Blick über den Windpark Straubenhardt und den Schwarzwald.
Auch in Baden-Württemberg kam 2022 kaum Windkraft hinzu. (Foto: Marco Verch/​Flickr, CC BY 2.0)

Seit ihrem Tiefpunkt im Jahr 2019 kämpft sich die Windkraft an Land in Deutschland aus der Talsohle, glaubt man einschlägigen Veröffentlichungen. 2020 legte die im Land installierte Windleistung real um rund 1.200 Megawatt zu, 2021 dann schon um fast 1.700 Megawatt.

2022 setzte sich das Wachstum beim Netto-Zubau nicht ganz so deutlich fort. Bis Ende des Jahres kam nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie (BWE) ein Plus von rund 2.140 Megawatt zusammen, das sind 440 Megawatt mehr als im Jahr 2021.

Bei einem Briefing am Freitag wies BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm darauf hin, dass sich der letztjährige Zubau auf vier Bundesländer konzentriert: Schleswig-Holstein (bundesweiter Anteil: 21 Prozent), Niedersachsen (19), Brandenburg (18) und Nordrhein-Westfalen (17 Prozent).

Zusammengenommen erbringen die großen Vier derzeit also rund drei Viertel des gesamten Ausbaus. Für diese Länder sei das auch erfreulich, sagte Axthelm, aber mit der regionalen Ungleichverteilung könne man nicht zufrieden sein.

Alle anderen Flächenländer haben laut der BWE-Statistik einen Anteil von nicht mehr als jeweils vier Prozent. Sogar das selbsternannte Erneuerbaren-Vorreiterland Mecklenburg-Vorpommern kommt nur auf zwei Prozent.

Dort ging der Zubau (brutto) von 100 Megawatt 2020 über 70 Megawatt 2021 auf nur noch 57 Megawatt im vergangenen Jahr zurück. Das Land im Nordosten kommt also nicht aus der Talsohle, sondern rutscht immer tiefer hinein.

Andere Bundesländer verharren dort bekanntlich seit Jahren. In Bayern dümpelt der jährliche Windausbau um die 30-Megawatt-Grenze herum.

Das Herunterfallen des Südostens, aber auch des Südwestens hält Axthelm inzwischen für dramatisch, weil gerade dort die Schwerpunkte des Energieverbrauchs seien. "Diese Defizite sind so eklatant, sie sind nicht hinnehmbar", erklärte der BWE-Geschäftsführer.

Am Nordwest-Südost-Gefälle, wie es inzwischen genannt werden muss, wird sich so schnell auch nichts ändern. Denn nach Angaben des BWE liegen auch bei der Zahl bereits genehmigter und demnächst zu bauender Windräder die Länder Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen weit vorn.

Branche hadert mit altem Fördersatz von nur 5,8 Cent

Insgesamt wurden sowohl 2021 als auch 2022 jeweils Windanlagen mit zusammen 4.000 Megawatt genehmigt, sagen die aktuellen BWE-Zahlen. Für dieses Jahr setzt der Branchenverband die Messlatte bei den Genehmigungen auf 10.000 Megawatt herauf. In diesem Umfang muss künftig jedes Jahr Windkapazität hinzukommen, damit Deutschland 2030 einen Anteil erneuerbaren Stroms von 80 Prozent am Strommarkt erreichen kann.

All die "alten" Genehmigungen jetzt in die Praxis umzusetzen, könnte sich aber schwierig gestalten. So gestand die Bundesnetzagentur beispielsweise 2021 den Wind-an-Land-Projekten in den Ausschreibungen eine Förderung von höchstens 5,8 Cent pro Kilowattstunde zu.

Die seitdem eingetretenen massiven Kostensteigerungen würden den Bau dieser genehmigten Anlagen nun mit einem großen Fragezeichen versehen, meinte Axthelm beim Briefing.

Anfang dieses Jahres hat die Bundesnetzagentur zwar auf die steigenden Projektkosten reagiert und für die Ausschreibungen von 2022 den Höchstwert auf 7,35 Cent hochgesetzt – diesen Fördersatz hätten viele Projektierer jetzt aber auch gern, um ihre Projekte mit den "alten" Zuschlägen aus den letzten beiden Jahren realisieren zu können. Man diskutiere derzeit intensiv mit der Regierung, sagte Axthelm, ob es möglich sei, die Zuschläge nachträglich an die höheren Kosten anzupassen.

Axthelm sprach sich beim Briefing aber gegen Überlegungen aus, bereits bezuschlagte Projekte nicht zu bauen und lieber die dann folgende Strafzahlung in Kauf zunehmen als ein Verlustprojekt in die Landschaft zu setzen. "Wir wollen keine Verzögerung beim Zubau", appellierte er an die Branche.

EU-Notfallverordnung soll ohne Abstriche deutsches Recht werden

Ein weiterer Wunsch der Windbranche gegenüber der Politik ist eine möglichst schnelle Umsetzung der sogenannten EU-Notfallverordnung für erneuerbare Energien. Diese trat Anfang dieses Jahres in Kraft und soll Genehmigungsverfahren für Windkraft und Photovoltaik deutlich beschleunigen, um die Folgen der Energiekrise abzumildern.

Laut der EU-Verordnung darf beispielsweise die Genehmigung von Repowering-Projekten nicht länger als sechs Monate dauern. Steigt die Leistung einer Anlage um nicht mehr als 15 Prozent, muss die Genehmigung sogar schon nach drei Monaten gegeben werden.

Gerade beim Repowering sieht die Windbranche wenig Spielraum für Abstriche bei der Überführung der Notfallverordnung in deutsches Recht. Dies müsse eins zu eins geschehen, forderte Axthelm. "Das kann für das Repowering zu einem großen Schritt werden."

Auch beim Artenschutz sieht die Notfallverordnung Erleichterungen vor. So kann in Windvorranggebieten auf die Umweltverträglichkeits- und Artenschutzprüfung verzichtet werden. Eine konkrete Folge ist nach Ansicht der Windbranche: Die Liste sogenannter kollisionsgefährdeter Vogelarten könnten die Projektierer dann beiseitelegen. Auch Ausgleichsmaßnahmen beim Naturschutz könnten dann letztlich über eine Ausgleichszahlung abgegolten werden.

Ergänzung um 22 Uhr: Am Montagabend kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einer öffentlichen Fragerunde der Reihe "Europe Calling" an, dass die EU-Notfallverordnung für erneuerbare Energien mittels einer Rechtsverordnung umgesetzt werden soll. Die Verordnung werde nächste oder übernächste Woche im Bundeskabinett behandelt.

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