Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, CDU und CSU werden von der Maskenaffäre erschüttert. Einige dieser Politiker wie der bayerische Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein haben auch enge Kontakte zum Wirtschaftsrat der CDU, einem Klimabremser-Lobbyverband mitten im innersten Machtzirkel der CDU.

In einer neuen Studie beleuchtet Lobbycontrol die problematischen Verbindungen zwischen Wirtschaftsrat und CDU. Am Beispiel Klima zeigt die Studie, wie die unheilige Vermischung von Lobby- und Parteifunktion gemeinwohlorientierte Politik ausbremst.

Haben Sie in den letzten Jahren auch schon das Gefühl gehabt, dass in der Energiepolitik vernünftige und zukunftsweisende Ideen an dem Netzwerk fossiler Lobbyisten gescheitert sind?

Tim Meyer: Natürlich. Klimaschutz und Energiewende sind große Transformationen, die etablierte Akteure als Bedrohung für ihre Geschäftsmodelle empfinden. Und tatsächlich bedeuten die notwendigen Veränderungen auch entgangene Gewinne und Abwertungen in Milliardenhöhe für diese Player. Das erzeugt in den meisten Fällen Gegenwehr anstatt den Mut, die eigenen, überkommenen Ansätze über den Haufen zu werfen.

Die alte Energiewirtschaft hat nach wie vor riesige Ressourcen sowie langjährig gewachsene politische Zugänge und damit erhebliche Möglichkeiten, Veränderungen zu blockieren, zu bremsen oder umzubiegen. Das ist ökologisch und gesellschaftlich fatal, aber auch unternehmerisch kurzsichtig.

Lobbycontrol hat ermittelt, dass aktuell rund 6.000 Lobbyisten allein in Berlin auf Abgeordnete, deren Büros und Ministerien einwirken. Und wer hinter verschlossenen Türen arbeiten kann, fühlt sich offenbar nicht ausreichend zur Aufrichtigkeit gezwungen. Mehr Transparenz in Lobbying-Prozessen ist deshalb dringend nötig, genauso wie klarere Verhaltensregeln für Politiker:innen.

Bei den ersten beiden Landtagswahlen in diesem Jahr haben sich die Grünen in Baden-Württemberg und die SPD in Rheinland-Pfalz durchgesetzt. Im Bund könnte ohne die Unionsparteien eine Ampel-Regierung möglich werden. Wäre das für Klima und Energiewende besser?

Klimaschutz darf keine Frage von Parteizugehörigkeiten sein. Das Thema geht alle an und das Paris-Abkommen wurde gemeinsam von allen demokratischen Parteien im Bundestag verabschiedet.

Leider zeigt die Realität aber immer wieder, dass die verschiedenen politischen Strömungen nicht nur über den besten Weg zu weniger CO2 streiten, sondern dass einige das Ziel als solches bewusst und erfolgreich sabotieren. Gerade der sogenannte Wirtschaftsflügel der Union hat sich hier immer wieder negativ hervorgetan.

Aber: Unabhängig von einzelnen Parteien wird es bei der kommenden Bundestagswahl darum gehen, bei Klimaschutz und Energiewende endlich wieder einen echten Aufbruch zu gestalten.

Der gesellschaftliche Aufbruch in den frühen 1970er Jahren ist unter dem Leitsatz "Mehr Demokratie wagen" in die Geschichtsbücher eingegangen. Wir brauchen eine neue Bundesregierung, die endlich mehr Klimaschutz wagt und dies ebenso wie damals Willy Brandt als Chance und Aufbruch versteht!

Weitere Verzögerungen können wir uns einfach nicht mehr leisten. Dass die Groko dazu längst nicht mehr die Kraft hat, ist ausreichend aktenkundig.

Die Bundesregierung hat erstmals eine CO2-Bilanz nach dem Klimaschutzgesetz vorgelegt. Das Klimaziel für 2020 wurde dank Corona erreicht. Nur der Gebäudebereich muss nacharbeiten – denn um auch Verkehrs- und Energiesektor zu einem Sofortprogramm zu verpflichten, ist das Klimagesetz zu schwach. Wie bewerten Sie die Bilanz?

