Zahlreiche Taxis warten in mehreren Fahrspuren aufgereiht auf Kundschaft.
In der künftigen digitalen Verkehrswelt sind nur noch so viele Taxis und Mietwagen unterwegs, wie wirklich gerade gebraucht werden. (Foto: Evgheni Kim/​Shutterstock)

Das Jahr 2021 begann mit zwei verkehrspolitischen Gesetzesinitiativen, die kaum noch zu erwarten waren. Das Kabinett verabschiedete einen Gesetzentwurf zum autonomen Fahren, der in die Ressortabstimmung geht. Bundestag und Bundesrat debattierten die Novelle zum Personenbeförderungsgesetz (PBefG).

Zu der Novelle soll es kommende Woche eine Anhörung im Verkehrsausschuss geben. Nach den vielen Pannen dieser Regierungskoalition nimmt das Verkehrsministerium zum Schluss nochmals im Sinne des Wortes Fahrt auf. Doch die Kleinteiligkeit der Beförderungs-Branche droht die sich bietende Chance zu verstolpern.

Die beiden Reformvorhaben könnten in ihrem Gestaltungsanspruch unterschiedlicher nicht sein: Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes besteht vor allem aus dringenden Reparaturarbeiten. Erstmals sollen Pooling-Dienste, die Fahrwünsche auf digitalen Plattformen bündeln, legalisiert und neben Taxis und Mietwagen zum dritten Bestandteil des öffentlichen Verkehrsangebotes werden.

Bislang wurden Pooling-Dienste von Anbietern wie Clevershuttle, Moia, Viavan oder Door2Door in der Regel über eine Experimentierklausel sehr aufwendig und auch nur vorläufig genehmigt.

Diskutiert wird in der Branche – neben einer Reihe von Änderungen wie der Abschaffung der Ortskundeprüfung – besonders heftig die Frage nach dem Unterschied zwischen Taxi und Mietwagen. Sie wird im Gesetzestext weiterhin nicht wirklich geregelt.

Die Taxibranche hatte sich beschwert, dass Mietwagen-Anbieter ihre Preise frei bestimmen könnten und die dafür auferlegte Rückkehrpflicht zum Betriebssitz permanent unterlaufen wird. Mietwagen würden wie Taxis einfach mitten in der Stadt auf Fahrgäste warten.

Daher bestehe ein ungleicher Wettbewerb zwischen den konventionellen Taxis mit genehmigungspflichtigen Tarifen und den auf digitalen Plattformen organisierten Mietwagen-Angeboten wie vom US-Konzern Uber, die häufig viel günstiger sein könnten.

Dies hat bereits zu heftigen Verwerfungen geführt. Die Zahl der Taxis ist schon länger rückläufig und die Zahl der Mietwagenkonzessionen nimmt stetig zu. In Berlin beispielsweise stehen bereits 5.000 Mitfahrzeuge einer nur geringfügig größeren Zahl aktiver Taxis gegenüber. Das lässt sich im Stadtbild auch beobachten: Taxis werden zur Mangelware.

So bleiben private Autos übermächtig

Der Entwurf des neuen Personenbeförderungsgesetzes erlaubt nun erstmals auch Taxis, ihre Tarife flexibler zu gestalten. Die Rückkehrpflicht bleibt aber prinzipiell bestehen. Den Kommunen bleibt es am Ende überlassen, diese Regel aufzuweichen und beispielsweise Mietwagen-Anbietern verschiedene Betriebsstätten in einer Stadt zu erlauben, in die die Wagen dann zurückkehren könnten.

Aber was für die Branche wirtschaftlich relevante Fragen sind, ist für die Kunden im Grunde völlig unverständlich. Leute, die mobil sind, nutzen in der Regel Smartphones, immer öfter auch zur Bestellung von Taxifahrten. Ob ein Taxi oder ein Mietwagen vorfährt, ist für Kunden ohne Belang, entscheidend sind Verfügbarkeit, Preis und Zahlungsmodalitäten.

Andreas Knie
Foto: Sebastian Knoth

Andreas Knie

Der Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin. Andreas Knie ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.

Das bilden die Regeln des Gesetzgebers aber nicht ab. Sie tun so, als sei man noch in einer analogen Welt. Die Frage ist doch: Was muss eigentlich reguliert werden und gibt es noch Gründe, Taxi- und Mietwagendienste zu trennen?

