Porträtaufnahme von Michael Müller.
Michael Müller. (Foto: Martin Sieber)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.

Klimareporter°: Herr Müller, die Transparenzinitiative Lobbycontrol hat sich in einer Analyse mit dem Einfluss der Erdgaslobby auseinandergesetzt. Wie gefährlich ist die Gaslobby für den Klimaschutz?

Michael Müller: Es ist nicht so, dass die Lobbyisten in erster Linie den Gesetzgeber, also den Bundestag, für ihre Interessen bearbeiten. Das ist in der Regel viel zu kompliziert, weil die Abgeordneten sehr viele Aufgabenbereiche gleichzeitig abdecken müssen und ihnen oft die juristischen Voraussetzungen zum Erarbeiten eines Gesetzestextes fehlen.

Das heißt nicht, dass es nicht auch im Bundestag harte Interessenvertreter gibt, die sich zum Beispiel massiv für die Ziele von Unternehmen einsetzen, die in ihrem Wahlkreis ansässig sind.

Aber die Durchsetzung der Ziele und Interessen der Wirtschaft setzt vor allem da an, wo die meisten Lobbyisten tätig sind, nämlich in den Ministerien – dort, wo die jeweils zuständigen Referenten, Referatsleiter, Unterabteilungsleiter oder Abteilungsleiter sitzen. Nicht, dass ich überall korrumpierte Beamte unterstelle, aber die Versuche sind da und sie beginnen mit "Netzwerken", die systematisch für eine bestimmte Zielsetzung aufgebaut werden.

Die andere Möglichkeit ist der direkte Weg über Gespräche oder Beziehungen zu den Staatssekretären oder dem Minister selbst. Entscheidend ist hierbei auch, dass es für die Ziele einen "Mainstream" gibt, der die Vorhaben fördert und unterstützt.

Beim Erdgas ist das Netzwerk zum Beispiel systematisch unter den Stichworten "preiswerte Energie" und "Brückenenergie" aufgebaut worden. Es sind nicht zuletzt Werbung, Medien und Informationsdienste, die den gewünschten Interessen den Weg bereiten.

Auf der anderen Seite sind die Lieferketten heute global, und global ist auch die Ressourcennutzung. Es ist keine Glanztat, die Abhängigkeit vom russischen Gas dadurch zu beenden, dass man sich vor dem Energieminister von Katar verbeugt. Der beste Weg ist ein genereller Ausstiegspfad aus den fossilen Energieträgern und nicht nur ihr Ersatz durch erneuerbare Energien, sondern auch eine massive Reduktion im Einsatz von Energie.

In Berlin ist die Anzahl der Lobbyverbände doppelt so hoch wie am früheren Regierungssitz in Bonn, und trotz der Registrierung ist ihre Arbeit sehr intransparent. Wenn Lobbycontrol auf 40 Millionen Euro allein bei der Gaslobby für die Durchsetzung ihrer Interessen kommt, würde ich gerne wissen, wie die Summe zustande kommt und in welcher Form die Gelder eingesetzt werden. Sicher gibt es da eine Unterscheidung zwischen "weichen" und "harten" Formen des Lobbyismus.

Besonders brisant sind auf jeden Fall die Seitenwechsler. Ich bin dafür, für sie eine zeitliche Sperre nach dem Ausscheiden aus der Politik einzuführen.

Auf einem Branchentreffen definierte Energieminister Habeck drei Maßnahmen, um den Ausbau von Solar- und Windenergie zu beschleunigen: Finanzierung ermöglichen, Risiken staatlich absichern, Innovationen fördern. Reicht das für einen genügend schnellen Ausbau?

Ich halte es bei allen Bundesregierungen der letzten 25 Jahre für einen Schwachpunkt, keine umfassende Energiewende zu vertreten. Sie erfordert die drei "E": Erneuerbare, Effizienzrevolution und Einsparen.

Die Chancen einer Effizienzrevolution, also die systematische Steigerung der Wandlungs- und Nutzungseffizienz, werden in der Regel nur am Rande angemerkt. Absolutes Einsparen, sprich Suffizienz, kommt gar nicht vor.

Dabei sind beide Strategien unverzichtbar für eine Energiewende, die nicht nur die Energieträger austauscht, sondern auch den Energieeinsatz deutlich verringert. Was zum einen den Erneuerbaren hilft, sich als genereller Energieträger durchzusetzen, und zum anderen zum ökologischen Umbau unbedingt dazu gehört.

Nachhaltigkeit bedeutet, den Einsatz von Ressourcen drastisch zu verringern und eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Wir erreichen den Welterschöpfungstag bereits Ende Juli, er lag im Jahr 2000 noch im November. Innovationen für eine ökologische Industrie- und Dienstleistungsstrategie kommen leider zu kurz.

Uniper hat den Geschäftsbericht für 2022 vorgestellt: 19 Milliarden Euro Verlust. Kann der deutsche Staat, der 99 Prozent der Geschäftsanteile von Uniper hält, den größten Gasimporteur des Landes zu einem nachhaltigen Unternehmen transformieren?

Sowohl ökonomisch als auch ökologisch gibt es Gründe genug dafür, aber ich habe meine Zweifel.

Die massive Förderung der Infrastruktur für US-amerikanisches Frackinggas geht in eine völlig falsche Richtung. Die Interessen der dortigen Energiewirtschaft werden damit bedient, aber nicht die ökologischen Notwendigkeiten. Die neue Abhängigkeit sehe ich mit Sorge. Die Summen, die in die Infrastruktur fließen, erhöhen den Druck, sie auch dauerhaft zu nutzen. Insofern bin ich skeptisch.

Die Stadt Hannover hat als erste Stadt mit der "Letzten Generation" verhandelt. Nun gibt es eine Einigung: Die Gruppe verzichtet auf weitere Aktionen, und Hannover setzt sich in Berlin für die Forderungen der Aktivist:innen ein. Kann das ein Weg zur Lösung der Klimakrise sein?

Gespräche sind immer gut. Dabei geht es ja nicht um Wissenslücken, denn wer das Klimaproblem noch immer nicht begriffen hat, ist einfach fehl am Platz. Und wir wissen auch, was zu tun ist, nicht nur in Hannover. Entscheidend ist deshalb, den Unterschied zwischen dem Notwendigen und dem angeblich nur Möglichen zu überwinden.

Wenn solche Gespräche aber wie "Tarifverhandlungen" ablaufen, weiß ich nicht, was sie bringen können, sicher keine sozial-ökologische Gestaltung der Transformation. Entscheidend ist ein Lernprozess, wie dafür der Gestaltungsspielraum in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erweitert wird.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Nach einem Jahr Angriffskrieg in der Ukraine ist nichts mehr übriggeblieben von den großen Ideen der Vereinten Nationen für eine Weltinnenpolitik. Gemeinsames Überleben, Gemeinsame Sicherheit und Gemeinsame Zukunft – die drei Berichte der UN zur Nord-Süd-Politik, zu einer Politik der Abrüstung und Entspannung und zur Nachhaltigkeit für eine soziale und ökologische Gestaltung der Welt waren eine Einheit auf der Basis der Gemeinsamkeit.

Das erschüttert mich, denn wie sonst sollen die großen Herausforderungen der Zukunft bewältigt werden?

Fragen: David Zauner

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