Einen wirklich schönen Abend hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gestern im Bundestag nicht. Der Koalitionspartner SPD kühlte angesichts der endlich zu beschließenden Abschaffung des Solardeckels sein Mütchen an dem Minister.
Timon Gremmels von der SPD-Fraktion erinnerte in seiner Rede den auf der Regierungsbank sitzenden Altmaier genüsslich daran, dass dieser 2012 als damaliger Umweltminister den 52.000-Megawatt-Solardeckel eingeführt und damals als "großen Erfolg" gefeiert habe. Und nun werde man den Deckel "ausgerechnet an Ihrem Geburtstag beerdigen und abschaffen", verschaffte sich Gremmels Genugtuung.
Das sei schon eine "gewisse Ironie der Geschichte", legte Gremmels nach und ätzte: "Als Sozialdemokrat könnte man Ihnen kein größeres Geschenk zum Geburtstag machen."
Der Frust in der SPD, jedenfalls bei den Abgeordneten, die sich seit Jahr und Tag für Solar- und Windenergie einsetzen, ist auch zu verständlich. Tatsächlich könnte diese Woche einmal als die Zeit in die Wirtschaftsgeschichte eingehen, in der die Energiewende-Bremser ausgebremst wurden, wenigstens vorerst.
Anzeichen dafür finden sich vor allem in einem elfseitigen, von der virusfixierten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen Papier zur "Umsetzung der Energiewende", auf das sich Bund und Länder auf dem Corona-Gipfel in dieser Woche geeinigt haben. Das Dokument enthält einige Zugeständnisse des Bundes an Jahre alte Kritiken.
So hielten – das Bundeswirtschaftsministerium ausgenommen – so gut wie alle anderen Institutionen oder Experten den im Klimaschutzprogramm für 2030 veranschlagten Bruttostromverbrauch von 580 Terawattstunden für eine rein politisch intendierte Zahl.
Mit einem derart niedrigen Stromverbrauch konnte die Koalition bisher auch den nötigen Ausbau des Ökostroms kleinrechnen, um 2030 dennoch den versprochenen 65-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch zu erreichen. Das Manöver war so durchsichtig wie unglaubwürdig.
Bund gibt bisher unverrückbare Positionen auf
Im Bund-Länder-Papier heißt es nun dazu, es sei perspektivisch zu erwarten, "dass der Strombedarf durch neue Stromverbraucher (zum Beispiel Elektromobilität, Wärmepumpen, PtX-Anwendungen, Digitalisierung, neue industrielle Großverbraucher)" deutlich steigt. Zwar erwartet das Papier diese Entwicklung erst in einigen Jahren, "insbesondere nach 2030" – ein Zungenschlag, damit der Bund sein Gesicht wahren kann. Real aber wird die 580-Terawattstunden-Grenze abgeräumt.
Denn der Bund sichert zu, möglichst frühzeitig Trends in der Entwicklung des Strombedarfs zu identifizieren. Wörtlich: "Die Bundesregierung wird das Ziel- und Mengengerüst für den Ausbau erneuerbarer Energien mit Blick auf die Entwicklung des Stromverbrauchs und möglicher Anpassungen unserer Klimaziele regelmäßig überprüfen." Wie diese Überprüfung ausgeht, da muss man kein großer Prophet sein.
Auch andere bisher unverrückbare Positionen der Koalition in der Ökostrom-Politik werden aufgegeben. So findet sich im Papier auf einmal das Versprechen einer "besseren Regionalisierung" beim Erneuerbaren-Ausbau. Unter dieser sogenannten Regionalisierungskomponente ist zum Beispiel zu verstehen, dass der Zubau von Windkraft im Süden an natürlicherweise windschwächeren Standorten besonders zu unterstützen ist.
Und so geht es weiter: Potenziale für große Photovoltaik-Dachanlagen sollen besser erschlossen werden, das Mieterstrommodell verbessert, wirtschaftliche Perspektiven für Biomasseanlagen geprüft und "Entwicklungsoptionen für Bioenergie" aufgezeigt werden.
Auch die seit Wochen laufende Debatte zur Zukunft der Millionen solaren Haushalte in Deutschland findet sich im Papier wieder: Die Bundesregierung will prüfen, "ob und wie auch Eigenstromproduktion so ermöglicht werden kann, dass diese einerseits wirtschaftlich und andererseits ohne Auswirkungen auf den Strompreis betrieben werden kann. Dies darf außerdem nicht zu einer Entsolidarisierung bei der Finanzierung der Netzinfrastruktur und der Energiewende führen."
Liste ausgebremster Vorhaben bleibt lang
Und plötzlich geht auch was bei der Deutschen Flugsicherung (DFS). Die Länder begrüßen laut dem Papier, dass die Bundesregierung zur "Bereitstellung neuer Flächen für die Windenergienutzung an Land das Bewertungsverfahren der DFS zum 1. Juni 2020 auf Grundlage gesicherter, anerkannter neuer Erkenntnisse geschärft und entsprechend aktualisiert hat".
Anders gesagt: Die bisherige, übertrieben große Windkraftverbotszone um die Flugsicherungsanlagen herum wird künftig verkleinert. Das schafft mehr neue für den Windausbau geeignete Flächen als jedes Zurückfahren des Naturschutzes. Auch da wollte die Regierung monatelang nicht heran, obwohl die Fakten auf dem Tisch lagen.
Bundeswirtschaftsminister Altmaier freut, wie er gestern mitteilte, an dem Papier besonders, dass "alle Beteiligten die gemeinsame Verantwortung für die Umsetzung der Energiewende annehmen" und das gemeinsame Ziel "vor die jeweiligen Einzelinteressen stellen".
Nun – möglicherweise bekommt der Wirtschaftsminister die einmal gelockerten Interessen-Bremsen nicht mehr unter Kontrolle. SPD-Mann Gremmels machte Altmaier in der Bundestagsdebatte klar, dass Solardeckel und Windabstände erst der Anfang seien.
So brauche man eine schnelle Regelung für die sogenannten Post-EEG-Anlagen, die ab 2021 aus der Förderung fallen. "Die haben ihr Geld verdient", sagte Gremmels, jetzt dürfe man aber nicht zulassen, dass die Anlagen abgebaut werden müssen.
Nötig sei auch, so der SPD-Parlamentarier, endlich ein Mieterstromgesetz zu beschließen, dass den Namen verdient – und eine bundesweite Solarpflicht für Neubauten.
Die Liste dessen, was seit Jahren ausgebremst wurde, ist lang.