Frau beim Online-Meeting im Homeoffice.
Der Homeoffice-Anteil bleibt auf hohem Niveau. Die Politik muss jetzt die Umnutzung von Büros zu Wohnungen erleichtern. (Bild: Girts Ragelis/​Shutterstock)

Weniger Autostau und weniger Büros, dafür mehr Wohnungen und mehr Klimaschutz: Vor allem in den Ballungsräumen und Städten zeichnen sich weitreichende Veränderungen ab. Treiber dahinter ist der Trend zum Homeoffice. Plötzlich gibt es neue Chancen, den gravierenden Wohnungsmangel zu mildern und die bisher schleppend verlaufende Verkehrswende zu beschleunigen.

Die Arbeitswelt der Deutschen hat sich seit Corona stark verändert, und das vermutlich für immer. Ein großer Teil der Erwerbstätigen arbeitet zumindest teilweise im Homeoffice, nach Daten des Statistischen Bundesamtes war es 2022 rund ein Viertel, nach einer Erhebung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) sogar fast ein Drittel.

Gegenüber der Zeit vor der Corona-Pandemie hat sich der Anteil damit mindestens verdoppelt, und es sieht nicht so aus, als würde das noch einmal wesentlich zurückgedreht. Der Home-Office-Anteil blieb hoch, obwohl die Corona-Einschränkungen bis zum März 2022 komplett aufgehoben worden waren. Der jetzige Zustand sei das "neue Normal", urteilt das WZB.

Das hat natürlich Folgen für die Büronutzung. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers (PwC) bleibt derzeit deutschlandweit rund die Hälfte der Büroflächen jeden Tag ungenutzt, selbst an Spitzentagen sind die Büros bestenfalls zu zwei Dritteln belegt. Der Leerstand von Büroflächen, der bisher mit gut fünf Prozent in Deutschland im internationalen Vergleich relativ niedrig ist, steigt derzeit.

Und das ist wohl erst der Anfang. Eine Untersuchung des Beratungshauses McKinsey, das die Büronutzungs-Trends in neun Wirtschaftsmetropolen in den USA, Asien und Europa analysiert hat, darunter München, unterstreicht das. Für die bayerische Landeshauptstadt wird erwartet, dass der Bedarf an Büroflächen bis 2030 um 16 Prozent niedriger liegen wird als vor der Pandemie 2019. Es könnten, so das Negativ-Szenario, aber auch 27 Prozent sein.

Das Branchenblatt Immobilien Zeitung berichtete jüngst über eine Auswertung von Büromietverträgen, die vom Immobilienunternehmen Cushman & Wakefield vorgenommen wurde. Tenor: Es würden langfristig 30 Prozent weniger Büros benötigt.

Mehr Homeoffice, weniger Verkehr

Tatsächlich bricht die Nachfrage von Unternehmen nach Büroräumen derzeit auf breiter Front ein. Im ersten Halbjahr wurden hierzulande rund 40 Prozent weniger Flächen neu vermietet, heißt es beim Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle (JLL).

Angesichts des stabilen Homeoffice-Anteils fragen sich viele Unternehmen in der Tat, wie viel Fläche überhaupt noch notwendig ist. Dabei fällt allerdings auf, dass moderne, flexibel nutzbare Büroräume in zentralen Lagen weiter sehr gefragt sind – der Leerstand in älteren Immobilien am Stadtrand nimmt hingegen zu.

Folgen hat der Homeoffice-Trend nicht nur für den Leerstand von Büroimmobilien, sondern auch für den Verkehr. Laut der WZB-Erhebung "Mobicor" fahren rund 30 Prozent aller Beschäftigen quer durch alle Branchen und Hierarchien an rund 2,5 Tagen pro Woche nicht mehr ins Büro, sondern arbeiten zu Hause.

Vor allem die Pkw-Nutzung ist zurückgegangen, die vor Corona im Pendlerverkehr einen Anteil von rund 68 Prozent hatte. "Insgesamt gehen wir von einer Reduktion der Pkw-Verkehrsleistungen um rund zehn Prozent aus", sagt WZB-Professor Andreas Knie gegenüber Klimareporter°. "Vor allem die längeren Fahrten nehmen ab."

Die Zahl der insgesamt zurückgelegten Wege hingegen ist laut den Mobicor-Daten sogar etwas gestiegen, allerdings mit einem vielfältigeren Verkehrsmix. Konkret: Es wird mehr zu Fuß gegangen.

Das WZB-Forschungsteam, das die seit Mai 2020 regelmäßig wiederholten Erhebungen unter 1.500 repräsentativ ausgewählten Personen betreut, stellte fest: Die Gesamt-Verkehrsleistung blieb trotz des Lockdown-Endes praktisch auf dem neuen, niedrigeren Niveau. Und das, obwohl die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 2017 und 2022 in Deutschland sogar um 1,3 Millionen anstieg.

Es hätten sich "neue Mobilitätsroutinen verfestigt", heißt es bei dem Forschungszentrum. Oder, wie es Knie ausdrückt: "Viele Menschen wollen nicht zurück in die Arbeitswelt vor Corona und sich täglich durch den Verkehr quälen."

