Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, viele Banken und Versicherungen haben mittlerweile interne Kohlerichtlinien. Trotzdem fließen noch Milliarden in die Kohleindustrie, wie die Beispiele Commerzbank und Allianz zeigen. Warum fällt der Abschied von den Kohlepapieren so schwer – geht es um Tradition oder Rendite?

Matthias Willenbacher: Zu glauben, dass Unternehmen der Versicherungs- und Finanzbranche von selbst, gleichsam aus altruistischen Gründen, eine grüne Transition vornehmen würden, ist naiv. Wirksam sind – neben gesellschaftlichem Druck – nur klare politische Vorgaben.

Es geht einerseits um direkt wirksame Regeln für die Branche, andererseits um Entscheidungen, die schmutzige Investments unattraktiv machen. Und hier ist ein eindeutiges Versagen der Politik festzustellen.

Der Aktienkurs von RWE beispielsweise hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht – und das, obwohl fossil-atomare Erzeugungskapazitäten immer noch über zwei Drittel des gesamten Portfolios ausmachen.

In Wahrheit steht beides in einem direkten Zusammenhang. Denn seit Bekanntwerden des Kohlekompromisses Anfang 2019 hat die RWE-Aktie rund die Hälfte ihres gesamten Fünf-Jahres-Wachstums verzeichnet. Kein Wunder, dass für Banken der Eindruck entsteht, man könne auf solche Unternehmen als Kunden und Anlageobjekte nicht verzichten.

Zum anderen ist aber auch die Finanzmarktregulierung selbst zu nennen. Häufig wird die EU-Verordnung zur Taxonomie von Finanzprodukten als Paradigmenwechsel bezeichnet. Doch im Kern geht es nur um eine einheitliche Klassifikationssystematik. Materielle Sanktionen für nicht-nachhaltige Finanzmarktaktivitäten oder zumindest Anreize für nachhaltige Finanzmarktakteure sind nicht vorgesehen.

Die europäische Politik ist hier zu vorsichtig. Seit Jahren wird darüber diskutiert, einen "Green Supporting Factor" einzuführen. Der würde vorsehen, dass Banken, die mehrheitlich nachhaltige Projekte finanzieren oder Geschäftsbeziehungen zu nachhaltig agierenden Kunden führen, verminderte Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen haben.

Das ist auch aus Gründen des Risikomanagements begründbar. Denn wir wissen ja, dass nachhaltige Investitionen die globalen Risiken erheblich verringern. Dass die EZB und die Bundesbank entsprechende Vorschläge, auch der Europäischen Kommission, abwehren, ohne Alternativideen zu präsentieren, ist nicht ausreichend. So wird es nichts mit einer dynamischen Finanzwende.

Energiegenossenschaften sehen sich von ihrer früheren Teilhabe an der Energiewende immer weiter entfernt. Dass sie für ihre Probleme vor der Bundestagswahl noch Gehör finden, ist nach dem Jahreskongress in dieser Woche eher noch unwahrscheinlicher geworden. Übernehmen jetzt die Stromkonzerne und die Finanzinvestoren das Zepter bei der Energiewende? 

Seit 2012 scheint es ein Motto zu geben, das sich wie ein Leitfaden von EEG-Novelle zu EEG-Novelle zieht: mehr Bürokratie!

Genau das – ein immer komplexeres und kaum noch durchschaubares energierechtliches Regelwerk – ist Gift für Energiegenossenschaften wie auch viele andere kleine Unternehmen. Man muss der Bundesregierung leider unterstellen, dass sie dieses Gift sehr bewusst verabreicht.

Das ist absolut verwerflich, denn die aktive Beteiligung der Menschen an der Energiewende ist ein hohes Gut und eine wichtige Errungenschaft. Deshalb hat die Europäische Union auch ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen für die Entwicklung von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften förderlichen Rechtsrahmen zu schaffen.

Die Bundesregierung ignoriert aber diese Verpflichtung und scheint es gegebenenfalls – wie auch in Bezug auf die Gewährung von Prosumentenrechten – auf ein Vertragsverletzungsverfahren bei der EU ankommen zu lassen.

