Ein Wochenende mit einer aufgeheizten Debatte um fiktive Fahrverbote hat augenscheinlich gereicht: Nach monatelangem Stillstand hat die Ampel-Koalition sich jetzt auch auf die Reform des Klimaschutzgesetzes geeinigt.

Im Unterschied zum Solarpaket, wo Klimareporter° ein aktueller, auf den 15. April datierender Änderungsantrag der Koalition vorliegt, gibt es beim Klimaschutzgesetz eine vergleichbare Gesetzesvorlage vermutlich noch nicht.

 

Es sei zwar gut, dass die Bundesregierung sich beim Klimagesetz endlich geeinigt habe, urteilt Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), weil das Gesetz an wichtige Vorhaben und Gesetzespakete insbesondere bei den erneuerbaren Energien gekoppelt war.

Dass ein solcher "Kuhhandel" nötig wurde, kritisiert Kemfert jedoch scharf. Sie hält die jetzt beschlossene Aufhebung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz für einen "großen Fehler". Künftig sei nicht mehr sichergestellt, dass einzelne Ressorts dafür Verantwortung tragen, Treibhausgasemissionen zu mindern, betont die Klimaexpertin.

SPD und Grüne loben die Einigung dagegen über den grünen Klee. Nach der Reform des Klimagesetzes könne nicht eine Tonne Kohlendioxid mehr emittiert werden als mit dem bisherigen Gesetz, versichert die SPD in einem Klimareporter° vorliegenden Schreiben.

Die Grünen setzen dem noch eins drauf: "Durch das modernisierte Klimaschutzgesetz darf kein Gramm mehr CO2 ausgestoßen werden als durch das alte", heißt es in einem Hintergrundpapier der Fraktion.

CO2-Lücke im Verkehr lässt sich nur noch ein paar Jahre ausgleichen

Es soll also als klimapolitischer Erfolg gelten, wenn infolge der Gesetzesreform die Emissionen lediglich nicht steigen dürfen. Das sagt einiges über das Ambitionsniveau der Koalition aus.

Erst jüngst hat beispielsweise der Umwelt-Sachverständigenrat festgestellt, Deutschland müsse nicht erst 2045, sondern schon 2037 klimaneutral sein, wolle es wenigstens seinen fairen Beitrag zu einem 1,75-Grad-Ziel leisten. Sein CO2-Budget für das Pariser 1,5-Grad-Limit hat Deutschland danach bereits ausgeschöpft.

Das ist offensichtlich nicht der klimapolitische Maßstab der Koalition. Tatsächlich hat vor allem die FDP dem reformierten Klimagesetz ihren Stempel aufgedrückt. Was sich Grüne und SPD als Verbesserungen anrechnen, sind vielfach Selbstverständlichkeiten, die die Klimawissenschaft schon lange als unumgänglich ansieht.

Dazu gehört die beschlossene Ausdehnung des gesetzlichen Horizonts auf den Zeitraum nach 2030 und bis 2040. Für letzteres Jahr soll ein verbindliches CO2-Reduktionsziel von 88 Prozent nunmehr Gesetzeskraft erlangen.

Das Minus von 88 Prozent entspricht allerdings der von der Klimawissenschaft errechneten Mindestanforderung, um 2045 die Klimaneutralität erreichen zu können, ist also nicht besonders ehrgeizig.

Der Fokus auf die Zeit nach 2030 rührt auch daher, dass das künftig geltende Ausgleichsmodell, bei dem vor allem der Sektor Energie die Mehremissionen des Verkehrs kompensiert, im kommenden Jahrzehnt an seine Grenze gerät.

Bekanntlich soll zum Beispiel die deutsche Stromerzeugung ab 2035 klimaneutral sein. Eine Null-Emissions-Bilanz bedeutet aber auch: Es gibt dann keine Einsparungen mehr, mit denen sich Mehremissionen anderer Sektoren ausgleichen lassen.

