Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.
Klimareporter°: Herr Willenbacher, die Umweltverbände fordern von der Bundesregierung, noch vor der Wahl ein ambitioniertes Klima-Sofortprogramm aufzulegen. Man könne beim Klimaschutz nicht warten, bis die nächste Regierung mit dem Regieren anfange. Sind solche Appelle im Wahlkampf nicht wirklichkeitsfremd?
Matthias Willenbacher: Ja, natürlich sind sie in gewisser Hinsicht wirklichkeitsfremd. Zum einen spricht nichts dafür, dass sich die Bundesregierung in den letzten Wochen ihrer Amtszeit doch noch ihrer klimapolitischen Verantwortung erinnert. Zu blutleer, ja zu gewissenlos war ihre Klimapolitik in den vergangenen drei Jahren.
Außerdem lässt sich ja auch rechtlich nicht mehr viel auf den Weg bringen. Es bleibt nur noch eine einzige Sitzungswoche, und die beginnt morgen.
Natürlich wissen die Umweltverbände das auch selbst. Mit ihrem Appell haben sie trotzdem recht: Wir können uns einfach keine monatelange Aktionslosigkeit in der Klimapolitik leisten. Dass wir das ganze zweite Halbjahr 2021 verplempern könnten, ist für mich eine unerträgliche Vorstellung.
Sollten wir wieder – wie im Jahr 2017 – monatelang eine nur geschäftsführende Bundesregierung haben, dann muss diese unbedingt klimapolitisch handeln. Und dafür liefert das Sofortprogramm der Umweltverbände die richtige Grundlage.
In ihrem Wahlprogramm gehen die Grünen auf Nummer sicher: keine Verschärfung beim CO2-Preis, kein konsequentes Tempolimit und kein höheres Energiegeld zum Ausgleich steigender CO2-Preise. Ist das grüne Wahlprogramm schon klimapolitisch weichgespült?
Ja, das sehe ich so. Es ist mutlos und auch konzeptionell nicht überzeugend. Wenn jede Tonne emittiertes CO2 Kosten in Höhe von mindestens 180 Euro verursacht, dann ist ein Preis von 60 Euro einfach nicht begründbar. Ich glaube auch nicht, dass auf diesem Niveau ein Lenkungseffekt erwartet werden kann.
Und schließlich macht ein Lenkungseffekt nur dann Sinn, wenn es auch eine Handlungsalternative gibt, zu der man hingelenkt werden kann. Und das ist in vielen Konstellationen schlichtweg nicht der Fall.
Deshalb sollten die Einnahmen aus dem CO2-Preis eher dazu verwendet werden, allen Menschen – auch der Pendlerin mit wenig Einkommen und dem Mieter im schlecht sanierten Mietshaus – echte Alternativen zu bieten. Dafür braucht es zielgerechte Förderprogramme und auch ein bisschen Kreativität.
Stattdessen das eingenommene Geld einfach pauschal pro Kopf zurückzugeben ist mir ein bisschen zu plump und fantasielos. Vielleicht erklärt auch dies das negative Votum gegen das CO2-Gesetz in der Schweiz. Das sollte zu denken geben, denn das Energiegeld wurde ja dem Schweizer Modell entlehnt.
Die Städte müssen umgestaltet werden: mehr Bäume, Entsiegelung asphaltierter Flächen, sturmsicheres Schienennetz. Das Umweltbundesamt sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Können wir bei der Stadtgestaltung überhaupt mit dem Tempo mithalten, das die Klimakrise vorlegt?
Die Städte wurden in der Klimapolitik viel zu lange vernachlässigt. Die Kommunen bräuchten klare Vorgaben vom Bund oder von den Ländern, dann aber auch die Mittel, diese Vorgaben zu erfüllen.
Klimaschutz und Nachhaltigkeit lassen sich nur bedingt von oben verordnen. Sie müssen vor Ort in die Praxis umgesetzt werden, und das können eben nur die Kommunen.
Wie es geht, zeigt Anne Hidalgo in Paris, die als Bürgermeisterin mit großem Engagement die ökologische Transformation der französischen Hauptstadt vorantreibt. Ihren Elan würde ich mir auch bei möglichst vielen deutschen Stadtoberhäuptern wünschen.
Eine Analyse der Europäischen Zentralbank zeigt vergleichsweise hohe Risiken für Banken, Fonds und Versicherungen durch den Klimawandel. Eine neue Abteilung der EZB soll das Thema weiterbearbeiten. Reicht das?
Nein, die EZB tut viel zu wenig. Ich habe das schon mal an dieser Stelle gesagt. Christine Lagarde ist mit vollmundigen klimapolitischen Versprechen angetreten, aber so richtig geliefert hat sie immer noch nicht. Schlimmer noch, die EZB hintertreibt an vielen Stellen das, was die Europäische Kommission in puncto "Sustainable Finance" plant.
Zum Beispiel liebäugelt die Kommission seit Längerem damit, einen "Green Supporting Factor" einzuführen. Damit müssten Banken, die Pioniere im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind, geringere Eigenkapitalanforderungen erfüllen. Das wäre ein mächtiger Ansatz und würde wirklich etwas bringen. Doch leider verhindert die EZB mit einer ultraorthodoxen Haltung eine Realisierung dieses Vorhabens.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Ich bleibe gedanklich in Brüssel und sage: der Entwurf der Leitlinien für staatliche Beihilfen für Klima, Umwelt und Energie. Die EU-Kommission hat ihn vor ein paar Tagen vorgestellt.
Die Vorgänger-Leitlinien haben ja die Energiepolitik der Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren maßgeblich geprägt. In Deutschland waren sie für viele fragwürdige Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verantwortlich.
Der neue Ansatz, den die Kommission nun vorschlägt, ist an sich vielversprechend. Die Kommission will nämlich Beihilfen nicht mehr nur dann akzeptieren, wenn es Kostenunterschiede zwischen schmutzigen und sauberen Technologien gibt, weil die externen Effekte nicht eingepreist sind.
Stattdessen sollen Beihilfen nun grundsätzlich erlaubt sein, wenn sie zu einer ökologischen Transformation der Wirtschaft beitragen. Die Umsetzung ist aber haarsträubend.
Denn die Kriterien sind so wachsweich formuliert, dass die Kommission theoretisch jede klima-, energie- oder verkehrspolitische Maßnahme von Mitgliedsstaaten kassieren könnte. Damit würde sie über fast unbegrenzte Macht verfügen. Zudem würde eine unfassbar hohe Rechtsunsicherheit einziehen.
Dass die Kommission die Leitlinien allen Ernstes in den Kontext des European Green Deal stellt, ist vor diesem Hintergrund eine echte Lachnummer, leider eine ziemlich traurige.
Der Hammer ist aber: Beihilfen für Kernenergie werden aus den Leitlinien herausgenommen. Sie genießen also einen Sonderstatus. Und die Kommission hält es noch nicht mal für nötig, dies zu begründen. Alles ist allem ist es die böseste Überraschung, die sich die Kommission von der Leyen bisher erlaubt hat.
Fragen: Jörg Staude und Sandra Kirchner