Claudia Kemfert vor verschwommener Bücherwand.
Foto: Oliver Betke
 

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, bei der Energieversorgung ist Deutschland, auch dank des Wetters, bisher gut durch den Winter gekommen. Gas- und Strompreise erreichten nicht die vorausgesagten Höhen, die Regierung muss weniger Geld für die Preisbremsen ausgeben. Welchen Kurs sollte sie 2023 fahren?

Claudia Kemfert: Ein großer Fan der Energiepreisbremsen war ich nie. Ich favorisiere es eher, die Energiekosten zu senken.

Einerseits durch gezieltes Energiesparen. Jede Form der Effizienzverbesserung sollte gefördert werden. Im Gebäudebereich müssen dieses Jahr möglichst viele fossile Heizungen ausgetauscht werden. Daher sollte eine zentrale Priorität darin liegen, die energetische Gebäudesanierung massiv zu fördern.

Andererseits sollten einkommensschwache Haushalte immer zielgerichtet unterstützt werden, statt Energiepreisbremsen nach dem Gießkannenprinzip einzuführen, wodurch einkommensstarke Haushalte ebenso finanziell unterstützt werden.

Zudem ist die beste Energiepreisbremse der Umstieg von fossilen zu erneuerbaren Energien. Wir brauchen eine konsequente Energiewende. Besonders wichtig ist, das Ausbautempo der Erneuerbaren massiv zu erhöhen. Je mehr erneuerbare Energien im System sind, desto geringer können die Kosten sein.

Da der Verkehrssektor bei den Klimazielen stark hinterherhinkt, ist ein Tempolimit ohnehin überfällig. Hoffentlich kommt endlich mehr Bewegung in die Verkehrswende.

Auch nach der Räumung von Lützerath ebbt die Debatte nicht ab, ob die Braunkohle unter dem Ort noch gebraucht wird. Werden durch den RWE-Deal bis 2030 nun CO2-Emissionen eingespart oder nicht?

Wenn die von RWE beantragten Braunkohlemengen wirklich abgebaggert und verbrannt werden, dann können wir das Klimaziel des Energiesektors, das sich aus dem Klimaschutzgesetz ergibt, kaum erreichen. Das entsprechende CO2-Budget, das mit dem 1,5-Grad-Pfad kompatibel ist, ist bald erschöpft.

Da andere Sektoren wie Verkehr und Gebäude die notwendigen Emissionsminderungen nicht erfüllen und nicht damit zu rechnen ist, dass sie die höheren Emissionen im Energiesektor überkompensieren, ist es notwendig, dass der Energiesektor durch einen schnelleren Kohleausstieg die Emissionen in ausreichendem Maße senkt.

Sprich, die Braunkohlenmengen werden in dem Umfang nicht gebraucht. Dass RWE immer die betriebswirtschaftlich günstigsten Abbaggerungswege wählt, ist vielleicht verständlich. Aber Deutschland sollte in erster Linie Gemeinwohlinteressen vertreten.

Deutschland hat zunehmend auch international ein Glaubwürdigkeitsproblem, da Worte und Taten auseinanderfallen.

Das Wirtschaftsministerium setzt gerade die EU-Notfallverordnung in deutsches Recht um. Für 18 Monate können dann vor allem Wind- und Solarprojekte deutlich schneller genehmigt werden, gerade das Repowering von Windkraft. Ist das endlich der nötige Schub für die Erneuerbaren?

Ich hoffe es sehr! Es ist auf jeden Fall dringend notwendig. 10.000 Megawatt Windenergie warten auf Genehmigung. Wir sind in einer ernsten Energiekrise und brauchen einen raschen Ausbau aller erneuerbaren Energien. Je schneller ihr Anteil steigt, desto schneller können wir aus Kohle und auch aus fossilem Erdgas aussteigen. Wir brauchen dringend einen Booster für erneuerbare Energien.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Absolut überraschend ist für mich, dass die CDU ernsthaft behauptet, die wahre Klimaschutzpartei in Deutschland zu sein. Bei einer Talkshow letzte Woche im ZDF verwies Jens Spahn darauf, dass die CDU maßgeblich an allen Klimaschutzgesetzen und -aktivitäten mitgewirkt hat und daher die eigentliche Klimaschutzpartei sei.

Für mein neues Buch "Schockwellen", das Anfang Februar erscheint, habe ich ausführlich die letzten 16 Jahre energie- und klimapolitischer Entscheidungen recherchiert. Sehr viele energiepolitische Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre, gerade als die "Klimakanzlerin" regierte, führten dazu, dass wir uns heute in der größten Energiekrise der Nachkriegsgeschichte befinden.

Und das, weil insbesondere die Abhängigkeit von russischem Gas viel zu stark erhöht wurde, trotz vieler Warnungen vor enormen geopolitischen und ökonomischen Risiken. Und weil der Ausbau erneuerbarer Energien wie auch die Energiewende insgesamt vor allem in der Zeit, als Peter Altmaier dafür zuständig war, massiv ausgebremst wurde.

Wir könnten heute einen Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien im Energiesystem haben und hätten dann nur wenig fossiles Erdgas überhaupt noch importieren müssen.

 

Übrigens ist es ein weiterer Mythos, anzunehmen, dass fossiles Erdgas eine Brückentechnologie sei und man es in den letzten Jahren nur wegen der Energiewende importieren musste. Der Anteil von fossilem Erdgas kann deutlich sinken, wenn der Anteil erneuerbarer Energien steigt und das Energiesparen verstärkt wird.

Die CDU hat in puncto Realitätsbezug, Fehleraufarbeitung und Klimaschutz ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem.

Fragen: Jörg Staude

Anzeige