Nach 2030 werden, das sagen Klimawissenschaftler:innen schon jetzt, die harten Dekarbonisierungs-Brocken Verkehr und Landwirtschaft ziemlich allein dastehen. Ob es deswegen eine kluge Strategie ist, diese Sektoren bis dahin zu schonen, ist ziemlich fragwürdig. Nötiger Klimaschutz wird so nur noch viel weiter in die Zukunft verschoben.

Das Problem ist bekannt, die Lösungen auch

Neu ist auch das wichtigste Argument nicht, das jetzt neben anderen von den Grünen vorgebracht wird, um nunmehr die gesetzlich verbindlichen Sektorziele samt entsprechender Sofortprogramme aufzugeben zugunsten einer Gesamtprognose und einer Gesamtverantwortung der Regierung: Damit würden "verzerrende Sondereffekte" aus der Klimabilanz entfernt und zudem berücksichtigt, dass manche Klimamaßnahmen länger in der Umsetzung brauchen, argumentieren die Grünen.

Das Problem ist nicht nur altbekannt, es gibt auch schon lange andere Lösungen dafür, als das Klimagesetz zu verwässern. So hatte das DIW schon vor drei Jahren vorgeschlagen, ein Frühwarnsystem zu etablieren, mit dem die Bundesregierung frühzeitig überprüfen könnte, ob die Klimaziele erreicht werden.

Falls das Land nicht auf Kurs ist, könne die Regierung dann rechtzeitig gegensteuern, schrieben die DIW-Expert:innen. Mit sogenannten Frühindikatoren lasse sich zudem erkennen, ob ein Sofortprogramm notwendig ist und wie es auszurichten wäre.

Doch statt die Fehler der Sofortprogramme zu beheben, schafft die Koalition diese nun de facto ab, und die Grünen loben das mit den Worten, man schaue jetzt nicht mehr stur zurück, sondern nach vorne, ob die Maßnahmen ausreichten, die 2030er und 2040er Ziele zu erreichen.

Was die künftig entmachteten Sektorziele und Sofortprogramme betrifft, wies der Expertenrat für Klimafragen bei der Vorstellung seines Prüfberichts am gestrigen Montag mehrmals darauf hin, dass es bereits der Paragraf 8 des "alten" Klimagesetzes ermöglicht, Mehremissionen in einem Sektor durch einen anderen auszugleichen, indem die Jahresemissionsmengen der Sektoren geändert werden. Der entsprechende Beschluss muss vom Expertenrat geprüft werden.

Weiter schreibt das Klimagesetz auch schon jetzt nicht vor, dass mit einem Sofortprogramm innerhalb eines Jahres das Sektorziel wieder ins Lot zu bringen ist. Dies muss, so steht es wörtlich im Gesetz, innerhalb der nächsten Jahre geschehen – und damit könne auch der Zeitraum bis 2030 gemeint sein, sagen Klimaexpert:innen.

"Erneuter Kniefall vor der FDP"

Wenn aber zwei Elemente der jetzt von der Koalition so schwer erkämpften und mit so viel Werbung verkauften Reform schon im aktuellen Klimagesetz angelegt sind, fragt sich natürlich: Warum muss überhaupt etwas am Gesetz geändert werden?

Darauf antworten die Expert:innen sinngemäß so: Ist jetzt noch zuerst das verantwortliche Ministerium in der Pflicht, wird künftig erst geschaut, ob die gesamte Emissionsmenge eingehalten wird. Wenn nicht, dann wird als nächstes eruiert, welche Sektoren für die Überziehung verantwortlich sind – und diese stehen dann, legen die Papiere von SPD und Grünen nahe, in einer besonderen Verantwortung. Wie diese besondere Verantwortung dann aber in eine konkrete überführt wird, ist noch vollkommen unklar.