Büro-Umnutzung statt Neubau

Das ermöglicht Spielräume für den Stadtumbau und für mehr Nachhaltigkeit, die vor Corona noch kaum realistisch erschienen. So kann die Umnutzung von Büros zu Wohnungen nach Meinung von Fachleuten erheblich dazu beitragen, den Wohnungsmarkt zu entspannen.

Eine Studie des Pestel-Instituts und der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen ergab bereits 2021, dass dadurch bis 2025 ein Bedarf von 235.000 und bis 2040 sogar 1,86 Millionen zusätzliche Wohnungen gedeckt werden könne.

Die Rechnung geht so: Knapp 15 Millionen Deutsche arbeiten derzeit in Büros. Homeoffice könne langfristig bis zu 40 Prozent aller Präsenztage – und den damit verbundenen Platzbedarf – überflüssig machen. Bis 2040 würden damit mindestens 136 Millionen Quadratmeter Büronutzfläche für andere Zwecke frei – davon lasse sich etwa die Hälfte mit geringem oder überschaubarem Aufwand zu Wohnungen umbauen.

Inzwischen hat sich der Homeoffice-Trend noch beschleunigt, sodass Umbauten schneller möglich wären. Fachleute schätzen, dass derzeit in Deutschland 700.000 Wohnungen fehlen und doppelt so viel gebaut werden müsste, wie es derzeit geschieht.

 

Andere bezweifeln, dass die Potenziale sich wirklich so schnell heben lassen. Der Bauexperte und Autor Daniel Fuhrhop ("Der unsichtbare Wohnraum") rechnet damit, dass der Umbau beim derzeitigen Büro-Leerstand nur rund 15.000 Wohnungen pro Jahr bringen könnte. Allerdings betont er gegenüber Klimareporter°: "Langfristig ist das Potenzial wegen des Homeoffice-Booms viel höher."

Fuhrhop erinnert an ein Beispiel in Frankfurt am Main, wo an einem früheren reinen Bürostandort im Stadtteil Niederrad im Laufe der letzten 20 Jahre mehrere tausend Wohnungen geschaffen wurden, viele davon durch die Umnutzung von Büros. Allerdings sei ein solcher Umbau durch die Anforderungen an Technik, Brandschutz und Schallschutz aufwändig, darum entstünden eher hochpreisige Wohnungen.

Den Neubau durch Büro-Umnutzung und andere Maßnahmen zu ersetzen – wie Aktivierung von leerstehenden Wohnungen, Umbau von Einfamilienhäusern in kleinere Wohnungen und Wohnungstausch – hält Fuhrhop dennoch für dringend angezeigt. Und zwar aus Klimaschutzgründen.

Nach seinen Berechnungen schadet der Wohnungsneubau eines Jahres in Deutschland bei 300.000 Einheiten (2022) dem Klima mit bis zu 77 Millionen Tonnen CO2, wenn man alle Emissionen von der Baustoffproduktion über die Beheizung bis zum Abriss am Ende des Lebenszyklus einrechnet. Zum Vergleich: Das ist ähnlich viel wie die Klimabelastung pro Jahr durch die Nutzung – vor allem das Heizen – sämtlicher 43 Millionen Bestandswohnungen, die 80 Millionen Tonnen CO2 beträgt.

"Transformation gelingt mit der richtigen Politik"

Das "neue Normal" beim Homeoffice schafft aber auch im Verkehrsbereich neue Möglichkeiten. So lagen die CO2-Emissionen des Verkehrs 2022 trotz eines Anstiegs nach dem Ende der Corona-Lockdowns mit 148 Millionen Tonnen weiterhin deutlich unter dem Vor-Corona-Wert von 2019, der rund 162 Millionen Tonnen betrug.

"Die Entwicklung belegt, dass der Autoverkehr nicht weiter wachsen wird, anders als FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing annimmt", urteilt Verkehrsforscher Knie. Tatsächlich geht Wissings Ministerium in seiner im März vorgestellten Langfristprognose davon aus, dass der Pkw-Verkehr bis 2051 um vier Prozent und der Lkw-Verkehr sogar um 54 Prozent wachsen wird.

Für Knie ist der tatsächliche Rückgang der Pkw-Nutzung der Beleg dafür, "dass eine echte Verkehrswende gelingen kann, wenn die Politik die richtigen Maßnahmen ergreift." Der Verkehrsforscher nennt hier als herausragendes deutsches Beispiel Hannover, das in seiner Stadtplanung den Übergang zu einer autoarmen Innenstadt mit viel Ehrgeiz angepackt habe.

Modelle dafür seien Städte in den Niederlanden und Belgien, aber auch in Oberitalien, die den Umbau bereits seit Jahrzehnten verfolgten. Im Ergebnis zeigen diese Pioniere laut Knie, dass "sich die Innenstädte beleben lassen und dass ein neues, verträglicheres Miteinander von Wohnen, Arbeiten und Kommerz stattfinden kann".

Redaktioneller Hinweis: Verkehrsforscher Andreas Knie gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.