssen damit aber jährlich negative Emissionen von neun Milliarden Tonnen im Jahr 2050 und 16 Milliarden Tonnen im Jahr 2100 erzielt werden. Dies entspricht 20 respektive 36 Prozent der aktuellen, globalen Treibhausgasemissionen von 45 Milliarden Tonnen.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich allerdings wieder die Frage nach der Machbarkeit. Denn dazu wäre eine riesige CCS-Infrastruktur erforderlich und an Land oder im Meer müssten große Mengen an Energiepflanzen produziert werden.
Geoengineering birgt Risiken
Ohne Energiepflanzen und CCS kommt eine andere Methode für negative Emissionen aus, die dafür in die Kategorie Geoengineering fällt: die Verwitterung von Gestein. Denn auch dabei wird CO2 gebunden. Der Prozess lässt sich beschleunigen, indem man Gestein zu Pulver zermahlt und dann Regen aussetzt.
Anschließend kann man das Gesteinsmehl auf Äckern als Mineraldünger ausbringen oder ins Meer schütten, wo es auch bei natürlicher Verwitterung gelandet wäre. Dort wirkt der Gesteinsstaub der Versauerung der Ozeane entgegen.
Eine aktuelle Studie zu solchen meeresbasierten Klimaschutzmaßnahmen warnt allerdings: Der doppelte Nutzen müsse "abgewogen werden mit den Kosten und der Umweltwirkung des Abbaus riesiger Mengen an alkalischem Material (wie Kalk) und deren globaler Verteilung".
Eine weitere meeresbasierte Methode des Geoengineerings ist die Meeresdüngung etwa mit Eisenspänen. Dadurch wird das Algenwachstum angeregt. Wenn diese dann absterben und auf den Meeresboden sinken, ist ebenfalls CO2 gebunden. Auch hier warnen Wissenschaftler und Umweltschützer vor den Nebenwirkungen.
CO2-Filter in den Kinderschuhen
Weder Pflanzen noch Gestein braucht schließlich eine dritte Methode: das Herausfiltern von Kohlendioxid aus der Luft. Hier strömt Luft durch einen Filter, der das CO2 bindet. Wenn der Filter mit CO2 gesättigt ist, wird er erhitzt. Dadurch gibt der Filter das CO2 wieder frei, das anschließend mittels CCS entsorgt wird.
Doch ohne Input kommt auch diese Methode nicht aus. Die "Direct Air Capture" (DAC) genannte Technik benötigt Strom. Folglich ist DAC nur sinnvoll, wenn genug Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht.
Zudem steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen. Weltweit gibt es erst einige Pilotanlagen. Führend ist hier ein Unternehmen aus der Schweiz: Climeworks. Die Firma hat jetzt in Italien eine Anlage in Betrieb genommen, die pro Jahr 150 Tonnen CO2 aus der Luft filtert.
Dieses wird dann aber nicht unter die Erde verpresst, sondern zu Methan weiterverarbeitet, indem man das CO2 mit reinem Wasserstoff mischt. Die Technologie heißt Power-to-Gas und ist eine Möglichkeit, überschüssige Wind- oder Solarenergie zu speichern. Wenn das Gas anschließend in einem Kraftwerk mit CCS verbrannt wird, erzielt man auch hier negative Emissionen.
Ab zwei Grad droht Klimachaos
Letztlich hat die Menschheit anscheinend die Wahl: CCS in irgendeiner Form oder Geoengineering. Beides ist umstritten.
Unstrittig ist dafür mittlerweile: Eine Klimaerwärmung um zwei Grad ist hochriskant, wie eine Studie von Johan Rockström, dem neuen Ko-Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, zeigt. Denn damit könnte ein Kipppunkt erreicht werden, ab dem sich der Klimawandel selbst verstärkt.
Dies hätte eine "Heißzeit" mit vier bis fünf Grad Erwärmung zur Folge und wäre eine Gefahr für unsere Zivilisation: "Eine Heißzeit birgt letztlich ein großes Risiko für die Bewohnbarkeit des Planeten für Menschen." Dann doch lieber CCS. Oder?