Ich denke trotzdem nicht, dass auf Dauer Stromkonzerne und Finanzinvestoren das Zepter bei der Energiewende übernehmen werden. Dafür macht es zu viel Sinn, erneuerbaren Strom vorrangig lokal zu nutzen, was in kleinteiligen Strukturen besser möglich ist.

Und wir werden die gesellschaftliche Unterstützung für die Energiewende auch nicht auf dem hohen Niveau halten, auf dem sie immer noch ist, wenn die Menschen nicht die Chance haben, von der Energiewende zu profitieren. Dafür ist die Mitgliedschaft und die aktive Mitarbeit in Genossenschaften sehr wichtig.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, Anwohnern zu ermöglichen, den lokal erzeugten Grünstrom zu günstigen Preisen zu beziehen. So könnten für Verbraucher:innen, die in der unmittelbaren Umgebung von Wind- und Solarparks leben, die Netzentgelte oder die Stromsteuer entfallen.

Dienstreisen werden durch das Bundesreisekostengesetz geregelt – Klimaziele kommen dort nicht vor. Deshalb liegt es oft an den Unternehmen selbst, wie nachhaltig Vorgaben und Praxis bei Dienstreisen sind. Wie sieht denn Ihr Geschäftsreiseverhalten aus und wie wird es nach der Pandemie aussehen?

Ich habe schon vor der Pandemie streng darauf geachtet, klimaneutral zu reisen, und auch meine Mitarbeiter:innen dazu angehalten. Videokonferenzen gehörten in meinen Unternehmen schon vor zehn Jahren zur Praxis. Doch vor der Pandemie war durchaus zu spüren, dass manche Geschäftspartner:innen Videokonferenzen etwas unhöflich fanden. Das hat sich durch Corona verändert.

Ich denke also, dass ich auch nach der Pandemie meine persönliche Reise-Triade weiter optimieren kann: Erstens Verkehr vermeiden, zum Beispiel, indem mehr in Videoschalten geregelt wird. Zweitens verlagern – aufs Fahrrad oder, wenn das nicht geht, auf Bus und Bahn. Drittens verträglich gestalten, vor allem über das Sharing von E-Fahrzeugen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dass es dann doch endlich mal gelungen ist, die Frage, wie wir in Zukunft bauen und wohnen sollten, auf die politische Agenda zu heben – jedenfalls so ein bisschen.

Die Frage, ob Einfamilienhäuser in dicht besiedelten Gebieten wie im Bezirk Hamburg-Nord noch zukunftsfähig sind, sollte aber nicht dazu verführen, das klimapolitisch verantwortliche Bauen und Wohnen auf den Pro-Kopf-Flächenverbrauch zu reduzieren. Mindestens genauso wichtig ist der Einsatz von erneuerbaren Baustoffen.

Holz, Hanf, Schilf und andere Materialien können viel Beton, Zement und Stahl ersetzen. Wenn wir im Bauen stärker auf sie zurückgreifen, können wir sofort erhebliche Fortschritte auf dem Weg zur Treibhausgasfreiheit erreichen, ohne über den problematischen Umweg Wasserstoff gehen zu müssen.

Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die Stellplatzregelungen neu fassen. Statt bei Mehrparteienhäusern auf den Bau von Stellplätzen – oft in Form von Tiefgaragen – zu bestehen, sollte es eine Pflicht zur Bereitstellung von Carsharing-Angeboten geben.

Die Stadt Frankfurt am Main hat in ihrer Stellplatzsatzung bereits geregelt, dass ein solcher Carsharing-Stellplatz grundsätzlich fünf notwendige Garagen und Stellplätze ersetzen kann. Das ist bisher noch ein Einzelfall, aber durchaus vorbildlich. Denn dann müssen keine Tiefgaragen mehr gebaut werden.

Diese Maßnahme würde eine mehrfache Entlastung bringen: Wir hätten deutlich weniger Autos in den Innenstädten. Es gäbe beim Bau weniger Aushub, der weggefahren und entsorgt werden muss. Und vor allem würden wir massiv Beton einsparen, der unnütz verbuddelt werden müsste.

Fragen: Jörg Staude

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