Die Folge dieser Konstruktion ist jedoch klar: Das Ministerium, das künftig sein Budget am stärksten überzieht, ist aus dem Schneider. Mit der Entkernung des Klimagesetzes leisten sich die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen einen "erneuten Kniefall vor der FDP", kommentieren denn auch Umweltschützer wie Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Die Abschaffung der verbindlichen Sektorvorgaben dient nach Einschätzung von Resch allein dazu, die Bundesregierung und speziell "Porsche-Minister" Volker Wissing (FDP) beim Klimaschutz aus der Verantwortung zu nehmen. SPD und Grüne nähmen damit aber "sehenden Auges" in Kauf, dass die Klimaschutzlücke im Verkehrssektor auf absehbare Zeit nicht kleiner wird, kritisiert der DUH-Geschäftsführer.

Sollten die Sektoren gemeinsam das Klimaziel verfehlen, müssen nach Lesart von SPD und Grünen zwar zusätzliche Maßnahmen beschlossen werden. Hier sei dann besonders der Sektor in der Verantwortung, der für die Zielverfehlung verantwortlich ist. Wie das konkret umgesetzt werden soll, bleibt aber ebenso nebulös.

Blaupause fürs Aufschieben bis 2030

Auch sehen SPD und Grüne, wie zu lesen ist, eine besondere Verantwortung des Verkehrsministeriums, um die Vorgaben der europäischen Lastenteilung, des sogenannten Effort Sharing, einzuhalten.

Dieses Jahr verfügt Deutschland hier noch über ein Polster von rund 17 Millionen Tonnen CO2, Verkehrs- und Gebäudebereich zusammengenommen, wie der am Montag veröffentlichte Prüfbericht des Expertenrats ausweist.

Doch schon Ende 2024 wird dieses Polster aufgebraucht sein und sich schnell in ein Minus von rund 130 Millionen Tonnen CO2 wandeln, bezifferte Expertenrats-Vize Brigitte Knopf am Montag die ins Haus stehende Lücke.

Unklar ist auch, wie die Bundesregierung für die Jahre bis 2030 überhaupt zu einer gesetzlichen CO2-Obergrenze bei den Gesamtemissionen aller Sektoren kommen will. Denn für die Energiewirtschaft gibt es im jetzigen Klimagesetz eine festgelegte Obergrenze nur für 2022 mit maximal 257 Millionen Tonnen und dann erst wieder für 2030 mit 108 Millionen Tonnen.

Für die Zwischenjahre behelfen sich die Klimaexpert:innen für ihre Prognosen mit einer linearen Absenkung. Gesetzlich bindend sind diese errechneten Werte aber nicht. Der Expertenrat für Klimafragen spricht hier von einer "impliziten" Gesamtmenge.

Daraus lässt sich die Gefahr ableiten, dass die Bundesregierung erst für 2030 eine Gesamtmenge aller Sektoren als gesetzlich geltend annimmt – und für 2030 lässt sich derzeit noch alles so prognostizieren, dass die Klimaziele ohne allzu große Mühen eingehalten werden können. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lieferte dafür erst jüngst mit seiner "Treibhausgas-Projektion 2024" die Blaupause.

 

Claudia Kemfert hat auch das bei ihrer Kritik an der Reform im Blick. Derzeit rechne sich die Bundesregierung die Erreichbarkeit der 2030er Klimaziele schön, findet Kemfert. Denn die Ampel gehe davon aus, dass konjunkturelle Einbußen und ein geringerer Stromverbrauch die Ziele in Reichweite rücken lassen.

Für Kemfert kann das aber nicht aufgehen. Wenn der Verkehrssektor seine Klimaziele weiterhin Jahr für Jahr verfehlt, werden andere Sektoren aus ihrer Sicht kaum in der Lage sein, die Verfehlungen im Verkehr zu kompensieren.

Spätestens dann stehen die nächsten aufgeheizten Klima-Debatten ins Haus.

Redaktioneller Hinweis: DIW-Ökonomin Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.