Wir haben den Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft in den 1990ern und zuletzt eine Pandemie gebraucht, um ein Klimaziel zu erreichen, das ohnehin nicht hoch genug gesteckt war zum Erfüllen des Paris-Abkommens. Ein Kaufmann würde eine solche Bilanz als klar überschuldet bewerten. Um im Sprachbild zu bleiben, entspricht das hier wohl einem politischen Bankrott.

Mit dem Klimaschutzgesetz haben wir jetzt immerhin eine bessere Transparenz für die zukünftige Bilanzierung unseres Fortschrittes. Für Klimaneutralität 2050 brauchen wir aber jetzt aber eine echte Sanierung der Klimapolitik und deutlich schärfere Instrumente.

Weil die CO2-Emissionen des Gebäudesektors kaum gesunken sind – trotz stärkerer Förderung von Öko-Heizungen –, fordert nun ein Aktionsbündnis aus Umweltschützerinnen, Architekten und Bauexpertinnen eine Sanierungsoffensive. Würden Sie sich dem Bündnis anschließen?

Natürlich braucht es mehr Gebäudesanierung. Der geforderte "Faktor vier" entspricht der Notwendigkeit und bedeutet gleichzeitig eine immense Kraftanstrengung. Also wird es neben dem "Was" auch ums "Wie" gehen.

Im Projekt vor Ort brauchen die Akteure klare Anreize und Vorgaben, aber auch erhebliche Gestaltungsspielräume, um die jeweils beste Lösung zu entwickeln. Jedes Gebäude und jedes Quartier hat andere Anforderungen, es gibt viele Schattierungen zwischen "mehr Dämmung" und "grünerer Versorgung". Die heute teilweise überkomplexe Regulierung nun einfach durch Überförderung auszugleichen, hat wenig Sinn.

Dabei darf es perspektivisch nicht nur um einzelne Gebäude gehen. Gerade im Bestand müssen wir in Quartieren denken und übergreifende Lösungen für Energiebereitstellung und Verbrauch in Sektorenkopplung finden. Die in dieser Frage gerade lauter werdende Diskussion halte ich für sehr wichtig und ebenfalls unterstützenswert.

Ebenso wichtig ist, dass wir über dem Wohnbau die Gewerbebauten nicht vergessen. Gerade aus diesem Segment bekommen wir bei Naturstrom zunehmend Anfragen. Dabei geht es im Gewerbe häufig darum, überhaupt einen Überblick über Energieflüsse und -kosten zu bekommen, um daraus Einsparpotenziale und alternative Versorgungslösungen zu entwickeln.

Hier machen wir durch neue Mess- und Zählerstrukturen zunächst einmal den Energieverbrauch transparent. Das hat für viele schon einen riesigen Aha-Effekt und ist dann der Ausgangspunkt für Effizienzmaßnahmen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

"Die Batterie hat gewonnen" – mit diesen klaren Worten hat der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess Anfang der Woche klargestellt, dass die Debatte um die automobile Antriebstechnologie der Zukunft entschieden ist. Elektromobilität und damit die direkte Nutzung von Ökostrom für Fahrzeuge vom Pedelec bis zum Lkw wird sich durchsetzen.

Die in der Politik gerade bei konservativen Parteien verbreiteten Gedankenspiele um synthetische Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren oder Brennstoffzellen sind einfach viel zu teuer und ineffizient. Und sie sind ein Einfallstor für fossile Energieimporte unter dem Deckmantel grüner oder blauer Synthesekraftstoffe.

Dass die Batterie gewonnen hat, war in der Energiewende-Fachwelt zwar schon länger klar, aber wenn der Chef des weltgrößten Automobilherstellers das in dieser Deutlichkeit verkündet, entwickelt das schon noch eine neue Dynamik. Damit verbunden war ja beispielsweise auch die Ankündigung, dass Audi keine neuen Verbrennungsmotoren mehr entwickelt.

Als Nächstes wünsche ich mir für eine kommende Überraschung der Woche ein weiteres Statement von Diess, nämlich: "Das SUV hat verloren." Denn Zwei-Tonnen-Monster mit Batterien zu betreiben ist wohl kaum der Weisheit letzter Schluss.

Damit das Mobilitätssystem wirklich klimagerecht und menschenfreundlich wird, muss der Siegeszug der Batterie einhergehen mit dem Siegeszug von Fahrzeug-Sharing und Multimodalität.

Fragen: Jörg Staude

Anzeige