Entscheidend im Gesetz ist immer das "öffentliche Verkehrsinteresse". Sicher: Der Markt allein regelt im öffentlichen Raum nichts, aber auch die staatliche Daseinsvorsorge, die dem öffentlichen Verkehrsinteresse maßgeblich zugrunde liegt, ist inhaltlich völlig unbestimmt.

Was ist eigentlich ein öffentliches Verkehrsinteresse? Die Branche hat darauf keine Antwort. Sie streitet lieber in kleinlichen Debatten um die Details der Regulierung. Bei Licht betrachtet kümmert sich die Branche um etwas, was keine große Relevanz hat.

Denn im Verkehrsmarkt spielen Taxis und Mietwagen kaum eine Rolle. Beispiel Berlin: Den rund 10.000 aktiven Taxi- und Mietwagen stehen 1,2 Millionen Pkw gegenüber. Noch krasser sieht das Verhältnis für ganz Deutschland aus: Knapp 100.000 Taxis und Mietwagen existieren neben 48 Millionen Pkw.

Während sich also die Branche um Rückkehrpflicht und Tarifbindung zankt, bleibt die Dominanz des privaten Autos übermächtig und lässt die Märkte für diese Branche klein bleiben – egal ob mit oder ohne Rückkehrpflicht.

So kann das private Auto immer noch ganz unbehelligt im öffentlichen Raum abgestellt werden, denn das gilt im Straßenverkehrsrecht als "Gemeingebrauch". Dagegen muss alles, was gewerblich betrieben wird, entweder mit strengen Auflagen oder mit zusätzlichen Gebühren rechnen.

Öffentlicher Verkehr pflegt seine Nische

Das "öffentliche Verkehrsinteresse" hat bis heute ein klares Ziel: Die Förderung von Besitz und Nutzung privater Kraftwagen – so wie es gesetzlich erstmals 1934 formuliert und bis heute nicht geändert wurde. Der öffentliche Verkehr, einschließlich der von Taxis, von Mietwagen und nun auch der von Pooling-Diensten läuft als Alibi gleichsam nebenher.

Das gilt erst recht für die Betreiber von Bussen und Bahnen, die von den Änderungen im Personenbeförderungsgesetz ebenfalls betroffen sind. Als zu Beginn der Reform über eine Aufweichung der gesetzlichen Grundlagen diskutiert wurde, hat die Branche jede Öffnung komplett weggeblockt.

Verkehrsunternehmen erlauben bis heute keinem anderen Verkehrsunternehmen, ihre Angebote mitzuvermarkten. So kann jedes Unternehmen ganz ungestört vor sich hin wursteln. Nutzer, die aus dem privaten Auto aussteigen wollen, benötigen weiterhin rund acht bis zehn Apps, um den gesamten öffentlichen Verkehr nutzen zu können.

Die Erfolgsgeschichte des Mobilfunks – ein Anbieter mit einem Service rund um den Globus – soll sich beim öffentlichen Verkehr nicht wiederholen. Die Branche will gar nicht mehr Kunden haben.

Bei einer Anhörung im Bundestag im Januar haben Verbandsvertreter die Strategie nochmals deutlich gemacht: Die jetzigen Angebote von Bus und Bahnen sollen gehalten und pandemiebedingte Fahrgeldausfälle von den Steuerzahlern kompensiert werden. Wachstum möchte die Branche nicht, denn gegen das Auto habe man sowieso keine Chance. Ein Anteil am Verkehrsmarkt von maximal zehn bis 15 Prozent sei "in Ordnung".

Wer klein denkt, bleibt klein. Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes ist ein Spiegelbild des öffentlichen Verkehrs: Die Betreiber von Bussen und Bahnen möchten ihre Nische juristisch stabilisiert und öffentlich finanziert wissen. Die Anbieter von digitalen Plattformen akzeptieren den vorgegebenen Rahmen als Randerscheinung und streiten sich mit Taxi- und Mietwagenfirmen um Krümel, die abseits des großen Autokuchens verteilt werden.

Durchbruch beim autonomen Fahren

Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn sich das öffentliche Verkehrsinteresse änderte und der private Autoverkehr eingedämmt und zurückgedrängt wird, weil er zu viele Ressourcen bindet, das Klima bedroht und die Ziele einer universellen Erreichbarkeit nicht mehr erfüllt? Wenn in den Städten der öffentliche Verkehr gemeinsam mit Pooling- und Sharingdiensten die Hauptlast der Mobilitätsangebote erbringen würde?

