Ohne die Produktionsrückgänge bei energieintensiven Industrien wie Stahl wären die CO2-Emissionen letztes Jahr deutlich höher gewesen. (Bild: Rusłan Taran/​Shutterstock)

Am frühen Montagnachmittag konnte die Koalition endlich Vollzug melden. Gemeinsam verkündeten die drei zuständigen Vizevorsitzenden der Ampel-Fraktionen, es gebe eine Einigung bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes sowie beim Solarpaket

Wie der Gordische Knoten gerade beim Klimaschutz durchschlagen werden konnte, geht aus dem bisher dazu Verkündeten nicht konkret hervor. Wie immer bei solchen Einigungen erklären sich alle zu Gewinnern – und als größter Gewinner gilt selbstverständlich der Klimaschutz.

Das neue Klimaschutzgesetz, so geht aus einem Informationspapier der Grünen-Fraktion hervor, verpflichtet die Bundesregierung erstmals dazu, konkrete Klimaschutzmaßnahmen auch für den Zeitraum von 2030 bis 2040 aufzustellen. Es "erneuert die Verbindlichkeit jedes Sektors und wird CO2-Einsparung intelligenter messen", heißt es weiter.

Für die FDP betonte Vizefraktionschef Lukas Köhler, "ab sofort" zähle nur noch, dass die Klimaziele insgesamt erreicht werden, und nicht mehr, an welcher Stelle die Emissionen reduziert würden. 2028 werde außerdem überprüft, ob auch die übrigen Regelungen im Klimagesetz abgeschafft werden können – weil nach Meinung der FDP dann der Emissionshandel das Erreichen der Klimaziele in ganz Europa sicherstellt und keinerlei nationale Vorschriften mehr notwendig sind.

Es fällt auf, wie sehr die Fraktionen betonen, dass Fahrverbote im Verkehrssektor vom Tisch seien – als hätten diese jemals ernsthaft zur Debatte gestanden.

Weiter ist im Papier der Grünen zu lesen: Dafür, dass im Verkehr klimapolitisch mehr passieren müsse, trage der zuständige Minister auch im Rahmen des neuen Gesetzes besondere Verantwortung – auch zur Abwendung drohender milliardenschwerer Strafzahlungen aufgrund europäischer Zielverfehlungen. Wie das im Einzelnen aussehen soll, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.

Klimalücke im Verkehr zu groß für Einzelmaßnahmen

Den Druck für mehr Klimapolitik im Verkehr hatte am Montagvormittag auch der Expertenrat für Klimafragen mit seinem jährlichen Prüfbericht erhöht. Das Gremium bestätigt darin zunächst die kürzliche Angabe des Umweltbundesamtes (UBA), wonach der Verkehr 2023 sein CO2-Budget um knapp 13 Millionen Tonnen überzog. Die erneute Verfehlung des Sektorziels sei "eindeutig", stellte denn auch der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning, fest.

Alles in allem folgt der Rat dabei den UBA-Berechnungen und bestätigt den starken Rückgang der CO2-Emissionen von 2022 zu 2023 um rund zehn Prozent von 750 Millionen auf 674 Millionen Tonnen. Besonders die Sektoren Energie, Industrie und Gebäude hätten hohe CO2-Minderungen erreicht, betonte Expertenrats-Chef Henning.

Was die Motive angeht, aus denen Verkehrsminister Wissing derzeit mit Fahrverboten Politik macht, zeigte sich der Expertenrat klarsichtig. Grund dafür sei ein Konflikt innerhalb der Ampel um das neue Klimaschutzgesetz, meinte Vizechefin Brigitte Knopf am Montag vor Bekanntwerden der Einigung. Knopf betonte in dem Zusammenhang, der Expertenrat habe sich in jedem seiner Prüfberichte für mehr und umfassenderen Klimaschutz im Verkehr eingesetzt.

Bereits jetzt sei die Klimalücke im Verkehr so groß, dass mit einer Einzelmaßnahme immer nur "ein bisschen was" erreicht werden könne, sagte Brigitte Knopf. In diesem Bereich ist ihrer Auffassung nach ein "erweitertes Maßnahmenpaket" nötig. Man darf gespannt sein, ob die Koalition jetzt diesem Rat folgen wird.

