Seit Jahren werden die erneuerbaren Energien immer günstiger. Zwischen 2008 und 2015 fielen die Kosten für Solaranlagen je nach Ausführung um 54 bis 64 Prozent, für Windkraft an Land um 41 Prozent. Wenn es nach marktwirtschaftlicher Logik zuginge, müsste der Neubau von Ökostromanlagen eigentlich boomen, der wachsenden Kostenvorteile wegen.
Doch das ist nicht der Fall. Tatsächlich stockt der Zubau. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen zur Halbjahresbilanz 2018, die der europäische Verband Wind Europe heute vorgelegt hat.
Nur 4.500 Megawatt Windkapazität sind demnach in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres europaweit neu ans Netz gegangen, davon 3.300 Megawatt an Land. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 6.100 Megawatt.
Europas Energiewende, zeigt das, kommt nicht schnell genug voran. Deutschland etwa installierte im gesamten Halbjahr nur 1.600 Megawatt Windkraft an Land. Bei Offshore-Anlagen auf dem Meer passierte gar nichts.
In Frankreich gingen 606 Megawatt Windkraft ans Netz, davon ein Megawatt offshore. Jedoch wurde schon seit acht Monaten kein einziges neues Windkraftwerk an Land mehr bewilligt.
Für den Branchenverband ist das ein klares Zeichen, dass es Probleme mit den neuen Ausschreibungssystemen gibt, die in vielen europäischen Ländern eingeführt wurden. Das habe Unsicherheit gebracht und so zum Ausbaurückgang bei der Windkraft geführt.
Sorgen bereitet dem Verband aber nicht nur, dass der Zubau sich verlangsamt. Die Ausbauzahlen seien zwar geringer als im ersten Halbjahr 2017, jedoch immer noch "solide", sagt Pierre Tardieu von Wind Europe. "Doch die Zahlen verbergen auch beunruhigende Entwicklungen."
"Der Ausbau ist nur von einigen wenigen Märkten getrieben", so Tardieu. Im Offshore-Bereich etwa geht fast der gesamte Zubau von 1.100 Megawatt auf das Konto Großbritanniens. Hier wurden im ersten Halbjahr 911 Megawatt neu angeschlossen. Mit sehr großem Abstand folgen Belgien (175 Megawatt) und Dänemark (28 Megawatt).
Europa, warnt der Verband, ist "in diesem Bereich zu abhängig von Großbritannien". Die anderen EU-Länder müssten ihre Offshore-Pläne erweitern und beschleunigen. Schließlich wird das Königreich bald nicht mehr zur Europäischen Union gehören, also auch nichts mehr zu den Klimazielen der EU beitragen.
In Bayern findet fast kein Wind-Ausbau mehr statt
Die Schieflage beim Vorantreiben der Energiewende, die der Windverband für ganz Europa beklagt, existiert aber auch innerhalb Deutschlands. Seitdem Bayern 2014 die sogenannte 10‑H‑Regel für Windkraftwerke eingeführt hat, geht der Ausbau dort stetig zurück. Inzwischen ist er fast zum Erliegen gekommen. "10 H" steht dafür, dass zwischen Windrad und Wohnbebauung die zehnfache Höhe des Windrads liegen muss. Im Fall von modernen Anlagen entspricht das zwei Kilometern.
Nur sechs neue Windkraftwerke wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres in Bayern in Betrieb genommen – von deutschlandweit 497 neuen Anlagen. Dabei ist der Freistaat das größte Flächenland Deutschlands, hätte also eigentlich Platz genug, um Windräder aufzustellen.
Finanzierung stockt
Auch die globale Energiewende kommt langsamer voran als erhofft, zeigen aktuelle Zahlen der Internationalen Energieagentur. Erstmals seit Jahren sind 2017 die Investitionen in Öl und Gas demnach wieder gestiegen, während weniger Geld in die Erneuerbaren floss. Vor allem Windenergie an Land schwächelte. Hier brachen die Investitionen um fast 15 Prozent ein. Ein Drittel davon ist allerdings auch einer positiven Entwicklung zuzuschreiben, nämlich den gefallenen Kosten. Die Solarenergie erlebte dagegen erneut einen kräftigen Boom, der 2018 jedoch einbrechen dürfte.
Zum Vergleich: Selbst das winzige Saarland, das nur über vier Prozent der Fläche Bayerns verfügt, nahm zwölf Anlagen in Betrieb und damit doppelt so viel wie der Freistaat. Vor Einführung der 10‑H‑Abstandsregel, im ersten Halbjahr 2014, gingen in Bayern noch 51 Anlagen ans Netz.
Der rückläufige Ausbau in Bayern ist nicht nur für die Energiewende ein Problem. Er geht auch auf Kosten von Arbeitsplätzen. Im letzten Jahr wurden nach Angaben des bayerischen Windenergie-Verbands von einst fast 13.000 Arbeitsplätzen in Bayerns Windbranche etwa 1.000 gestrichen. Auch für 2018 rechnet der Verband mit weiteren Jobverlusten.
Damit nicht genug. Bayern muss darüber hinaus auch immer mehr Strom importieren, da das Bundesland selber nicht genug produziert. Demnächst könnten von 100 in Bayern verbrauchten Kilowattstunden 40 importiert werden müssen.
Dabei wollte Bayern nach dem beschlossenen Atomausstieg eigentlich zur erneuerbaren Nummer eins werden. Und noch bei der letzten Landtagswahl 2013 verkündete die CSU im Wahlprogramm: "Wir wollen, dass in Bayern so viel Strom erzeugt wird, wie verbraucht wird." Bereits 3.500 Megawatt Atomkraft sind seit 2011 im Freistaat abgeschaltet worden. Bis Ende 2022, wenn Bayerns letztes AKW vom Netz geht, verliert das Bundesland weitere 2.700 Megawatt. Wie sollen die eigentlich ersetzt werden?