Das wäre keine Utopie. Um hier nochmals die Hauptstadt zu bemühen: Vor der Pandemie war an den öffentlichen Wegen in Berlin das Auto mit rund 24 Prozent beteiligt, der öffentliche Verkehr mit 28 Prozent und das Fahrrad mit rund 20 Prozent. Fußwege sowie Sharing- und Poolingdienste hatten zusammen einen Anteil von rund 18 Prozent. Der private Autoverkehr ist plötzlich in einer Minderheitenposition.

Kurswechsel: So gelingt die Verkehrswende

Der Verkehr erreicht seine Klimaziele nicht – in fast 30 Jahren sind die CO2-Emissionen des Sektors um kaum ein Prozent gesunken. Die Verkehrswende braucht es aber auch, damit Städte mehr Lebensqualität gewinnen und die Belastungen durch Lärm und Schadstoffe sinken. Klimareporter° stärkt deshalb – in Kooperation mit dem Verkehrswendebüro des Wissenschaftszentrums Berlin – den Fokus auf Verkehrsthemen und berichtet in einer Serie über Hemmnisse bei der Verkehrswende und über Lösungen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Mobilität.

An der Stelle kommt die zweite Gesetzesinitiative ins Spiel, die das Bundeskabinett mit einem etwas sperrigen Titel auf den parlamentarischen Weg brachte: die Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (AFGBV).

Es fällt einem wirklich schwer zu glauben, aber das Verkehrsministerium hat kurz vor Toresschluss noch einen Coup gelandet. Zwar steht die Ressortabstimmung zur AFGBV noch aus und es gibt noch tausend offene Fragen wie die nach Datenschutz und Haftung – der Geist aber ist aus der Flasche.

Mit der Verordnung öffnet das Ministerium die Tür für den Betrieb "autonomer Flotten" und geht damit weit über das hinaus, was die deutschen Autohersteller für gut und nützlich befinden.

Daimler, BMW, VW und Co wollen lediglich einen sehr kontrollierten Ausbau des automatischen Fahrens. Der Fahrzeugführer bleibt da immer der Herrscher der Reußen und kann nur ab und zu die Hände vom Steuer nehmen.

Das Ministerium geht einen Schritt darüber hinaus. Vorgesehen ist, dass der Betrieb eines Kraftfahrzeugs nicht mehr von einem Fahrzeugführer, sondern von einer "technischen Aufsicht" kontrolliert wird, die nicht im Fahrzeug stationiert ist.

Selbstfahrende Autos für den öffentlichen Verkehr

Damit ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel vom automatischen Fahren zum autonomen Betrieb möglich. Künftig können Autos als Fahrmaschinen für den öffentlichen Verkehr eingesetzt werden.

Autonome Fahrzeuge unterliegen keiner Steuerung durch einen Fahrzeugführer mehr, sondern folgen einem neu definierten öffentlichen Verkehrsinteresse: Jeder und jede kann sich abholen und bringen lassen, natürlich auf unterschiedlichem Servicelevel. Mal direkt, mal über Umwege, mal allein, mal im Pool, mal mit Gepäck und Kindern und für längere Strecken kombiniert mit Bussen und Bahnen.

Kein Auto müsste mehr 90 Prozent seiner Zeit herumstehen und einen typischen Besetzungsgrad von einer Person aufweisen. Das Auto wäre aus der Klammer des Privatbesitzes befreit: Mehr Mobilität für alle mit weniger Fahrzeugen.

Man ist schnell geneigt zu kommentieren: Alles gut, aber die Technik ist ja noch lange nicht so weit. "Robo-Taxis" seien doch noch Science-Fiction. Wer allerdings mal nach Phoenix in Arizona schaut, dem wird nicht entgangen sein, dass die Zukunft schon da ist. Dort kann man heute schon in Fahrzeuge ohne Chauffeur einsteigen, und das im Regelbetrieb.

Es wäre also eine Chance für die Neudefinition des öffentlichen Verkehrs. Doch diesmal könnte nicht einmal das Haus Scheuer der Bremser sein, sondern die beharrliche Kleinteiligkeit der Branche des öffentlichen Verkehrs.

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