Verrechnung von Klima-Budgets hat Tücken

Knopf sowie auch Henning machten zugleich klar, dass der jetzt offenbar offiziell beschlossene Weg – Aufhebung der Pflicht für jedes Ministerium, das Sektorziel einzuhalten, und erlaubte "Verrechnung" mit anderen Sektoren – seine Tücken hat.

Denn ohne die CO2-Rückgänge bei energieintensiven Industrien wie Stahl, Grundstoffchemie und Papier und ohne die erneut milde Witterung hätten die Emissionen 2023 deutlich höher gelegen, stellte Henning klar. Der Expertenrat rechnete diese Einflussfaktoren in seinem Prüfbericht auch heraus und kam auf die grobe Schätzung, dass unter normalen Umständen fast 75 Millionen Tonnen CO2 mehr emittiert worden wären.

Der 2023 erzielte CO2-Rückgang beruhe also zu einem "beträchtlichen Teil" auf Entwicklungen, deren Dauerhaftigkeit nicht sichergestellt sei, so die Bewertung von Hans-Martin Henning.

Auch der Thinktank Agora Energiewende hatte sich in einer letzte Woche veröffentlichten Evaluation mit dem Anteil von "konkretem" Klimaschutz befasst und diesen bei der zu erwartenden CO2-Minderung bis 2030 auf lediglich ein Fünftel veranschlagt.

Fossiler Lock-in durch mehr Gasheizungen

Nicht zufällig bietet der Prüfbericht des Expertenrats nun auch im Detail einige Anlässe, sich um längerfristig wirksame Trends im Klimaschutz zu sorgen. So wurden – auch wenn der Anteil fossiler Heizsysteme insgesamt zurückging – 2023 mit 903.000 Einheiten so viele fossile Wärmeerzeuger wie noch nie verkauft. Insbesondere stieg nach den Angaben der Anteil von Gasheizungen im Wohnungsbestand um 0,2 auf 49,5 Prozent.

Die zusätzlichen Gasheizungen führten zu Mehremissionen von etwa 200.000 Tonnen CO2-Äquivalent. Der Expertenrat sieht hier das Risiko eines fossilen Lock‑in-Effekts, weil die neuen Heizanlagen vielfach 20 Jahre und länger laufen würden.

Mit besonderer Sorge blickt der Expertenrat auf den Klima- und Transformationsfonds. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen November wurden die Fondsmittel um insgesamt knapp 42 Milliarden Euro gekürzt, darunter um 4,6 Milliarden in diesem Jahr, rechnet der Prüfbericht hier vor.

Zudem werde dieses Jahr auch die finanzielle Rücklage des Klimafonds praktisch "vollständig abgeschmolzen" sein, erklärte Brigitte Knopf. Der Spielraum für den Klimaschutz in den kommenden Jahren habe sich damit "stark verkleinert".

 

Auch im Verkehr gibt es nach Auffassung des Expertenrats für Klimafragen eine Reihe von Maßnahmen, die nicht halten, was die Politik versprochen hat. So reduzierte sich 2023 – werden alle Pkw-Neuzulassungen und -Abmeldungen berücksichtigt – zwar der Bestand an reinen Verbrenner-Autos (Diesel, Benzin und Gas) um knapp 633.000. Zugleich wuchs aber die Zahl der Hybrid-Fahrzeuge um 573.000, sodass insgesamt der fossile Bestand letztes Jahr nur um 0,1 Prozent zurückging.

Zudem habe 2023 wegen der schwachen Industrienachfrage der Lkw-Güterverkehr abgenommen, während der Pkw-Verkehr aber zugelegt habe, so der Expertenrat weiter. Auch das Homeoffice bringe nicht die CO2-Einspareffekte, die man sich davon erhoffte. Des Weiteren stehe die CO2-Minderungswirkung des Deutschlandtickets noch nicht fest. "Im Verkehrssektor bleibt eine erhebliche Lücke bis 2030", bilanzierte Brigitte Knopf.

Ergänzung am 16. April: Ampel-Koalition verschiebt Klimaschutz auf viel später