Claudia Kemfert vor verschwommener Bücherwand.
Foto: Oliver Betke
 

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, die Gasspeicher in Deutschland sind prall gefüllt. Waren die Ängste vor einem kalten Winter unbegründet und werden jetzt die Heizkosten sinken?

Claudia Kemfert: Die oftmals in der Öffentlichkeit verbreitete Panik war unangebracht und auch kontraproduktiv. Es gab und gibt allerdings noch immer berechtigte Sorgen, da wir inmitten einer fundamentalen Energiekrise stecken.

Die Bundesregierung hat allerdings viel richtig gemacht, so wie wir es auch von Anfang an mit der sogenannten ASSA-Formel empfohlen hatten. Also erstens: ausweichen, das heißt das Gas aus anderen Ländern beziehen. Die Diversifikation der Gasbezüge ist auf einem guten Weg.

Zweitens: speichern. Die Gasspeicher sind in der Tat übervoll. Wie ich immer sagte, Deutschland ist ein reiches Land und kauft Gas auch zu hohen Preisen. Drittens: sparen, da sind wir recht gut vorangekommen, die Haushalte und Industrie sparen deutlich über 20 Prozent ein. Das ist gut und wichtig.

Viertens: ausbauen, nämlich die erneuerbaren Energien. Da sind wir lange nicht so weit, wie wir sein könnten, da fehlt die ambitionierte Umsetzung.

Die Gaspreise sind zunächst sehr stark angestiegen, sinken aber derzeit. Dennoch steigen die Heizkosten. Je weniger verbraucht wird, desto geringer die Kosten. Zudem müssen die aktuellen Gaspreissteigerungen transparent gemacht werden. Die Heizkosten senken können derzeit wohl nur diejenigen, die in einem voll gedämmten Gebäude wohnen und am besten keine fossilen Energien nutzen.

Ein Hauptstreitpunkt auf dem Klimagipfel in Ägypten war "Loss and Damage", also die Verluste und Schäden durch den Klimawandel und die damit verbundene Forderung der Entwicklungsländer nach finanzieller Unterstützung. Die G7-Staaten haben einen "Global Shield" vorgeschlagen. Der globale Schutzschirm soll besonders gefährdeten Ländern im Krisenfall schnelle Hilfe ermöglichen. NGOs sprechen von Ablenkung. Wie bewerten Sie den Schutzschirm?

Grundsätzlich ist es nicht falsch, einen solchen Schutzschirm aufzustellen, insbesondere weil man aus einer sehr verfahrenen Situation rausmusste. Zu lange streiten die Staaten schon darüber, wie mit den Schäden und Verlusten der Entwicklungsländer umzugehen ist. Ein Entgegenkommen der Industrieländer war überfällig.

Allerdings ist in der Tat fraglich, ob ein solcher Schutzschirm die gewünschten Ziele erfüllen kann. Zudem reichen die eingezahlten Mittel hinten und vorne nicht. Als Ablenkung würde ich es nicht sehen, sondern als notwendigen ersten Schritt in die richtige Richtung, wenn weitere Taten folgen. Und die fehlen ja bisher komplett. Mit der Einrichtung eines solchen Schildes könnte man die dringend notwendige Bewegung in die verfahrene Situation bringen.

Auch Deutschland will nun aus dem Energiecharta-Vertrag aussteigen. Welche Auswirkungen hat das?

Zunächst einmal freue ich mich über die Entscheidung der Koalition, das hätte ich gar nicht zu hoffen gewagt. Die Entscheidung ist überfällig, und dass die Ampelregierung sie fällt, ist sehr positiv zu bewerten.

Der Energiecharta-Vertrag passt nicht mehr in die heutige Zeit. Zu häufig wurde der wechselseitige Schutz vor Investitionsrisiken dazu missbraucht, Umwelt- und Klimapolitik zu behindern. Richtigerweise haben sich deswegen in der Vergangenheit immer mehr Länder entschlossen, aus dem Vertrag auszusteigen.

Der Vertrag ist ein Hindernis für die Energiewende, denn oft wurden politische Entscheidungen gegen fossile Energien angefochten und hohe Entschädigungssummen durchgesetzt. Das ist teuer für den Staat. Nach dem Energiecharta-Vertrag kann gegen einen Atomausstieg, gegen ein Ölbohr-Verbot oder gegen einen Kohleausstieg Klage eingereicht und eine hohe Entschädigung verlangt werden. Mit dem Ausstieg aus diesem Vertrag sind derartige Machenschaften nicht mehr möglich.

Politische Entscheidungen für die Energiewende werden so leichter umsetzbar und sind weniger von Klagen und Entschädigungsforderungen bedroht. Die Barrieren für Energiewende und Klimaschutz werden etwas schwächer. Das ist wirklich mal eine positive Entscheidung in Zeiten von so viel Negativem.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Mich überraschen viele öffentliche Reaktionen auf die – zugegebenermaßen manchmal unsinnigen – Klimaschutz-Aktionen. Wichtig ist: Demonstrationen sollten stets friedlich und gewaltfrei sein. Ich gebe zu, so manche Form des Protests halte ich für nicht geeignet oder übertrieben, und manches schießt über das Ziel hinaus. Aber sind die Klima-Demonstranten deswegen radikale Terroristen? Natürlich nicht.

Wir dürfen nicht vergessen, es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Bundesregierung zu schnellem und engagiertem Klimaschutz verpflichtet. Auch der Expertenrat der Bundesregierung hat festgestellt, dass die Klimaschutzmaßnahmen nicht ansatzweise ausreichen.

Statt über das eigentliche Problem zu sprechen – also, wo die Lücken sind und was getan werden muss –, werden diejenigen verunglimpft, die auf die Einhaltung der Verpflichtungen pochen. Wie kann das sein? Warum gibt es über die Tatsache, dass Klimamaßnahmen unzureichend sind oder ganz fehlen, keinen ebenso lauten oder sogar noch lauteren Aufschrei?

Und warum fehlte eine ähnliche Reaktion der jetzt lautstark gegen Klimaaktivisten Auftretenden, als am Tag der Deutschen Einheit vor zwei Jahren auf der Berliner Museumsinsel 70 Kunstwerke und Antiken durch Öl-Beschmierungen von rechten Hetzern massiv beschädigt wurden?

Erstaunlich. Und bedauerlich. Wir brauchen Lösungen und Gespräche. Denn gefährlich sind nicht diejenigen, die geltendes Recht einfordern, sondern diejenigen, die es nicht umsetzen.

Fragen: David Zauner

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